Ludwig verharrte in Unschlüssigkeit, wo er als Nächstes nach Informationen graben und wen er noch oder nochmals ausquetschen konnte. Wer schied als Outsider aus und wusste nichts und wer gehörte in den Kreis der Insider, verhüllte sich aber noch? Und hatte es Ludwig überhaupt schon geschafft, zu einem auskunftsfreudigen Auskenner vorzudringen? Er konnte es nicht sagen.
Er fühlte sich wie ein Autor mit Schreibblockade, der vor einem weißen Blatt Papier saß und nichts zustande brachte. Er brauchte einen Tipp. Doch wer konnte helfen?
Bentheneder? Wohl kaum.
Anton? Der Junge war so – wie sollte man sagen – verschlossen.
Toni? Dann konnte Ludwig auch gleich einen Zettel bei ihm abgeben, dass er keine Ahnung hatte. Ähnliches galt für Barbara.
Elvira Karl? Die traf er beinahe täglich und die hätte es ihm schon unter die Nase gerieben, wenn es da irgendwo irgendetwas gab, dem er sich annehmen sollte.
Benny und Peter? Da konnte man nochmals einen Versuch starten. Benny hatte doch über die Jahre immer mal wieder als Handwerker auf der Ranch gearbeitet, um Sachen zu bauen oder auszubessern.
Ludwig wollte sich wieder gern im Wirtshaus mit Benny treffen, aber das klappte nicht. Benny gab sich am Telefon kurz angebunden. Lust hätte er schon, aber Zeit hätte er keine. Ludwig dachte sich, dass die Wiedersehensfeier letztens wahrscheinlich nicht nur den Männern auf den Magen geschlagen war, sondern auch Bennys Frau. Vermutlich fand sie es nicht lustig, dass Benny hinterher ein eher „langsames“ Wochenende hatte mit einer schneckenhaften Dynamik bei Haushalts- und Kinderbetreuung und mit wenig Aufmerksamkeit gegenüber seiner besseren Hälfte.
Na gut, wenn Benny keine Zeit hatte, dann musste ihn Ludwig eben gleich am Telefon fragen. Ob Benny bei seinen Handwerkerprojekten auf der Ranch über die Jahre hinweg etwas aufgefallen sei?
Nein, eigentlich nicht. Toni gab den Ton an und gab auch immer die Anweisungen direkt an die Handwerker. Lediglich sein Cowboyhut wechselte von Zeit zu Zeit; er tauschte ihn gelegentlich gegen einen frischen aus, um neuen Glanz zu verbreiten. Abgetragene Hüte waren nicht sein Ding.
Andere Leute auf der Ranch, die da nicht hingehörten?
Tja, Spekulanten oder Investoren klopften wohl über die Jahre von Zeit zu Zeit an die Tür. Ein erkennbares Projekt entstand hingegen nicht daraus.
Wer schaute sonst noch vorbei?
Ja, der Schmied, für Hufeisen. Das gehörte zum Standardprogramm. Dann noch der Tierarzt, aber den brauchte man ja ebenfalls. Den hielt Ludwig schon für interessanter. Hatte der mal gewechselt? Nö, es blieb immer der gleiche. Vielleicht sollte er sich mal mit dem unterhalten?
Damit kam das Telefonat auch schon zum Ende. Na gut, mit dem Tierarzt zu reden, das konnte ja nicht schaden. Dümmer wurde man davon nicht. Aber es hatte für Ludwig keine allerhöchste Priorität, denn ein Tierarzt gehörte zum Pferdehof wie die Werkstatt zum Auto. Das stellte also nichts Besonderes dar. Er ging das bei Gelegenheit an.
Dafür beschäftigte ihn eine andere Sache: Der Winter brach herein – ungewöhnlich zeitig – und mit ihm die Kälte. Rundgänge auf der Ranch verliefen im vergleichsweise lauen Herbst weitaus angenehmer als im beißenden Frost. Die Objektsicherung gestaltete sich nicht zuletzt wegen des kürzeren Tageslichts mühseliger und gleichzeitig nach Spuren suchen musste Ludwig ja ebenfalls. Das konnte für den Rest des Jahres nicht mehr so weitergehen.
Irgendwann kam der Advent auf leisen Sohlen geschlichen, später gefolgt von der Zeit des Jahreswechsels, gepaart mit der Gelegenheit für gute Vorsätze: Dann standen beim Discounter, der die Sorgen und Bedürfnisse seiner Kunden kannte, wie in jedem Jahr zu dieser Zeit all die Hanteln und anderen Sportgeräte herum, um die frommen Pläne auch in die Tat umzusetzen.
Ludwigs gute Vorsätze existierten aber schon jetzt, im alten Jahr, und waren mehr auf Fortschritt bei seinen Ermittlungen als auf sportliche Fitness getrimmt. Und er musste sich eingestehen, dass er alleine nicht gut vorankam. Was es auf der Ranch zu beobachten gab, hatte er beobachtet. Auch kannte ihn hier mittlerweile jeder. Wenn also jemand etwas im Schilde führte, dann zog er das tunlichst nicht zu Ludwigs Präsenzzeiten durch. Außerdem schien es geboten, die Bewachung auf die Nachtstunden auszudehnen, zumindest ab und zu. Das trieb mögliche Gauner in die Unsicherheit. Die mussten dann nicht nur mit der Überwachungskamera, sondern mit echten Hilfssheriffs aus Fleisch und Blut rechnen und die vermochte man nicht derart leicht auszutricksen wie einen stummen und unbeweglichen Aufnahmeapparat.
Einen Helfer zu haben lautete Ludwigs liebste Lösung. Doch wie konnte er Toni davon überzeugen? Er überlegte angestrengt und suchte nach gewinnenden Argumenten, als er mal wieder auf der Fahrt zur Ranch in seinem spärlich beheizten Jeep fröstelte. Der Big Boss musste das Geld für den Helfer lockermachen, denn Ludwig konnte sich die Mittel weder aus den Rippen schneiden, noch von seinem eigenen Lohn abzweigen.
Alles wäre ein Kinderspiel, wenn er schon mit x Untersuchungsergebnissen glänzen konnte oder aber seine Wichtigkeit auf andere Weise aufblitzen ließ. Doch dazu hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben, etwa einen Dieb auf frischer Tat zu ertappen und mit dem Lasso dingfest zu machen – wie ein richtiger Cowboy.
Ludwigs Fahrt ging schon fast zu Ende. Er rollte gerade auf die Ranch und in Richtung Parkplatz, wo er immer den Wagen abstellte. Er kam sich schon wie ein Arbeiter vor, der jeden Tag brav zum Fließband fuhr. Folgte wieder einer dieser austauschbaren, beschaulichen Tage?
Nichts da! In der sonstigen Wohlordnung schrien Männer durcheinander und versuchten, sich zu ordnen. Einer knallte hinter Ludwig das große Tor zu, der Jeep konnte gerade noch passieren. Aus der Richtung der Ställe schallte lautes Quieken von jungen Reiterrinnen herüber, die ihrer Angst vor einer Gefahr Luft machten. Und in all das Schreien mischte sich Pferdegetrappel. Ludwig stellte eilig den Jeep ab und stieg aus. Er stand doch als der Sicherheits-Mensch hier in der Pflicht und Quieken mit Getrappel klang nicht nach Sicherheit.
Und da sah er die Bescherung schon: Über die Hofstraße jagte ein durchgegangenes Pferd, mit Sattel und Zaumzeug. Sein Reiter rannte hinter ihm her und bedeutete ihm stehenzubleiben, doch ohne Erfolg. Der eine oder andere Ranch-Bedienstete stellte sich dem Vierbeiner in den Weg, aber der ließ sich nicht aufhalten. Die Leute spritzten auseinander. Einige schrien dabei.
Gut, dass jemand das große Tor geschlossen hatte, sonst hätte sich dieses wilde Ross noch selbst auf die Liste der abhandengekommenen Pferde gesetzt. So wie das Tier drauf war, hätte es erst an der tschechischen Grenze haltgemacht.
Ludwig schaltete blitzschnell. Jeep-Auto-Tür wieder auf, sein Lassoseil gegriffen. Oder besser gesagt: Spiel-Seil? Egal. Hin in Richtung Pferd. Jetzt nur nicht die Ruhe verlieren. Das Tier hatte abgebremst. Es tänzelte am Tor entlang, wie eine Fliege an der Fensterscheibe auf der Suche nach einem Weg in die Freiheit.
Dort hatten sich inzwischen schon zu viele Leute angesammelt, der Reiter vornedran, um das Tier aufzuhalten. Also konnte es nicht quer über die Ranch wegrennen. Doch wenn sich ihm jemand näherte, stob es wild schnaubend ein paar Meter weiter. Und dieses Biest wirkte stattlich, hatte Masse und Muskeln, wie alle Pferde hier auf der Ranch. So einfach bekam man es nicht zu fassen.
Ludwig ging festen Schrittes näher. Ehrfürchtig teilte sich die Menschenansammlung vor ihm. Manche griffen sich an den Kopf: Was wollte der mit dem Lasso? Hatte er zu viele Western gesehen? Ludwig war das schnuppe, denn er hatte die Grenze zur Tat bereits überschritten: Er hatte das Seil in der Hand, sein Vorsatz kam überdeutlich herüber und er konnte es jetzt nicht mehr weglegen.
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