Selbst die Diener, die Getränke ausschenkten und das Buffet richteten, waren junge Burschen. So blieben alle Augen auf Lada gerichtet. Die Männer umringten sie, während sie tanzte, einen aus ihren Reihen pflückte und ihm ihre Nähe schenkte, nur wenige Schritte lang, bevor sie ihn an seinen Platz zurückverwies und noch in der Bewegung die Hand des nächsten ergriff.
Wie der Wind einen Weidenzweig wiegt, der sich ins Wasser neigt und stetig kreisförmige Wellen erzeugt, so trieb Lada in der Mitte der Männer umher, getragen vom Takt der Musik. Blair fühlte sich an einen Kreisel erinnert, der von unersättlichen Kindern immer von Neuem angestoßen wird, ihrer Lust ausgeliefert und verdammt dazu, sich um sich selbst zu drehen.
Das Unbehagen, das ihn bei seiner Ankunft befallen hatte, verstärkte sich. Die Wenigen, die noch mit ihm an der Tafel saßen und dem Treiben als unbeteiligte Beobachter beiwohnten, waren Männer wie Ivar, die nie das Bett mit Lada geteilt hatten. Von den Freiern aber blieb Blair der einzige, der nicht den Tanz Brust an Brust mit ihr suchte. Noch letztes Jahr war er unter ihnen gewesen, hatte ihr zugerufen und sie im Kreis umhergewirbelt. Heute schmerzte das Gejaule der Geige in seinen Ohren und die Stimmen machten ihn nervös. Er wollte den Kreisel nicht anstoßen, nicht der sein, der ihn zwang, zu tanzen.
Dem zum Trotz dachte er: Denjenigen, der den Kreisel dreht, trifft keine Schuld daran, dass der Kreisel ist, was er ist. Der Kreisel kann nicht anders, als sich zu drehen, weil er zu nichts anderem nutze ist.
Genau so verhielt es sich mit Lada. Er trug keine Verantwortung für das, was sie war – wollte sie nicht tragen, so oft er sich ihrer auch bediente.
Blair erinnerte sich an Ivars Worte, sah noch einmal zur Tanzfläche und horchte in sich hinein, auf der Suche nach Eifersucht. Etwas, das Gefühle für Lada bezeugte. Aber er fand nichts dergleichen. Nur Mitleid.
Da tauchte es von Neuem auf, Lilenes Bild in seinen Gedanken. Wie sie am Abgrund kauerte, innerlich bereits ganz in der Tiefe versunken, hypnotisiert vom tosenden Malstrom des verhexten Burggrabens. Diese Erinnerung wucherte in ihm wie ein Geschwür, das all die kostbaren Momente fraß, die er und Lilene erlebt hatten. Ihre gemeinsamen Stunden der Leidenschaft, Lilenes gütige Wesensart, Estanas Geburt, all das verblasste zu blassem Dunst, der vor dem Schmerz des Verlustes zurückweichen musste.
Es wurde spät und Blair hatte soeben beschlossen, das Fest zu verlassen, als Lada sich auf den freien Stuhl neben ihn sinken ließ. Ihr Puder war aufgefrischt und die Lippen bemalt. Sie verriet durch nichts, wie erschöpft sie sich fühlte.
„Du wirst doch nicht gehen, ohne mich vorher zu einem Tanz aufzufordern?“ Sie legte ihre anmutigen Finger auf seine. „Den ganzen Abend hast du hier an deinem Platz gesessen wie ein einsamer Wolf. Daher frage ich mich, ob du möglicherweise auf etwas gewartet hast. Etwas, das bis jetzt nicht zu dir gekommen ist.“ Mit einem verheißungsvollen Lächeln lehnte sie sich an ihn. „So schweigsam an einem Abend wie diesem. Habe ich das verdient? Ist mein Fest nicht nach deinem Geschmack?“
„Du irrst dich“, sagte Blair. „Ich habe keine Erwartungen.“
„Wie schade, ich hatte darauf gehofft, dass wir beide uns dasselbe wünschen.“ Hier senkte sie ihre Stimme, ihr warmer Atem kitzelte sein Ohr. „Vielleicht kann ich dir nicht alles geben, was du im Herzen begehrst, Blair von Donovon. Aber wenn du nur zufrieden wärst mit dem, was ich…“
„Lada!“ Plötzlich stand Urden hinter ihnen, umfasste grob ihren Arm und zog sie zu sich. Blair roch den Alkohol an ihm, obgleich er selbst betrunken war.
„Komm mit mir. Ich brauche es jetzt“, lallte Urden in Ladas Gesicht.
Gegen Urdens Kraft kam sie nicht an, taumelte gegen seinen Wanst, direkt in seinen gierigen Griff. Sie überspielte es mit einem Lachen, das heiter klingen sollte. „Mein starker Ritter, das Fest ist nicht dazu…“
„Du könntest eine Feier wie diese nie im Leben ausrichten ohne mein Geld. Ich bin der, den du am meisten ausnimmst, das ist mein Fest und du wirst dafür sorgen, dass ich wiederkomme.“
Sie versuchte, ihm auszuweichen und ihn von sich zu schieben, erst scherzhaft, dann bestimmt, doch er presste seinen Unterleib gegen sie. „Urden, das ist nicht der rechte Zeitpunkt.“
„Du musst nehmen, was du kriegen kannst“, sagte Urden. „Da sind Falten auf deiner Stirn und Ringe unter deinen Augen. Hol dir das Geld, solang deine Titten straff sind und du den Preis noch wert bist.“
„Genug jetzt“, ging Blair dazwischen. Er hätte aus nächster Nähe zum Angriff übergehen und Urden in die Schranken weisen können. Wenngleich der Ritter ihn überragte, war er schwerfällig und benebelt vom Wein. Doch Urden war kein Straßenjunge, sondern Ratsmitglied wie er. Ihn sich zum Feind zu machen, nützte weder ihm noch Lada etwas.
„Du kommst zu spät, mein Freund. Lada hat bereits eingewilligt, mir den Rest des Abends Gesellschaft zu leisten. Dem, der Anstand zeigt, gilt der Vorzug.“
Zwar funkelte Urden ihn feindselig an, beließ es aber bei einem verbalen Hieb. „Sieh an, der Rabenvater“, spottete er. „Hat nichts außer einem Balg, das mit Aasfressern sprechen kann, als wäre das nicht Schande genug.“
„Du hast zu tief ins Glas gesehen, Urden. Anders kann ich es nicht entschuldigen, wie du über Blair und seine Tochter sprichst.“ Ivar war an Blairs Seite aufgetaucht. Demonstrativ hielt er Estanas Hand. „Ein weiteres Mal werde ich nicht weghören, wenn du ein Ehrenmitglied des Clans beleidigst. Einen, der ein besserer Vater ist als manch anderer von uns.“
„Das kommt ausgerechnet von einem, der überhaupt keinen Saft mehr in seinen Lenden hat“, giftete Urden, doch die Beleidigung prallte von Ivar ab wie ein Kieselstein von einer Mauer. „Eins ist sicher, ich würde mir nicht die Mühe machen wegen eines Mädchens“, Urden spie das Wort aus wie einen Knorpel, „das den gleichen Hokuspokus beherrscht wie Alefes. Erst recht wenn ich in deiner Haut stecken müsste, Blair.“
Einige der Anwesenden bemerkten den Streit, Köpfe wandten sich ihnen zu, Gespräche erstarben.
„Und dir Lada, gebe ich einen guten Rat“, fuhr er mit erhobener Stimme fort, damit auch der letzte Mann im Raum seine Worte vernahm. „Deine Eitelkeit wird dich teuer zu stehen kommen. Wenn du meinst, du könntest es dir leisten, mich abzuweisen…“
„Du irrst dich, mein Lieber“, sagte Lada, die sich seinem Griff entwand. „Ich habe dich nicht abgewiesen, nur der Augenblick und die Art, wie du um meine Gunst warbst, missfielen mir.“
„Deine Gunst!“, bellte Urden trocken. „Als wäre der stattliche Preis, den ein Freier für deine Dienste zahlt, nicht genug, muss er auch noch um Erlaubnis betteln?“
„Ich bin keines der willenlosen Mädchen, derer du in jeder schmutzigen Gasse habhaft werden kannst. Wem der Sinn nach einem billigen Abenteuer steht, soll sich an eine von denen wenden.“
Inzwischen waren Blair und Ivar nicht mehr die einzigen, die hinter Lada standen. Die Musik verstummte, ein Ritter nach dem anderen unterbrach, was er eben im Begriff war zu tun, und trat zu der Menschentraube, die sich um sie gebildet hatte. Einige ihrer besten Freier stärkten Lada den Rücken. Spätestens jetzt musste selbst ein Schwachkopf wie Urden begreifen, dass es an der Zeit für einen Rückzug war, dachte Blair.
Urdens kleine, wässrige Augen zuckten umher und sein Kiefer knirschte. „Eine Hure, der der Luxus zu Kopf gestiegen ist, das bist du, nichts weiter“, hieb er, bevor er den Kreis durchbrach und polternd das Haus verließ.
Lada hatte ihr Lächeln schon wiedergefunden und hakte sich bei Blair unter. „Verzeiht den unbedeutenden Zwischenfall und lasst uns weiter feiern“, bat sie. Die anderen Männer wandten sich erneut dem Buffet zu, das von Ladas Dienern mittlerweile neu bestückt worden war.
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