1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Ich schüttle mit dem Kopf und lege die Fingerspitzen auf die Schreibtischkante. „Herr Marder, ich will ganz ehrlich mit Ihnen sein. Ich brauche Geld, und zwar eine Menge. Bald. So schnell wie möglich.“
Wieder wischt er sich über die Stirn und lächelt, diesmal wirkt es aber zerknirscht. „Frau Schneider, so funktioniert das Geschäft nicht.“
„Ende der Woche. Würde das klappen?“
Er lacht. „Wissen Sie, ich bin nur ein kleiner Dorf-Juwelier. Ich habe nicht täglich mit Diamantenankäufern Kontakt. Dass mein Kollege Ende der Woche vorbeikommt, ist reiner Zufall.“
Ich lehne mich wieder zurück und falte die Hände überm Knie. „Aber ihr Kollege würde doch sicher früher kommen, wenn Sie ihm erzählen, worum es geht, oder?“
Der Juwelier wiegt den Kopf von einer Seite zur anderen.
„Ich schlage vor, Sie rufen ihn an und fragen. Vielleicht hat er Interesse, zumal ich die Steine im Konvolut verkaufen möchte und eine genaue Preisvorstellung habe. Was Sie und ihr Kollege danach mit den Steinen machen, und ob Sie sie geschliffen weiterverkaufen, soll nicht mehr meine Sorge sein.“
Seine Augen werden groß und er hat Mühe, dass ihm nicht der Mund offenklappt. „Warum machen Sie das, Frau Schneider?“, fragt er, lehnt sich vor und legt die Hände um die Steinchen. „Sie könnten mit ein wenig Zeit und Geduld eine Menge Geld mit den Diamanten machen.“
„Herr Marder, ich brauche keine Menge Geld, ich brauche nur eine gewisse Summe. Und Zeit und Geduld habe ich leider nicht. Ich brauche das Geld bis Ende der Woche. Und da Sie meine einzige Anlaufstelle sind, sollen Sie auch nicht leer ausgehen.“
Noch immer ein wenig verdutzt nickt Herr Marder langsam. „Darf ich fragen, welche Summe Sie sich vorgestellt haben?“
Ich zögere einen Moment, beschließe dann aber, meine Karten offenzulegen. „Einhundertachtzigtausend.“
Angespannt warte ich seine Reaktion ab, rechne schon damit, dass er in schallendes Gelächter ausbricht. Doch stattdessen besieht er die Steine zwischen seinen Händen erneut, zieht einige davon zur Seite, während seine Lippen sich wispernd bewegen.
„Ich kann natürlich nur grob schätzen, da die Steine geschliffen noch immens an Größe und Gewicht verlieren werden. Aber ich bin mir fast sicher, dass Sie mit einhundertachtzigtausend weit unter Wert verkaufen.“
Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich stehe beschwingt vom Sessel auf. „Umso besser für Sie“, sage ich grinsend und ziehe eine Visitenkarte aus meiner Manteltasche. „Unter dieser Nummer können Sie mich jederzeit erreichen.“
Perplex nimmt er die Karte entgegen und runzelt mit der Stirn, als er den Namen Taylor darauf liest. „Scarlett Taylor ? Para…“
„Parapsychologin, ja. Taylor ist sozusagen mein Künstlername“, erkläre ich und mache eine abwinkende Handbewegung. „Wie dem auch sei, Sie kontaktieren Ihren Kollegen und melden sich wieder bei mir, sobald Sie die Steine geschätzt haben, okay?“
Er schiebt den Haufen Diamanten zusammen. „Wollen Sie die Diamanten gleich hierlassen?“
Ich halte schon die Klinke in der Hand und nicke ihm hastig zu. „Ja, natürlich. Sonst können Sie sie ja nicht schätzen lassen.“
Nun wirkt er noch verwirrter. „Ja, ist gut. Dann schließe ich sie im Tresor ein, da sind sie sicher.“ Er sieht über seine Schulter zu einer großen Tür in der Schrankwand und blickt dann mich wieder an. „Vielen Dank für Ihr Vertrauen.“
„Ich habe zu danken.“ Ich komme zurück und reiche ihm die Hand. „Und bitte beeilen Sie sich. Ich brauche Ende der Woche das Geld. Der Rest ist dann für Sie. Hand drauf!“
Herr Marder weiß gar nicht wie ihm geschieht. „Das ist wirklich sehr großzügig, Frau Schneider.“
Auf der Fahrt zum Booh bekomme ich das Grinsen kaum noch aus dem Gesicht. Zum einen freue ich mich, weil meine Magie mir tatsächlich mal aus einer misslichen Lage helfen konnte, und zum anderen freue ich mich für Herrn Marder, auch wenn mir klar ist, dass mein Geschenk viel zu überzogen ist, aber manchmal muss man zu solchen Mitteln greifen, um jemanden zur Eile anzutreiben. Hätte Elvira mir bereits früher von ihren Umzugsplänen erzählt, hätte ich vielleicht nicht zu so drastischen Mitteln greifen müssen. Andererseits schadet es einer zukünftigen Geschäftsinhaberin auch nicht, bei den hiesigen Kollegen einen Stein im Brett zu haben.
Ich kann es kaum erwarten, die Gesichter meiner Team-Mitglieder zu sehen, wenn ich ihnen erzähle, dass das Reisebüro doch nicht verloren ist und wir den Traum vom Hexenladen nun wirklich in die Tat umsetzen können!
Ich stelle meinen Bulli am Straßenrand hinter Chris´ Transporter ab. Kittys weißer Flitzer und der alte, orangene Jeep von Berny stehen bereits neben dem Gebäude, Naomis türkises Fahrrad lehnt an der Mauer vor dem Treppenabgang zum Booh. Freudig springe ich die Stufen hinunter und drücke die schmuddelige Tür mit der Aufschrift „ Lager – Zutritt nur für Personal “ auf. Warmer Geruch von Schinken, Bratkartoffeln und Kaffee empfängt mich, als ich um die Ecke gehe und ins Innere der Kneipe blicke.
Jason sitzt am Tresen, wie üblich einen Laptop, Tablet und diverse Handys vor sich ausgebreitet. Kitty und Naomi sitzen an einem der runden Tische im hinteren Teil und unterhalten sich bei einer Tasse Kaffee und einem Glas Limonade. Ich blicke um die Ecke und entdecke Chris und Berny auf der Eckbank. Mein Brustbein kribbelt eine Millisekunde bevor Chris den Kopf hebt und mich lächelnd ansieht.
„Hey“, sage ich und gehe auf die beiden zu.
„Hey Scar“, ruft Jason und hebt, ohne sich umzusehen, die Hand zum Gruß.
Auch Naomi und Kitty begrüßen mich, widmen sich dann aber wieder ihrem Gespräch, was mir eigentlich ziemlich gelegen kommt, da ich zuerst mit Chris alleine sprechen möchte.
Ich setze mich neben ihn und drücke ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Lippen. „Hast du noch Spuren der Eindringlinge im Wald gefunden?“, frage ich zuallererst.
Sofort wird Chris´ Blick ernster. „Ich habe sie bis zu der Stelle verfolgen können, wo ihr Wagen stand. Die Reifenspuren führen aber nur über den Waldweg aus dem Wald hinaus, dann verliert sich ihre Spur auf der Landstraße.“
Berny zieht die Augenbrauen hoch und blickt von Chris zu mir. „Eindringlinge?“
Chris seufzt und streicht sich durch sein halblanges, strubbeliges Haar. „Ja, vergangene Nacht war jemand am Haus.“ Und dann erzählt er ihm die ganze Geschichte und ich füge noch hinzu, warum ich gestern Abend nicht mehr zum Booh gekommen bin.
„Du wurdest verfolgt?“ Bernys Stimme fährt hoch und er räuspert sich, als er merkt, dass er die Aufmerksamkeit aller auf uns gezogen hat.
„Wer wurde verfolgt?“, ruft Kitty vom anderen Teil des Raumes herüber und kippelt mit ihrem Stuhl nach hinten, sodass sie unsere kleine Sitzgruppe besser im Blick hat.
Auch Naomi und Jason haben ihre Köpfe in unsere Richtung gedreht und warten gespannt auf eine Antwort. In Naomis Augen liegt Besorgnis, Kitty und Jason jedoch sind nur neugierig.
„Ich“, rufe ich und hebe die Hand. „Deswegen bin ich gestern Abend nicht mehr hierhergekommen. Ich wollte sie nicht direkt zum Booh führen.“
Einen kurzen Moment huscht etwas über Kittys Gesicht und ihre Miene wird tatsächlich sanfter. „Ach, ich dachte schon, du hättest bloß keine Lust gehabt, wieder unserem Geplapper vom Hexenladen zuzuhören“, bemerkt sie und wirft mit einer ihrer kalkweißen dünnen Hände eine schneeweiße Haarsträhne über die Schulter. Ihre violetten Augen blitzen auf und ich wende mich ab.
„Wer war es denn?“, setzt sie nach und ich höre ihre klackernden Schritte über den hölzernen Kneipenboden auf uns zukommen. „Wer hat dich verfolgt?“
Sie legt die Hände auf die Rückenlehne eines freien Stuhles an unserem Tisch und blickt auf mich herab. Mit einem Seufzer begegne ich ihrem Blick.
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