1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Später im Büro stellt sich bei mir ein sentimentales Gefühl ein. Auch wenn ich erst seit etwas mehr als einem Jahr von diesem geheimen Parapsychologen-Büro weiß, ist es mir doch sehr ans Herz gewachsen. Hier in diesem Raum habe ich von Elviras Tätigkeiten der vergangenen Jahre erfahren. Ich bekam zum ersten Mal einen Einblick in eine Welt, die mir bis dahin verborgen war. Dieses Büro war der Anfang von allem. Allein der Gedanke daran, dass sich hier vielleicht bald so etwas Profanes wie eine Versicherung niederlassen könnte, stößt mir sauer auf. Genau wie der Umstand, dass ich nie wieder Elviras Wohnung betreten könnte. Diese Wohnung war, nachdem Mama ins Koma gefallen ist, mein zweites Zuhause. In diesem ganzen Haus stecken so viele Erinnerungen, gute wie auch schlechte, die ich nicht einfach so aufgeben will. Auch wenn ich nichts dagegen unternehmen kann, dass Mama und Elvira wegziehen, aber dieses Haus nehmen sie mir nicht weg!
Hastig sammle ich die Papiere mit meinen Notizen von den Anrufern auf und stecke sie in meine Handtasche, bevor ich festen Schrittes das Reisebüro verlasse und um die Hausecke herum auf Elviras Eingangstür zumarschiere. Ich drücke dreimal hintereinander energisch auf den Klingelknopf, als ich beim dritten Klingeln Elviras Stimme höre.
„Ich komme ja schon, immer mit der Ruhe!“, höre ich sie dumpf rufen und die Treppen hinuntersteigen. Die Tür wird aufgerissen und ich blicke in das mürrische Gesicht meiner Tante. „Scarlett“, japst sie, halb wütend, halb verwirrt.
„Elvira, ich möchte, dass du mir das Vorkaufsrecht einräumst.“ Meine Stimme ist klar und deutlich, trotzdem wirkt meine Tante noch verwirrter, als noch in der Sekunde davor.
„W-was?“
Ich straffe die Schultern und ziehe den Gurt meiner Tasche zurecht. „Du hast mich schon verstanden. Ich bitte dich um das Vorkaufsrecht. Bestelle den Makler wieder ab, denn ich werde das Haus kaufen.“
Einen Moment lang sehen wir uns schweigend in die Augen, dann beginnt der Mundwinkel meiner Tante zu zucken.
„Kindchen, du hast doch gar nicht so viel Geld, was soll…“
„Wieviel Geld ich habe oder nicht, geht nur mich etwas an“, unterbreche ich sie barsch. „Wieviel verlangst du?“
Sie schluckt. „Zweihunderttausend.“
Ich schaue an der Hausmauer empor und wieder hinunter. „Einhundertachtzig. Es ist doch arg renovierungsbedürftig.“
Ihre Augen werden groß. „Hat Chris dir…“
Wieder unterbreche ich meine Tante. Unter normalen Umständen hätte sie das niemals zugelassen, doch in diesem Moment sind wir nicht Tante und Nichte, sondern Verkäufer und Käufer.
„Chris hat hiermit nichts zu tun. Bist du mit Einhundertachtzig einverstanden?“
Ihre Lippen zucken, sie wägt ihre Antwort ab. Dann endlich, als ich fast vor Anspannung zu platzen drohe, nickt sie. „Okay, aber nur, wenn du es dir wirklich leisten kannst.“
Meine Hand schnellt vor und sie ergreift sie zögerlich. „Abgemacht. Bis Ende der Woche bringe ich dir das Geld“, sage ich großspurig, ohne wirklich zu wissen, ob mein Plan überhaupt aufgeht.
Wir schütteln einander die Hände und ich verabschiede mich rasch, bevor ich meine seriöse Haltung nicht länger aufrechterhalten kann und zu kichern beginne.
Erst, als ich um die Hausecke herum aus ihrem Blickfeld verschwunden bin, breitet sich ein dickes Grinsen auf meinem Gesicht aus und ich hüpfe vor Freude.
„Kommen Sie bitte mit in mein Büro“, sagt Juwelier Marder und streicht sich nervös über seine glänzende Stirn.
Er wirkt fahrig und überrumpelt von meinem Anliegen. Sein Blick gleitet über die Kundschaft im Laden, dann zieht er seine braune Weste glatt und justiert danach seine Manschettenknöpfe, während er mir den Zutritt hinter die Ladentheke gewährt. Ich folge ihm durch eine Tür im hinteren Bereich des Geschäftes mit der Aufschrift Privat. Sofort wird man von stickiger Heizungsluft und dem Geruch von gebratenen Zwiebeln empfangen. Er geht voraus durch einen dunklen Flur, vorbei an offenstehenden Türen zu einem Wohnzimmer und einer Bibliothek, bis er schließlich an einer Tür stehenbleibt und einen Schlüssel aus seiner Hosentasche zieht. Seine Finger zittern, als er ihn ins Schloss führt und sein Büro aufschließt.
„So etwas kommt schließlich nicht alle Tage vor“, sagt Herr Marder und blickt nervös zu mir hoch.
Ich erwidere sein Lächeln und nicke dem nur einen Meter fünfzig großen Mann zu. „Das denke ich mir.“
Sein Büro ist ein kleiner Raum mit dunkelgrünen Wänden, in dessen Mitte ein klobiger Schreibtisch aus Eiche rustikal steht. Eine kolossale Schrankwand dahinter hat denselben Holzton und insgesamt sind drei Ledersessel um den Tisch herum verteilt.
Der alte Juwelier geht zwischen Schrankwand und Schreibtisch hindurch und nimmt in einem der Sessel Platz. Ich setze mich ihm gegenüber und betrachte die goldenen Figuren, die auf der Ecke des Tisches stehen. Es sind zwei Schwäne, dessen Bäuche aus funkelnden Kristallen bestehen.
„Dann zeigen Sie mal her, Frau Schneider“, fordert er mich auf und legt eine Briefwaage vor sich auf der dunkelgrünen Schreibtischunterlage ab.
Ich zucke bei der Erwähnung meines ursprünglichen Namens kurz zusammen, doch er scheint es nicht bemerkt zu haben. Mit vor Nervosität schwitzigen Händen greife ich in meine Hosentasche und hole die erste Handvoll Rohdiamanten heraus.
Eine von Herrn Marders buschig grauen Augenbrauen schnellt nach oben, als er sieht, wie stümperhaft ich mit den teuren Steinen umgehe. Doch sein Misstrauen weicht direkt purer Begeisterung, als sein Blick auf die Steine fällt.
„So viele?“ Seine Hände legen sich schützend um die Steine und seine Augen werden immer größer, als ich die zweite Handvoll dazulege. „Ach, du liebes bisschen!“
Ich gebe ihm einen Moment Zeit, um sich zu fassen und beobachte ihn dabei, wie er die Bänkerlampe anknipst und dann mit einer Lupe ein paar der Steine genauer betrachtet.
„Und was meinen Sie? Können wir die verkaufen?“
Seine Augen glitzern wie die Bäuche der Goldschwäne, als er von den Diamanten zu mir schaut. „Natürlich! Sie sind exquisit, soweit ich das bis jetzt beurteilen kann“, lässt er mich wissen, doch dann wird sein Gesichtsausdruck ernster. „Aber sagen Sie, wie kommen Sie zu so vielen Diamanten?“
Mit dieser Frage habe ich gerechnet und mir eine plausible Lüge zusammengedichtet. „Ich habe sie geerbt“, antworte ich und schlage die Beine übereinander. „Meine Großmutter hat sie mir vererbt.“
„Und woher hat ihre Großmutter die Diamanten?“, fragt er weiter und wirkt nun wieder etwas nervös. „Sie müssen wissen, mit Blutdiamanten will kein Juwelier etwas zu tun haben.“
Ich nicke und versuche möglichst milde und gelassen auszusehen. „Natürlich, Herr Marder. Aber meine Großmutter war früher lange Zeit in der Sowjetunion und hat die Steine dort selbst geschürft. Nach Kriegsende hat sie sie mit nach Deutschland genommen.“
Nichts davon ist wahr, aber diese Geschichte schien mir am plausibelsten und am schwierigsten zu widerlegen.
Herr Marder nickt und sein Lächeln kehrt zurück, was mich wieder entspannter werden lässt. „Herkunftszertifikate haben Sie wahrscheinlich nicht, oder?“
Ich lege den Kopf leicht schief und verneine wehmütig.
Der Juwelier betrachtet ein paar besonders große Exemplare eingehend mit einer Kaltlichtlampe und nickt schließlich. Dann lehnt er sich zurück und sieht mich zufrieden an. „Da sind ein paar wirklich wunderschöne Steine dabei, Frau Schneider.“
„Können wir sie verkaufen?“, hake ich nach und räuspere mich, als mir die Ungeduld in meiner Stimmlage auffällt.
„Sie haben Glück“, sagt er und legt die Lupe auf den Tisch. „Ein alter Freund und geschätzter Kollege von mir wollte mich Ende der Woche eh besuchen. Er ist auf den An- und Verkauf von Diamanten spezialisiert. Wenn Sie wollen, können wir uns noch einmal zusammensetzen und ihm die Steine zeigen. Er hat auch Adressen, wo man ungeschliffene Steine ohne Herkunftszertifikat am besten verkaufen kann. Oder vielleicht möchten Sie die Steine zuerst schleifen lassen. Geschliffen bringen Sie natürlich noch mehr ein.“
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