„Algen!“, fauchte sie trotzig.
Ludwig nervte das dann regelmäßig, denn alternative Ansichten fand er teuer bis störend. Hatten diese grünen Revoluzzer überhaupt einen Plan, wie man all ihre schöne Ökologie bezahlen sollte? Callista war nicht um eine Antwort verlegen: Nachhaltigkeit ist am billigsten und in der Zukunft wird das die Menschheit schon einsehen.
Dabei war sich Ludwig sehr sicher darin, dass er die Erfüllung dieser Prophezeiung nicht mehr miterlebte und er bezweifelte, dass es selbst Callista schaffte.
Ludwig meinte es ja nur gut und versuchte, seine Tochter mit Hilfe seiner langweiligen Normalität zu bremsen. Auch wollte er ihren Idealismus zügeln, denn er glaubte an sein eigenes gutes Werk und an den Schutz vor Naivität. So gab er ihr die folgende Weisheit mit: „Glaubst du denn, alle Leute sind einfach so, wie sie sind, gut und hilfsbereit und tun alles für dich? Nein, das tun sie nicht. Sie denken auch an sich, an ihren Vorteil und du musst ihnen einen Köder hinwerfen, um sie aus der Reserve zu locken.“ Er wollte ihr damit die Mechanismen der Wirtschaft andeuten, die Verquickung mit der Politik, den Vorgang des Nehmens und Gebens, von Arbeitsplätzen und Wählerstimmen. Und bei all dem kamen eben auch Konstruktionen wie zum Beispiel Fischfangquoten heraus. Damit musste man sich abfinden. Doch Callista war niemand, der sich abfand.
Nein, die beiden fanden einfach keinen Draht zueinander. Sie waren wie zwei Pole eines Magneten. Sie gehörten zwar zur gleichen Sache, aber sie stießen sich gegenseitig ab. Er war mehr der Beschützer des Status quo. Sie war hingegen der unruhige, forschende, verändernde Geist.
Zuletzt interessierte sie sich für Journalistik, was ins Bild passte. Aber sie konnte inzwischen alles und nichts sein, sie hatte doch ein sprunghaftes Wesen.
Callista hatte ihren Vater endgültig aus ihrem Herzen ausziehen lassen, als sie eines Tages mit ansehen musste, wie er im Keller des Hauses, in dem sie wohnten, in ihren Augen unschuldige Käfer tottrat. Die hatten nämlich in seinem Weltbild in einem Untergeschoss nichts zu suchen. Callistas Welt sah anders aus, sie wollte die Käfer in einem Marmeladenglas zusammensuchen und hinaustragen. Sie glaubte daran, dass man sich mit der Natur arrangieren konnte und dass man sie nicht unterpflügen musste.
„Humbug!“, stieß Ludwig gleich Ebeneezer Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte hervor, denn diese Art Umweltschutz hielt er für übertrieben und sie dauerte ihm einfach zu lange. Er wollte auf seine Art für Nachhaltigkeit sorgen, und zwar für dauerhafte Freiheit des Kellers von Käfern. Und dabei ließ er sich nicht aufhalten, nicht einmal von einem heulenden Kind.
Ludwig kratzte sich heute noch am Kopf, wenn er daran zurückdachte. Oh, das war keine Sternstunde gewesen. Grün hatte er sich seitdem nicht verfärbt, aber den fundamentalen Streit von damals wegen ein paar kleiner Käfern bereute er. Da schaute sie wieder um die Ecke, die kalifornische Tristesse.
Da sprach ihn eine sanfte Stimme an. Sie zog ihn aus dem Sumpf der Erinnerung und brachte ihn in die bayerische Gegenwart zurück: „Hallo Ludwig“. Neben ihm stand Barbara.
Sie wollte wissen, wie er zurechtkam.
Er war sich nicht schlüssig, ob sie sich in diesem Augenblick um ihn als Menschen oder um ihn als Ermittler sorgte. Sein Herz hoffte auf Ersteres, sein Verstand wettete auf Letzteres. „Ach, ich komm’ schon klar“, antwortete er, was ihm als Allgemeinplatz für den Einstieg passend erschien. „Ich habe doch nette Gesellschaft“, setzte er hinzu, um eine zarte Brücke zu bauen. Das geriet eine Spur zu schmalzig.
Tatsächlich huschte der Anflug eines Lächelns über Barbaras Gesicht. Es währte nur einen Moment.
„Und die Pferde?“, wandte sie das Gespräch dem geschäftlichen Aspekt ihrer Beziehung zu.
„Ich komme voran“, erklärte Ludwig und unterdrückte seine Enttäuschung über die zu kurze persönliche Sequenz in ihrem Gespräch. „Ich habe mich mit einigen Leuten außerhalb der Ranch unterhalten und hier trifft man ja auch so allerlei ...“, blieb er vage und der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass Barbara Ludwigs Gespräch mit Anton über die Projektentwickler bemerkt hatte und jetzt sicherstellen wollte, dass er auch die passende Take-Home-Message mitnahm, dass er quasi „das Richtige“ dachte.
„Der Hof ist alles für uns“, sagte Barbara und Ludwig fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt. „Wir werden ihn nicht verkaufen, an Projektentwickler oder an sonst wen“, stellte sie klar. Sie sprach, als säße sie auf einer Pressekonferenz – mit geschliffenen Worten, vollkommene Überzeugung ausstrahlend, keinerlei Zweifel zulassend. „Und an Gerüchten über einen Verkauf haben wir kein Interesse, das verunsichert nur unsere Kunden.“
Ludwig verstand, dass sie ihm eine Rolle zuschanzte. Umhören durfte er sich, schließlich sollte er einen Diebstahl aufklären. Informationen nach außen zu tragen, das stand jedoch nicht in seiner Stellenbeschreibung. Interna sollten bitteschön intern bleiben. Er nickte.
Sie zog die Augenbrauen hoch – mit einem Nicken allein gab sie sich scheinbar nicht zufrieden.
„Ich verstehe“, sagte Ludwig wie jemand, der soeben zum Anpfiff zum Chef gerufen wurde, und fügte noch vertrauensbildend und leicht lakaienhaft „geht klar“ dazu.
Jetzt gab sich Barbara zufrieden.
Damit hatte diese Unterhaltung ihren Hauptzweck erfüllt. Damit es nicht ganz so nach Arbeitgeber-Untergebenen-Gespräch aussah, plauderte sie noch etwas vom Führen der Ranch und von den modernen Zeiten. Die Globalisierung habe schon lange an die Tür geklopft und die brauchte ein neues Denken und nicht die Rezepte von gestern.
„Toni und ich“, sie machte eine Pause, „haben das aber selber im Griff.“
Ludwig stimmte ehrerbietig zu: „Kann man ja sehen.“
Barbara nickte gnädig. „Und wir können das auch ohne Projektentwickler oder Berater oder Investoren stemmen, die einem ständig auf der Schulter sitzen und einem erzählen, was man aus der Ranch so alles machen kann.“
„Verstehe ich“, sagte Ludwig, denn es leuchtete ihm ein, dass man sein Lebenswerk nicht ohne Not einem dahergelaufenen Spekulanten in die Hand gab.
„Wir haben selber auch Ideen und können das in die Hand nehmen“, sagte Barbara. Langsam kam das Ludwig etwas dick aufgetragen vor. Sie hatte ihn ja schon auf ihrer Seite. Warum so viele Worte deswegen? Keine Ahnung. Oder doch? Eventuell wollten sie sich eine Hintertür zu den Projektentwicklern offenhalten, aber eben so, dass niemand etwas davon mitbekam? Das war denkbar.
„Man muss flexibel sein, wenn man einen Hof führt“, schloss Barbara ab und es klang nach Eigenlob.
„Klar doch“, sagte Ludwig, ohne wirklich zu wissen, worauf sie hinauswollte. Aber das war auch nicht so wichtig. Er beschäftigte sich nicht weiter damit. Barbara konnte nicht der Pferdedieb sein. Das zählte im Moment. Und dass er sie ab und zu sah.
Der Scout
Die Tage vergingen, aber in Ludwigs Sache ging nichts recht voran. Er war mit der Gesamtsituation unzufrieden. Er hatte sich mit Leuten getroffen und Informationen abgeschöpft. Er zeigte sich täglich auf der Ranch und hatte so gut wie jeden gesehen, der dort ein und aus ging. Auf der Habenseite konnte er immerhin für sich verbuchen, dass es seit seiner Einstellung keine Sicherheitsvorfälle gegeben hatte – von ein paar Pferde-Temperamentausbrüchen abgesehen, die man aber schnell wieder beruhigte. Aber das zählte nicht, denn sein Augenmerk lag mehr auf Menschen, die eine Gefahr für den Betrieb darstellen konnten und weniger auf der tierischen Seite.
Auf der Plus-Seite stand ebenfalls, dass keine weiteren Pferde abhandengekommen waren. Im Soll lag er deswegen trotzdem nicht, denn von den gestohlenen Tieren fehlte nach wie vor jede Spur. Als einzigen Sonnenschein benetzten ihn hier und da die Begegnungen mit Barbara. Nur wenn er nicht bald lieferte, dann schien die Sonne demnächst nicht mehr für ihn und Toni heuerte einen anderen Hilfssheriff an.
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