Ludwig nickte nur bestätigend zu all der überschäumenden Anerkennung. Alles andere hätte auch nichts gebracht. Oder hätte ihm hier in der Stube irgendeiner auf die Schulter geklopft und gesagt, dass er und die Barbara ein schönes Paar abgaben? Wohl kaum. The Winner Takes It All. Das blieb ein ewig junger Spruch. Und er galt im Silicon Valley genauso wie in Genglkofen.
Die Verehrung für Toni fiel entsprechend aus: allgegenwärtig.
Aber der bayerische Geist hatte auch eine starke kritische Ader und die absolute Harmonie ging ihm gegen den Strich. Manche sagten auch Nörgelei dazu, aber die waren – selbstredend – allesamt elende Saupreißn. Diese Ader zeigte sich zu Ludwigs Belustigung auch hier, nämlich als das Gespräch auf Tonis Cowboyhut kam. Peter und Benny bogen sich schier vor Lachen. Eine derartige Verbeugung vor dem großen Western-Klischee kam ihnen total abgehoben und unfreiwillig komisch vor. Beseelt vom Alkoholgehalt des guten bayerischen Bieres schütteten sie Lachsalve um Lachsalve aus. Ludwig schaute erst einen Moment, dann nahm er einen herzhaften Schluck aus seinem Glas und stimmte ein. Für ihn bildete das eine genauso unverhoffte wie angenehme Art der Frustbewältigung. Zum ersten Mal seit langem lachte er über Toni. Und das lauthals und in aller Öffentlichkeit! Er musste weit zurückdenken, wann er sich das letzte Mal über den großen Boss von Genglkofen erheitert hatte. Hatte er das überhaupt jemals? Es erschien sinnlos, darüber nachzudenken. Das Bier vernebelte zusehends seine Sinne und sorgte für schlechtes Erinnerungsvermögen, aber dafür für jede Menge Frohsinn. Die drei Saufkumpane lachten, was das Zeug hielt.
„Hatte Toni eigentlich Feinde?“ Ludwig warf die Frage im Moment des höchsten Überschwangs ein und hoffte auf einen letzten Funken Gedächtnis bei den beiden Zuhörern. Er stand kurz davor, vollkommen betrunken zu sein, und musste noch schnell die offenen Haken auf seiner mentalen Checkliste setzen.
Es schallte nur ein noch lauteres Gelächter zurück. Wer sollte sich mit Toni anlegen? Das war die groteskeste Frage, die man in der bayerischen Prärie jemals stellen konnte. Die brauchte keine Antwort.
Und ob er die Pferde selber geklaut hatte, um sie „inoffiziell“ anders zu nutzen? – Noch lauteres Gelächter. Ja warum sollte jemand seine eigenen edlen Gäule zur Seite schaffen? Etwa, um sie in den Zeiten von Fleischskandalen heimlich unter die Lasagne zu mischen? So ein Schmarrn!
Der Wohlgeschmack des Fleisches kam in keinem Pferdeprospekt vor, das die Ranch ausgab, um sich bei der Kundschaft anzudienen. Das war eine Frage, die derart weltfremd klang, dass sie von einem anderen Stern zu kommen schien. Ludwig lachte mit, als hätte er sie aus Spaß gestellt.
Toni wollte aus seinem Betrieb ein Vorzeigeprojekt machen, am liebsten mit Zertifikat, wie man das heutzutage eben machte. Er stand als der Strahlemann mit der unbefleckten Weste da. Warum sollte er da irgendein Risiko eingehen? Eine selbst inszenierte Pferdeentführung zum Beispiel: Solche Vorfälle verschafften einem keine gute Publicity.
Fast schien es Ludwig, als konnte er auch aus dieser Unterhaltung nicht viel Neues zum Fall mitnehmen.
Doch dann ließen Benny und Peter in ihrer Bierseligkeit wenigstens ein paar Gerüchte raus, die sie aufgeschnappt hatten. Es hieß zum Beispiel, dass der Toni Angebote für die Ranch bekäme – von irgendwelchen Spekulanten, die den Hof zu einer Erlebniswelt mit Hotels à la „All Inclusive“ einschließlich Reit- und Westernvergnügen ausbauen wollten. Darauf hatte der Toni scheinbar keinen Bock, hieß es ferner. Er war ein echter Cowboy (die Erinnerung an seinen abgefahrenen Hut brachte neue Lachsalven hervor) und er hielt die Zügel lieber selber in der Hand. Spekulanten konnten gerne woanders das Zepter oder das Lasso schwingen. Doch auf der Ranch nicht, niemals. Da waren sich Benny und Peter einig.
Damit war der Ernst vollends aus dem Fenster geworfen. Die drei Kumpane tranken noch weiter, als ob es kein Morgen gab, bis der „Neuwirt“, der eigentlich ein Alter war, sie nett, aber mit Bestimmtheit ins Freie bat. Die stattliche Rechnung strich er mit Wohlgefallen ein. Sie könnten gerne wiederkommen, mit frischem Hunger und Bierdurst, wann immer sie wollten.
Letzterer war auf unbestimmte Zeit vertagt, das wurde Ludwig am nächsten Tag klar. Er war nur das dünne US-Bier gewohnt und ein ehrlicher, bayerischer Gerstentrank, der haute ganz anders rein. Nein, heute passte ihm kein Hut. Auf den gestern schon befürchteten Kopfschmerz war Verlass und er wich an diesem Tag auch nicht von seiner Seite. Also blieb er im Bett liegen. Es war Wochenende und es gab gewiss nicht gleich einen Volksaufstand, wenn er erst am späten Nachmittag auf der Ranch nach dem Rechten sah.
Nachdem das Wochenende mit Ausschlafen und sporadischer Routineüberwachung auf der Ranch verstrichen war, saß Ludwig am Montag wieder fest im Sattel. Es konnte nicht schaden, neben der stumpfen Bewachung den Ranch-Betrieb etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und dabei insbesondere zu schauen, wer da ein und aus ging: Leute, die zum ständigen Geschäft gehörten und Gäste, eventuelle sogar besondere Gäste.
Und wie der Zufall es wollte, wurde er noch am selben Tage fündig. Da erschienen nämlich ein paar Herren im auserlesenen Anzug und mit noch feineren Manieren. Sie meldeten sich bei Elvira Karl am Empfang an und ließen ihre Umgangsformen Glanz verbreiten: Sie umschmeichelten die ältere Dame mit allerlei Lächeln und „bitte“ und „danke“ und „gnädiger Frau“, dass diese sich umdrehte, ob denn tatsächlich sie gemeint war und nicht irgendeine Berühmtheit, die zufällig hinter ihr stand. Aber ein flüchtiger Blick offenbarte, dass sie die einzige in Frage kommende Zielperson im Raum darstellte – Ludwig abseits an der Kaffeemaschine war unverdächtig – und so erblühte sie wie eine Prärieblume, der ein unverhoffter Regenguss neues Leben einhauchte.
Ludwig wandte sich unbemerkt ab, nachdem er die Herren kurz gemustert hatte. Er wollte nicht auffallen. Er sollte aber den Empfang im Auge behalten und die Männer bei ihrem Abgang erneut beobachten. Ein Vorher-nachher-Vergleich konnte aufschlussreich sein, insbesondere lieferte er Hinweise und Anknüpfungspunkte für Nachfragen bei den Ranch-Mitarbeitern, was denn diese Leute um alles in der Welt hier zu schaffen hatten. Wie Reiter oder wie anderweitige Pferdeexperten sahen sie nämlich nicht aus. Ludwig schlich bedächtig wie ein Scout auf Spurensuche weiter. Er ließ dabei den Sichtkontakt zum Empfang nicht abreißen.
Kaum eine Stunde war vergangen, da kam Bewegung in die Sache. Anton, der Sohn des Hauses, hatte seinen Auftritt. Er expedierte die eleganten Herren nämlich hinaus und geleitete sie sanft, aber nachdrücklich zu ihrem edlen Gefährt. Vom Glanz wie noch bei ihrem Eintreffen konnte man nichts mehr sehen, denn das Lächeln hatte sich aus den Gesichtern der Männer verabschiedet. Scheinbar hatten sie nicht bekommen, wonach sie suchten.
Ludwig setzte sich unterdessen in Richtung Empfang in Bewegung, denn er wollte die frische Gelegenheit nutzen herauszubekommen, was hier gespielt wurde.
Die feinen Herren hatten inzwischen ihre edle Limousine bestiegen. Sie hielten Anton noch flüchtig einen Zettel hin, vermutlich eine Visitenkarte. Der lehnte aber höflich ab und half zur Bekräftigung beim Schließen der Autotür. Dann hob er bei der Abfahrt zum Gruß die Hand, wie jemand, der nicht unfreundlich sein wollte, der aber auch klarmachte, dass jetzt eine zügige Abreise auf dem Programm stand. Als sich die Gäste entfernt hatten, atmete Anton sichtbar durch.
In diesem Moment pirschte sich Ludwig an ihn heran: „Hallo, Anton!“
„Hallo, Herr Donner“, grüßte Anton brav zurück.
Dieser Bursche war wirklich ein Vorbild an Ausgeglichenheit.
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