„Seltsam“,
sagte Hermann, als wir auf unser Gepäck warteten, welches gerade der Beifahrer vom Dach herunterreichte.
„Da war doch so ein Typ im Bus, ich bin mir ganz sicher, den schon in Port Sudan gesehen zu haben. Nein, keiner von den „Freunden“. Ich hatte mir deswegen auch noch nichts dabei gedacht. Der fiel mir auf, weil er ein so seltsames Amulett an einem Kettchen um den Hals trug. Sah aus, wie ein liegender Halbmond, aber doch noch anders, da war noch mehr. Ich konnte nicht so genau hinsehen, sonst wäre er auf mich aufmerksam geworden. Später sah ich ihn dann gleich nach uns in den Zug steigen.“
„Das wäre in der Tat seltsam, die ganze Strecke über viele Tage und in verschiedenen Transportmitteln? Man könnte fast glauben, er verfolgte uns und das auch noch über die Grenze!“
Alle vier dachten wir laut darüber nach, was der Anlass sein könnte, uns seit Port Sudan im Auge zu behalten, bis 0-Chang einwarf:
„Vielleicht haben wir den falschen Denkansatz und es sollte besser Suakin heißen.“
„Die merkwürdige Dhau mit den verschwundenen Passagieren?“
„Das würde heißen, wir wären zufällige Zeugen geworden von etwas, was niemand sehen sollte.“
„Ja“,
nickte 0-Chang,
„und das würde auch unsere „Freunde“ in Port Sudan erklären.“
„Aber es war keiner von denen“,
warf Hermann ein.
„Auch sah er nicht aus wie ein Weißer, eher wie ein Orientale, was weiß ich woher.“
Heiß und staubig wie die sechs Stunden der Fahrt war es auch hier. Wir hatten uns bereits daran gewöhnt, durch unsere bleiche Hautfarbe schon von weitem als Fremde erkannt, überall Gegenstand der Neugier und Zielgruppe diverser Annäherungsbemühungen zu sein, mit überwiegend gewinnorientierten Hintergedanken. Darunter waren auch Jugendliche, die ihre Dienste als Fremdenführer anboten. Bis Asmara war es gerade noch möglich gewesen, mit Englisch zurechtzukommen. Danach wurde fast aus schließlich Amharisch gesprochen. Amhar sprach erstaunlich gut Englisch, und bewies schon bei der Hotelsuche, sowie der Verhandlung über Zimmer und Preis, dass wir es besser gar nicht hätten treffen können.
Der erste Eindruck von Axum glich einem jener unbedeutenden Flecken, an denen man sich fragte, was man hier zu suchen hätte. Wusste man es, so gelangte man am Rande der Kleinstadt zu dem Bezirk von Maria Zion. Die Anlage machte einen Eindruck, dem man sich schwer zu entziehen vermochte, jene Atmosphäre, wie sie uralten, sakralen Stätten eigen ist. Die langen Zeiträume geistiger Hingabe hatten deutliche Spuren hinterlassen.Erhabene Bäume umgaben das Allerheiligste. Nur das Summen von Insekten war zu hören und das Murmeln der Mönche. In langen weißen Umhängen und Kappen aus dem gleichen fließenden Stoff bewegten sie sich wie Gestalten eines Traumbildes oder hockten in tiefer Versenkung stumm auf geborstenen Steinen und freiliegenden Baumwurzeln.
Vorbei an einer zweiten, Zinnen bestückten Mauer führten Steinstufen hinauf zur Kirche. Schon äußerlich anders als das gewohnte Bild von Kirchen war hier irgendetwas völlig fremd. Als hätte die letzte Zeit uns nicht schon genug Unerklärliches beschert. Was von weitem wie Portale aussahen, drei große Bögen der Frontseite, erwiesen sich eher als eine Art Fenster. Aber auch das waren sie nicht, dienten scheinbar nur der Luftzufuhr, denn enge Holzgitter verwehrten den Einblick in das Dunkel dahinter. Nicht nur, dass das sonst übliche pompöse Portal fehlte, überhaupt kein Eingang war auszumachen. Das war kein öffentlich zugängliches Gebäude, eher wie ein großer Behälter kam es mit vor, wie ein Schrein. Spuren von Regenwasser und auszehrender Dürre, Überwucherungen von Flechten und Moos, mit der zähen Unbeirrbarkeit der Zeit hatten die Jahrhunderte den Anschein des Erdachten und Konstruierten verwischt, es in die Natur des Gewachsenen zurück geholt.
Erinnerungen an meinen Besuch im Hause des Gouverneurs von Tessinei kamen auf, wieder das gleiche Gefühl der Begegnung mit etwas sehr Altem und Fremdem. Nur diesmal begriff ich, dass es die ersten Spuren jenes Kulturkreises waren, der mich so fasziniert hatte. Wieso meinte ich, ihn erst im Jemen anzutreffen, war doch Äthiopien ein Teil davon, das Reich von Axum eine südarabische Gründung. Habascha nannten sich die Äthiopier selber, sie und ihre Sprache waren semitischen Ursprungs, nicht afrikanischen. Die Annahme des christlichen Glaubens, lange vor den meisten europäischen Ländern, hatte an diesen kulturellen Wurzeln nicht gerührt. Tiefes Schweigen lag über allem. Seit alters her galt der ganze Bezirk als der diesseitigen Welt entzogen, endete an seinen Umfassungsmauern staatliche Macht und irdisches Gesetz. Wer immer sie erreichte, befand sich in jenseitiger Geborgenheit. Kein Fall der Verletzung dieses heiligen Asyls war bekannt.
Höchst verwunderliche Geschichten rankten sich um diesen Bau und die Bundeslade, der er als nicht zugänglicher Hort diente, und um die Begebenheiten, wie diese vom Jerusalemer Tempel hierher gelangte.
Auf dem Weg zum Hotel fiel rasch die Dämmerung über das Land. Etwas abseits standen einige verlassen wirkende Häuser. Amhar, der sich sonst westlich aufgeklärt gab, verriet mir mit gesenkter Stimme und scheuem Seitenblick, dort wohnten Silberschmiede! Als er merkte, dass dieses Wort allein noch keinerlei Wirkung zeigte, klärte er mich auf. Vor denen sollten wir uns in Acht nehmen, das wären Magier, die über die erstaunlichsten Kenntnisse verfügten. Aber das wäre noch nicht alles, des Nachts verwandelten sie sich in Hyänen. Natürlich wollte ich wissen, was es mit den anderen "erstaunlichen Kenntnissen" dieser Magier auf sich hätte. Sie besäßen geheimes Wissen aus ältesten Zeiten, flüsterte Amhar, würden Zusammenhänge kennen, die selbst den Kaisern unbekannt wären. Als bei einem dieser Häuser ein Schatten sich bewegte, war es um Amhars Fassung geschehen. Der Versuch die Gefahr mit einem Kreuz zu bannen, wie bei Vampiren so bewährt, dürfte wenig Sinn haben, waren doch die hier angebotenen, meist außergewöhnlich schön gearbeiteten Kreuze, von genau diesen Silberschmieden hergestellt.
Am gleichen Abend hatten wir uns mit Amhar und einigen seiner Freunde verabredet in einem dieser typischen Tedsch-Lokale. Stolz und so selbstverständlich, als wäre das erst vorgestern gewesen, waren sie sich bewusst als Nachkommen des Axumitischen Reiches. Von dieser Kolonie der Sabäer, wenn nicht noch älterer Vorläufer aus Südarabien, waren nur noch einige Fundamente, wie der von Littmann entdeckte Königspalast "Taakha Maryam" zu sehen, zwischen vielen umgestürzten Steinen und vor allem den rätselhaften Monolithen, die wie Modelle bizarrer Hochhäuser mit deutlich eingemeißelten Stockwerken mit Fenstern und Türen aussahen. Der größte von ihnen ragte 23 Meter hoch, ein umgestürzter, zerbrochner maß sogar 33 Meter. Ihr Zweck war wiederum rätselhaft. Wie so manches in diesem Winkel der Erde, blieb der Sinn dieser gigantischen Steinsäulen im Dunkel der frühen Geschichte. Bekannt war nur die Vorliebe im antiken Südarabien für den Bau vielstöckiger Hochhäuser. Soviel jedoch war schon erkennbar: Östlich des Sabäerreiches, nahe dem Ausgangspunkt der Weihrauchstraße, also im äußersten Osten Hadramauts, lebte lange vor Christi das Volk der Habaschatan. Sie und ihr König Gedarot wurden auf verschiedenen Inschriften erwähnt. Uranos hörte von ihnen als Aβασονοι (Abasonoy), woraus die Europäer Abessinier machten. Später wurde es still um sie, wahrscheinlich weil sie wie alle anderen südarabischen Reiche, von der lokalen Großmacht Saba übernommen wurden. Auch über das Rote Meer dehnte sich Saba aus nach dem alten Goldland Punt. Dort tauchte Habascha als Name des Landes wieder auf und blieb es bis heute. Seine Sprache wies viele Ähnlichkeiten auf mit den alten Inschriften der Hadramoten, die westliche Nachbarn und Verwandte der Habaschat waren. Gewiss könnte man erheblich mehr darüber erfahren, hätte da nicht eine Dame namens Judit im Axum des 10.Jh. eine schlechte Zeit gehabt. Was immer ihr so zum Verdruss gereichte, es ließ ihr auch dann noch keine Ruhe, als das Schicksal es besser mit ihr meinte und ihr einen sabäischen Prinzen zum Gemahl bescherte. Als es diesem dann auch noch beschieden war den Thron zu besteigen und Judit Königin wurde, war ihr Rachebedürfnis nicht eher gestillt, bis Axum erobert und dort keine zwei Steine mehr aufeinander lagen. Woran wieder einmal zu sehen ist, welch banale Ursachen gelegentlich große historische Ereignisse haben.
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