Sheyla McLane
Die Rache des Mondes
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Inhaltsverzeichnis
Titel Sheyla McLane Die Rache des Mondes Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Impressum neobooks
Im Reich Eframon
Itamo rannte, spürte kaum mehr den Boden unter den Füßen. Sein Atem rauschte in seinen Ohren. Um ihn verschmolz das Buschwerk zu einer grünen Masse, durch die kaum Licht, wohl aber die Rufe seiner Verfolger drangen. Sie kämpften zornig gegen das Dickicht an, das sie daran hinderte, seine Spur aufzunehmen.
Es war, als würden alle Pflanzen sich bei den Händen halten. Ineinander verschlungene Zweige, Kletterpflanzen und Gestrüpp stellten sich einem wie eine kilometerdicke grüne Wand entgegen, es sei denn, man kannte die Pfade, die hindurchführten. Itamo war jede Wurzel, jeder herabhängende Ast seit seiner Kindheit vertraut. Wie von selbst wich er Stämmen aus, griff nach Schlingpflanzen, an denen er sich über Sumpflöcher und Dornenbüsche schwang, und übersprang die Erdnester der Bienen. Der Bogen, der wie eine Schärpe über seine Schulter hing, behinderte ihn nicht. Gleich einem fliegenden Vogel bewegte Itamo sich in seinem Element. Sein Körper war eins mit dem Geist dieses Ortes, den er liebte, als seien die Wege des Waldes seine Adern, und der Geruch der Erde das Blut, das in ihnen floss.
Seine Sippe hatte sich in diesen dicht verwachsenen Teil des Waldes zurückgezogen, um sich vor dem Zugriff der königlichen Familie zu schützen. Der Stamm der Oduaki, dem Itamo angehörte, blieb nie länger als einen Sonnenkreis lang am selben Ort. Die Pfade, die sie nutzten, waren so sorgfältig angelegt, dass sie in der undurchdringbar scheinenden Irre des Dickichts kaum zu erkennen waren und selbst wenn ein Unwissender sie zufällig entdeckte, führten sie ihn unweigerlich in die Orientierungslosigkeit.
Dank des Wissens, das die Oduaki mit dem Wald verband, hatte es seit vielen Jahren keine Entführung mehr gegeben. Die Jäger der königlichen Familie hatten die Oduaki nicht erreichen können - bis heute.
Sie stürmten das Lager, gewaltsam und roh, wie es ihre Art war. Einige, darunter Itamo, hatten die Jäger angegriffen, doch sie mussten einsehen, dass sie nichts gegen die Übermacht ausrichten konnten, außer ihren Familien einen Vorsprung zu verschaffen, den sie zur Flucht nutzen konnten. Ein Wurfmesser traf Itamos Cousine in den Kopf, als sie versuchte, ihre Tochter vor den Jägern in Sicherheit zu bringen. Itamos Bruder hatte das weinende Mädchen aus den Armen seiner sterbenden Mutter befreit und war auf einem Weg, der parallel zu seinem verlief, mit ihm in den Wald geflohen.
Zum Glück war es den Jägern nicht gelungen, das Lager zu umzingeln. Obgleich die königliche Familie ohne Unterlass Späher in den Wald schickte, hatten sie von den hunderten Pfaden nur einen einzigen entdeckt und sicher waren Wochen vergangen, bis sie seinen Verlauf nachvollziehen konnten. Viele Späher wurden ausgesandt, aber wenige lebten lange genug, um ihren Herrinnen Bericht zu erstatten. Itamo selbst hatte mehr von ihnen getötet, als Blütenblätter den Kelch einer Baumlilie schmückten. Sie waren wie Fliegen, die aus den Därmen stinkenden Aases gekrochen kamen, doch niemand sah, woher und aus welcher Richtung. Sie schienen zahllos zu sein, aufdringlich, aber ebenso hilflos, wenn sie in die Falle gegangen waren, und selbst wenn man eine zerquetschte, kamen immer neue nach.
Abrupt blieb Itamo stehen. Vor ihm lichtete sich das Buschwerk. Der Ort, an dem die Oduaki sich sammeln würden, war ganz in der Nähe. Er konnte ihre Stimmen erahnen und das beunruhigte Itamo mehr als die Jäger in seinem Rücken. Etwas war nicht so, wie es sein sollte. Sie mussten sich still verhalten, wenn sie die Feinde nicht auf ihre Spur locken wollten.
Er schob sich durch das Unterholz, nun langsam und auf jedes Geräusch bedacht. Je näher er den Stimmen kam, desto deutlicher spürte er ihre Angst. Seine Fußsohlen kribbelten. Ein kaum wahrnehmbares Beben breitete sich aus, durchlief die abertausend Wurzeln des Waldes und erfasste seine eigenen Wurzeln. Er wusste, was es bedeutete. Seine Familie litt Schmerzen. So, wie es den ganzen Wald erschüttert, wenn ein Baum fällt, durchlitt Itamo die Angst seines Vaters, seiner Mutter, seiner Geschwister und deren Kinder. Ihr Fleisch war die Wurzel, die sie alle miteinander verband, ihre Sensitivität die heilige Verbindung zum Leben und zur Weisheit der Bäume.
Vor ihm lag die Lichtung, auf der die Oduaki sich gesammelt hatten. Itamo spähte durch das Buschwerk hindurch. Jäger umstellten sie, stießen immer wieder in die sich ängstlich zusammendrängende Menschenmenge und zerrten sie auseinander, trennten die Frauen von ihren Männern, rissen ihnen die Kinder aus den Armen, und so sehr sie auch weinten und flehten, die Jäger blieben unerbittlich. Dann zerrten sie die Alten fort, die Großmütter und -väter, stießen denen, die nicht schnell genug fortkamen, den Schaft ihrer Klingen in den Rücken.
Itamo begriff, dass es den Jägern nie darum gegangen war, das Lager einzukreisen. Vielmehr waren sie geschickt worden, um die Oduaki aufzuscheuchen. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hatten sie den Ort gefunden, den der Stamm in einer Notsituation aufsuchte, und hatten sie hier erwartet.
Es blieb ihm nichts übrig, als in seinem Versteck darauf zu harren, was als Nächstes geschehen würde.
Angestrengt suchte er in der Menge nach seinen Verwandten. Er konnte seine Mutter in der Gruppe der Frauen ausmachen. Sein Vater war unter den Alten, die die Jäger offenbar ausgemustert und an den Rand der Lichtung abgedrängt hatten. Einige flohen in den Wald zurück, die Jäger hinderten sie nicht daran. Doch Itamos Vater nutzte die Gelegenheit nicht. Er hob den Kopf und fixierte einen Punkt am anderen Ende der Lichtung. Mit seinem Kranz aus verfilztem Haar ähnelte er einem ergrauten Löwen.
Er folgte dem Blick seines Vaters über das Gedränge hinweg und Hass stieg wie kochend heißer Dampf in ihm auf. Dort stand ein Pferd, mager und langbeinig wie ein Windhund, mit hellgoldenem Fell. Es trug eine Frau auf seinem Rücken, unverkennbar ein Mitglied der königlichen Familie. Sie war jung, fast noch ein Mädchen, doch ihre Schönheit übertraf alles, was Itamo je als schön empfunden zu haben glaubte. Ihre Haut erinnerte ihn an dunklen Honig, viel heller als die seine. Selbst über die Entfernung, die zwischen ihnen lag, meinte er, ihr von dichtem, schwarzem Haar umrahmtes Gesicht zu erkennen. Sie wirkte beinahe gelangweilt.
Er verstand den Hinweis seines Vaters und insgeheim erfüllte es ihn mit Stolz, wie klug und gefasst der alte Mann sich verhielt.
Itamo zog einen Pfeil aus seinem ledernen Köcher und spannte den Bogen. Er ahnte, dass sich außer ihm noch andere im Schutz der Bäume verbargen. Womöglich zielten in diesem Moment ein Dutzend Pfeile auf die Anführerin, die nichtsahnend mit der Mähne ihres Pferdes spielte und auf die Oduaki herabschaute. Auf die Frauen, die flehend die Hände nach ihren Kindern streckten. Zu den aufbegehrenden Männern, die von den Jägern in Schach gehalten wurden. Itamo konnte sehen, wie sie den Blick über sein Volk schweifen ließ, das furchtsam ihrem Urteilsspruch entgegensah, und sie lächelte. Angesichts ihrer Macht und der vielen Schicksale, die ihr zu Füßen lagen, verzog ihr Mund sich zu einem abscheulich schönen, zufriedenen Lächeln. Wenn Itamo noch einen Ansporn gebraucht hätte, wäre allein das Grund genug gewesen, sie zu töten.
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