„Ich brauche dabei unbedingt deine Hilfe“, sagt die Schamanin, als wir uns separat an einen Zweiertisch gesetzt haben.
Ich bin überrascht. „Meine Hilfe?“, hake ich nach und blicke unbewusst bereits in Kittys Richtung, die noch bei den Männern sitzt und sich mit Berny darüber streitet, wer am besten für einen bestimmten Auftrag geeignet ist.
„Ja, deine Hilfe“, betont sie und legt ihre Hand auf mein Handgelenk, was meine Aufmerksamkeit wieder auf sie lenkt. „Die Hilfe einer Hexe.“
„Ach ja?“ Meine Neugierde ist geweckt.
Sie nickt, nimmt die Hand von meiner und stützt sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Der verstorbene Mann der Frau war eine Hexe. Eine dunkle Hexe.“
Das erstaunt mich. Davon hatte die Frau am Telefon nichts erwähnt. „Und sie? Ist sie auch eine Hexe?“
„Nein, sie ist menschlich.“
Ich stutze. „Das ist selten, oder? Hexen werden doch viel älter als Menschen.“
„Ja, sie war seine dritte Ehefrau. Sie hätte nie gedacht, dass sie ihn überlebt, aber so ist es nun mal geschehen. Sie selbst ist schon neunundachtzig Jahre alt, sie hatten ein langes und erfülltes Leben miteinander.“
„Und wozu brauchst du mich nun?“
Naomi beginnt mit einem ihrer zwei hüftlangen Zöpfe zu spielen, in den Federn, türkisfarbene Bänder und Perlen eingeflochten sind. „Sie musste ihren verstorbenen Mann kontaktieren, um herauszufinden, wo er sein Testament und die Unterlagen der Lebensversicherung verwahrt. Sie hatte bereits alles abgesucht, war aber nicht fündig geworden. Ich habe den Geist des Mannes dann gerufen und so gemerkt, dass er eine dunkle Hexe war. Seine Frau hatte nichts davon erwähnt.“
„Wahrscheinlich war sie sich nicht sicher, inwiefern wir über die magische Welt Bescheid wissen“, mutmaße ich und Naomi stimmt mir durch ein Nicken zu.
„Als ich ihn als dunkle Hexe erkannte, war sie schon viel entspannter. Sie ließ mich fragen, wo er die Unterlagen versteckt hat. Sein Geist führte uns zu einer Kiste, die nur mit Magie geöffnet werden kann.“
„Oh, jetzt verstehe ich wozu du meine Hilfe brauchst.“
Sie nickt und grinst. „Der Zauberspruch ist in das Holz der Kiste geschnitzt, doch wenn ich ihn spreche, passiert rein gar nichts.“
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. „Wie oft hast du es versucht?“
Nun lacht sie auch und klatscht mit der Handfläche gegen ihre Stirn. „Sehr oft“, gibt sie zu. „Die Witwe und ich haben den Spruch gesprochen, gesungen und verschieden betont, doch nichts geschah. Ich habe dann Fletcher angerufen, doch da er eine weiße Hexe ist, konnte er uns auch nicht helfen.“
„Also bleibe nur noch ich übrig“, schließe ich urteilsfrei daraus und zucke mit den Achseln. Die Zeiten, in denen ich mich für meine dunkle Seite geschämt habe, sind weitgehend vorbei. Nur wenn ich zu lange mit meiner Tante Roberta zusammen bin, plagen mich manchmal noch Gewissensbisse. Aber ich habe mittlerweile verstanden, dass zur Hälfte dunkel zu sein nicht bedeutet, böse zu sein. Genauso wie weiße Hexen nicht ausschließlich gut sind. Es sind nur zwei Seiten der Magie und ich habe das Glück, mich beiden bedienen zu dürfen.
„Hilfst du mir?“, unterbricht Naomi meine Gedanken.
„Natürlich helfe ich dir“, antworte ich und spüre einen kleinen Funken Stolz in mir aufflammen. „Wann soll es losgehen?“
Nachdem wir alle zusammen etwas im Booh zu Mittag gegessen haben, verladen wir Naomis Fahrrad in meinen Bulli. Es regnet wieder einmal in Strömen und bevor Naomi und ich zum Haus der Witwe aufbrechen, muss sie noch etwas aus ihrer Wohnung holen und ihre Katzen füttern. Kitty rauscht mit ihrem Sportwagen an uns vorbei und spritzt mit ihren Reifen eine Wasserfontäne in unsere Richtung. Chris und ich können noch im letzten Moment nach hinten springen und der Welle entgehen.
„Kitty!“, schreit Chris verärgert, doch ich bezweifle, dass Kitty beim Aufheulen ihres Motors etwas gehört hat.
„Ärgere dich nicht über sie“, sage ich und blicke zum grauen Himmel empor. „Wir sind eh schon klitschnass.“
Chris verdreht die Augen und umfasst meine Mitte. Mit einem Ruck zieht er mich zu sich heran. „So kann auch nur eine Druidenhexe reden“, sagt er und schüttelt sein nasses Haar aus.
Ich beginne zu kichern und kneife die Augen zu, damit mir keine Tropfen in die Augen fliegen. „Und sich schütteln wie ein Hund kann nur ein Mannwolf“, necke ich ihn und ernte ein grollendes Knurren an meiner Halsbeuge von ihm.
„Wann sehen wir uns wieder?“, fragt er, nachdem er meinen Hals wieder freigegeben hat.
„Keine Ahnung“, sage ich und zucke mit den Schultern. „Wenn ich mit Naomi bei der Witwe fertig bin. So in drei oder vier Stunden wahrscheinlich.“
Chris nickt und ich beobachte, wie sich ein Regentropfen von seiner Haarspitze löst und auf seine Wange tropft, wo sie sich einen Weg zu seinem verführerischen Mundwinkel bahnt. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und ziele mit meinen Lippen genau auf diesen Tropfen, doch im letzten Moment dreht Chris leicht den Kopf und unsere Lippen begegnen sich. Er seufzt in meinen Mund, was mir, trotz der Kälte und Nässe, einen warmen Schauer über den Rücken jagt.
Nach einem innigen Kuss lehnt er seine Stirn gegen meine und schließt die Augen. „Drei oder vier Stunden noch?“
Heißes Kribbeln gleitet über mein Brustbein. „Ich beeile mich, okay?“
Seine Hände liegen auf meinem unteren Rücken und er presst mich noch etwas fester an sich. „Ich kann es kaum erwarten.“
Naomi muss mich auf der Fahrt zu ihrer Wohnung navigieren, da ich noch nie bei ihr zuhause war. Offenbar wohnt sie außerhalb des Ortes in einem alten Bauernhaus, umgeben von Feldern, Baumalleen, Pferdeweiden und holprigen Feldwegen. Der Bulli knallt von einem Schlagloch ins nächste, braune Matschbrühe spritzt hoch bis zu den Fensterscheiben.
„Die nächste rechts, dann sind wir auch schon da“, sagt Naomi, als ich beim nächsten Schlagloch ächzend mit dem Kopf gegen die Decke knalle. „Hier, da ist es schon!“
Ich lenke den Bulli auf eine Schottereinfahrt und parke neben dem Haus vor einem grünen Dielentor. Naomi springt raus, rennt um den Bulli herum auf eine kleine, weiße Haustür zu. Sie hat die Tür geöffnet, bevor ich auch nur aussteigen kann. Mit schnellen Schritten komme ich ihr durch den dichten Regen hinterher und stolpere dabei fast über eine schwarze Katze, die fauchend meinen Weg kreuzt.
„Oh, Entschuldigung“, murmle ich und gehe mit der Katze zusammen ins Haus.
„Ach, das ist Blanche, die ist immer so zickig, das hat nichts mit dir zu tun“, sagt Naomi, die noch immer die Haustür offenhält und nach draußen blickt.
Nach und nach flitzen immer mehr Katzen ins Haus. Ein rot getigertes Exemplar lugt unter meinem Bulli hervor und sieht uns aus großen grünen Augen mauzend an.
„Na, komm! Komm her!“, ruft Naomi und klopft auf ihren Oberschenkel.
Nach einem protestierenden Miau traut sie sich endlich und flitzt durch den Regen ins Haus. Naomi schließt die Tür und knippst das Flurlicht an. Um unsere Beine streichen ein halbes Dutzend Katzen in den verschiedensten Farben. Ein Konzert aus wohligem Geschnurre und forderndem Mauzen dringt in unsere Ohren.
„Sind das alles deine?“, frage ich und beuge mich zu einer weiß-getigerten herunter, die euphorisch ihre pelzige Wange an meinem Hosenbein reibt.
„Mehr oder weniger, ja“, antwortet Naomi und geht an mir vorbei, wobei die Mehrheit der Katzen ihr folgt.
Ich hebe die Getigerte auf meinen Arm und gehe hinter Naomi her, während die Katze ihr Gesicht an meiner Jacke reibt und wieder zu Schnurren beginnt, als ich ihren Nacken kraule.
Wir kommen in eine Küche, die aus wild zusammengewürfelten Möbeln besteht. Beinahe jeder Küchenschrank hat eine andere Front, kein Stuhl passt zum anderen und doch wirkt es urgemütlich. In einer Ecke steht ein Stangenherd in dem noch der Rest eines Feuers glüht, dessen Wärme uns willkommen heißt. Ich setze die Katze ab und ziehe meine Jacke aus. Naomi geht währenddessen zum Kühlschrank und holt einen Emailletopf heraus mit dem sie zum Herd geht. Sie stellt ihn darauf, holt einen Kochlöffel und beginnt darin zu rühren. Dann öffnet sie die Feuerluke, nimmt einen Holzscheit aus dem Weidenkorb neben dem Herd und wirft ihn hinein.
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