„Na, aufdringliche Vertreter abgewimmelt?“, fragte Ludwig scheinheilig, als handelte es sich um Leute, die den neuesten Staubsauger angepriesen hatten und die man mit knapper Not des Feldes verweisen konnte.
„Ja, kann man so sagen“, erklärte Anton unverbindlich.
Verflixt, musste man dem Jungen alles aus der Nase ziehen? Ludwig wollte versuchen, ihn aus der Reserve zu locken. Doch wie?
„Staubsauger?“ Ihm fiel nichts Besseres ein. Irgendetwas musste er sagen, um Antons Mitleid mit seiner Unwissenheit herauszufordern und um die gewünschte Information herauszukitzeln.
„Projektentwickler“, ließ Anton aufblitzen und schwang sich auf zu gehen. Damit sendete er das Signal aus, dass Ludwig keine langen Erklärungen erwarten konnte. Aber in seinem Kopf machte es Klick und er verband das Wort Projektentwickler von soeben mit dem Wort Spekulant, das er gestern im Wirtshaus von Peter und Benny durch den Nebel des Alkohols hindurch gehört hatte.
„Ah, das sind die, die die All-Inclusive-Ranch entwickeln wollen“, spekulierte Ludwig, setzte dazu ein wissendes Lächeln auf und alles auf eine Karte.
Anton überlegte.
Ludwig lauerte.
Jetzt entschied sich, ob sich der Junge ihm gegenüber eher verschlossen oder offen gab.
„Ja, kann man so sagen“, sagte Anton abermals und Ludwig ärgerte sich, dass das anscheinend seine Lieblingsantwort darstellte. Aber immerhin kam er dem Ziel näher: Das mit den Spekulanten oder Entwicklern, wie auch immer man die nennen wollte, war bestätigt.
Und Anton buchte das Gespräch bis hierhin ebenfalls unter Sieg ab, denn er hatte kein Wörtchen gesagt, was dieser oberschlaue Donner-Frager nicht sowieso schon zu wissen schien.
Ludwig erinnerte sich an den alten Spruch aus einem Vorgesetzten-Training, das er mal belegte: Wer fragt, der führt. Und so trachtete er danach, das Katz-und-Maus-Spiel noch ein kleines Stück fortzusetzen: „Aber das wollt ihr nicht.“
Anton nickte: „Warum auch? Wir können die Ranch selber gut führen.“ Er machte eine ausladende Geste nach der Art: Sehen Sie sich doch um, wie alles am Schnürchen läuft!
Jetzt nickte Ludwig und er nahm dem jungen Anton ab, dass er mit dem älteren Toni in diesem Punkt auf einer Wellenlänge lag. Anton hatte ja auch die Visitenkarte der Projektentwickler abgewehrt. Damit schien die Spekulanten-Sache geklärt, zumindest fürs Erste.
Womöglich hatten die Männer im feinen Zwirn ja auch ein Angebot abgegeben und das lag einfach noch zu niedrig? Geld regierte die Welt und mit genug Anreiz war alles möglich, wenn’s sein musste, dann eben auch später.
Und da Ludwig nun schon einmal im Gespräch mit Anton stand, wollte er noch nachbohren, ob die beiden Kohlbayr-Männer immer so ein Herz und eine Seele waren, wie es den Anschein hatte. Ein guter Statiker suchte auch nach Rissen im Gebäude. Und eine Kluft nach außen zu zeigen, das war eben nicht gerade Tonis Art. Also musste Ludwig hier bei seinem Sohn Anton forschen.
„Sie sind die rechte Hand Ihres Vaters?“, sagte er halb als Frage und halb als Feststellung. Und er verwendete das formalere Sie, schließlich war dieser junge Mann hier schon 23 Jahre alt und ein informelles Du hätte die Art vereinnahmender Vertraulichkeit suggeriert, die sich Ludwig nicht gern nachreden lassen wollte. Er arbeitete als unabhängiger Ermittler und unbedarftes Zwischenmenscheln stellte dabei nur einen Stolperstein dar. Also lieber auf Distanz bleiben. Ludwig war fest auf ein „Ja, das kann man so sagen“ als Antwort gefasst.
Aber Anton konnte überraschenderweise auch anders: „Ich gebe mir alle Mühe.“
„Und Sie machen immer alles, was ihr Vater vorgibt?“, marschierte Ludwig entschlossen weiter auf dem Weg der Informationsbeschaffung. Im gleichen Moment bereute er aber seine Frage, denn die taugte mehr als Vorwurf denn dem Zwecke des Erkenntnisgewinns.
Doch Anton brachte das nicht aus dem Gleichgewicht: „Er sagt, wo’s langgeht.“ Er warf damit wieder so einen Satzbrocken hin, der keine Neuigkeiten hervorbrachte.
Da Ludwig jetzt schon einmal auf der Provokationsschiene fuhr und sich unbeliebt gemacht hatte, konnte er auch da bleiben: „Und wenn Sie mal woandershin wollen als er?“
Anton lächelte nur milde: „Sie wissen doch: Ein Kohlbayr kennt Räson.“
Und jedes Familienmitglied musste offensichtlich bis zu seinem 18. Geburtstag alle Kohlbayr-Sprüche auswendig lernen, schoss es Ludwig durch den Kopf. Aber dieser junge Mann gab entweder einen so guten Diener ab, dass zwischen ihn und seinen Vater kein Blatt passte oder er war derart aalglatt, dass das schon Respekt abverlangte.
Ludwig wusste nicht so richtig, was er mit ihm anfangen sollte. Die Kohlbayrs beendeten ja eine Auseinandersetzung oft auch dadurch, dass sie polterten und damit klarmachten, dass eine Entgegnung zwecklos war. Diesem Mittel hatte sich der junge Anton hier zum Glück noch nicht bedient. Er verkörperte damit doch einen Fortschritt in der Familienchronik, dachte sich Ludwig. Und er ließ den Jungen ziehen. Ob sich Anton Kohlbayr Nibelungen-treu gegenüber seinem Vater gab oder einfach eine elegante Klinge schwang, das konnte er später noch herausfinden. In jedem Falle musste Toni stolz auf seinen Sohn sein.
Wenn Ludwig hingegen an das Verhältnis zu seiner Tochter Callista dachte, dann kam das Wort „Stolz“ in dieser Erinnerung nicht vor. Nicht für ihn und nicht für sie. Das war zwar nicht immer so gewesen, aber es ergab sich im Laufe der Zeit.
Carrie und Ludwig bekamen Callista einfach so, ohne großen Plan. Das lag mittlerweile über 19 Jahre zurück. Aber da sie damals nun einmal auf dem Wege waren, Eltern zu werden, ließen sie es zu und Callista betrat diese Welt und nahm sie in Besitz. Ihr Name verhieß ihr, „die Schönste“ zu sein, und ein liebliches Kind war sie ohne Zweifel.
Doch die Zeit verstrich schnell, in der allein der Liebreiz des Kindes eine Familie wie eine dicke Eisschicht über dem tiefen Wasser der Meinungsverschiedenheiten trug. Callista war gescheit, lernte sprechen und entwickelte, ihrer Mutter gleich, einen ausgeprägten Sinn für Widerworte. Den setzte sie konsequent ein. Reibereien mit den Eltern blieben unausweichlich.
Jahre später, am Ende der Entwicklung, stellte Ludwig für sie eine Art Nichts auf zwei Beinen dar.
Dabei fing alles gut an und sie hatte als Kind zu ihm aufgeschaut, so wie all die Kleinen zu ihren scheinbar allwissenden Vätern aufschauen. Doch die Bereitschaft seiner Tochter, ihn zu achten, zerstörte Ludwig ungewollt, aber dafür nachhaltig. Er behandelte sie stets als Kind. Hatte sie eine Frage, tat er überlegen und erklärte es ihr, so gut er es eben verstand. Doch mit der Zeit wurden ihre Fragen kniffliger und Ludwigs bequemes Polster der Überlegenheit schmolz immer weiter ab. Wenn er dann etwas nicht wusste oder die Diskussion ihm einfach zu lästig vorkam – ja, diese Göre konnte einem schier Löcher in den Bauch fragen – da raunzte er ungnädig: „Das verstehst du noch nicht!“ Dieser Satz brannte sich in Callistas Kopf ein.
Lag das echt an ihr? Eigentlich nicht, denn sie wollte doch gerne alles wissen und verstehen! Warum behandelte er sie also so? So kindisch, so lieblos.
Überdies war Callista der geborene Weltverbesserer. Schon früh entwickelte sie grüne Ansichten, von der Bewahrung der Natur. Zwar interessierte sich jedes Kind für Tiere und für den Naturschutz, aber Callista meinte es wirklich ernst. Als Teenager vermeldete sie beim Abendessen, dass die Industrie und ein paar Gauner sowie ihre Unterstützer aus der Politik die Bürger am Gängelband durch die Arena führten. Vielleicht hatte sie das aufgeschnappt. Vielleicht war sie auch selber darauf gekommen. Beispiel gefällig? Die Fischfangquoten. Das vermittele doch alles nur einen schönen Schein, sagte sie. Dabei sollte man lieber gar keine unschuldigen Fische mehr aus dem Wasser ziehen. Ludwig erdreistete sich, sie zu fragen, was sie denn sonst bitteschön zu essen gedachte.
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