Laszlo Petersen
Düwelsmoor
Erzählungen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Laszlo Petersen Düwelsmoor Erzählungen Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Lots Vermächtnis
NORWEGISCHE HUREN
Kingfish Redux
Gut Fehrenbruch
Impressum neobooks
"Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab ... und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war."
(1. Mose 19, 24-25)
Die untergehende Sonne tauchte die Burg in ein blutiges Dunkelrot. Windböen rissen vom Meer kommend chaotische Muster in ihr Haar. Sie setzten sich ins hohe Gras auf dem Deich und starrten in die Ferne, wo ein Leuchtfeuer mit hellen Fingern über die landwärts rollenden Wellen tastete. Die Umrisse eines hellblau und weiß gestrichenen Schiffes zeichneten sich glitzernd seitwärts der Burg ab. Möwen kreischten in der Brandung, schwangen sich gleitend, stürzend und taumelnd im schäumenden Zwielicht über dem tosenden Wasser. Die Frau drängte sich fröstelnd an ihn, er legte behutsam einen Arm um ihre Schultern. Er spürte ihr Haar weich in seinem Gesicht. Der Wind blies es sanft um seine Augen, seinen Mund, seine Wangen. Ihre Körper wärmten einander. Die Zeit schien stillzustehen. Nacht brach herein. Die Möwen hörten auf zu kreischen, aus den grazilen Fingern des Leuchtturms waren im fahlen Licht der sinkenden Sonne kräftige Arme gewachsen, aus denen gleißend Elektrizität anmaßend schön über das Meer strömte. Die nahende Dunkelheit umhüllte bald das weißblaue Schiff wie ein schwarzes Gewand. An seiner Stelle leuchteten Lichterketten rot und blau in die Nacht.
- Lass uns gehen, sagte er tonlos.
Sie umarmte ihn, küsste seine trockenen Lippen. Es gab nur einen Weg hinauf zur Burg, daneben unberechenbare Strömungen, Treibsand, Scherben, giftige Quallen. Sie hatte sich auf ihn gestützt, ihr Gewicht drückte ihn nieder, ihre Haut schmiegte sich weich an seine Haut, Fleisch von meinem Fleisch. Er lud sie auf seinen Rücken und suchte mit unsicheren Schritten den Weg. Ihr geduldig reitender Leib wärmte seinen Rücken, seine Arme spürten den Druck ihrer Schenkel, ihr Atem strich leise an sein Ohr. Schweiß bedeckte sein Antlitz, als er gebeugt den Hügel erklomm. Der Obstgarten. Golgatha. Sie reichte von seinen heißen Schultern nach den Kirschen über ihrem Gesicht. Sie steckte ihm eine Kirsche in den Mund. Sie riss einen Zweig vom Baum und fütterte den Träger ungestüm lachend mit ihren süßen, gestohlenen Früchten. Der Mond war aufgegangen und beschien die Szene mit fahlem Licht. Der Mann hielt an der Herberge. Sie spuckten Kirschkerne gegen die Mülltonne am Straßenrand, dünn schepperte das Metall.
- Du, ich hatte einen Traum, flüsterte sie. Sie sah seine Hand, seinen Arm. Sie drehte sich zu ihm, streifte sein ausgestrecktes Bein. Sie spürte seine schwere Hand auf ihrer Haut, seinen schweren Körper auf ihrem Körper, seine muskulösen Arme, seinen Mund über ihrem Gesicht. Sie starrte nachdenklich durch seine Augen und gewahrte auf der Balkonbrüstung eine Fliege, die über den Rand kroch und ihrem Blickfeld entschwand.
- Ob Fliegen ihr Blut in den Kopf fließt? Wahrscheinlich nicht. Angst haben die auch nicht. Angst hat nur das höher entwickelte Wesen, Raubtier oder Mensch. Angst setzt Erinnerung voraus oder eine Vorstellung von Zukunft. Fliegen können sich nicht erinnern, denken ohne Blut im Kopf. Blut transportiert Angst.
- Hast du manchmal Angst? fragte sie ihn.
Ihr Atem berührte seine Wangen. Seine Lippen blieben stumm, seine Augen streiften nachdenklich ihren Mund. Céline schwieg. Sie spürte ihn nah, seine Gedanken drangen zu ihr auf geheimen Wegen. Alles ist nah wie Sandkörner, alle sind gleich geformt, Gesicht, Körper, Geruch, Augen, Haar, Arme, Haut, Schweiß, Sonne erlöst. Sie küsste ihn. Drückend lastete die Schwüle auf ihr, schwer, wie männliche Haut. Ihre Lippen waren trocken. Sie hielt ihre Augen geschlossen und folgte einer sonoren Stimme aus dem nussbraun lackierten Grammophon.
Seine Hand gleitet von ihrer im Sonnenlicht schimmernden Hüfte auf die feuchte Decke, fährt zurück und legt sich fast ein wenig verschämt auf ihr tiefschwarzes Vlies, magisches Dreieck, gotisch geschwungene Pforte ins Paradies; gefiltertes Licht teilt grell und dunkel die sanfte Haut ihres Körpers in geometrische Formen, logisch, vage, empfindungslos. Ihr Haar fällt dicht, schwarzbraun, auf das zerwühlte Kissen. Ihre Augen starr auf das geöffnete Fenster gerichtet, spürt sie unangenehm Schweiß auf der Haut, doch sie blickt reglos, schweigsam, in ohnmächtiger Geduld. Er seufzt verlegen, dreht sich auf den Rücken, seine linke Hand tastet nach ihrer Schulter, legt sich sanft auf ihren Arm.
- Lass uns aufstehen, sagt er leise, wie zu sich selbst.
Sie antwortet nicht. Er richtet sich auf, schaut auf ihren seitwärts geneigten Körper. Er schluckt unwillkürlich, als ihm frischer Speichel in die Luftröhre rinnt.
Sie schweigt. Er streckt ein Bein über die Bettkante, zieht mit gekrümmten Zehenspitzen die Hausschuhe unter einem umgestürzten Stuhl hervor und stakst mit steifen Gliedern ins kühle Bad.
Es war ein schöner Tag. Die Bäume so grün, das Moos, die Weiden, die bunten Felder, gelb der Raps, weite Flächen malerisch schön, die alten Dörfer, die Bäuerinnen in Trachten. Die Kirchen. Das Fachwerk. Winklige Gassen. Holde Glückseligkeit. Pablo - ein trauriger Fall. Don Quixote. Trotzdem. Die sonnige Luft hauchzart, fast zerbrechlich. Die Bäume am Wegesrand, glasklare Schatten in ungetrübt hellblauer Luft im Mai. Klarer Fall. Zerbrechlich. Glasklar. Céline richtete sich auf. Gebannt folgte sie den Umrissen der schattigen Nachmittagssonne, die auf ihren Gliedmaßen grazile Formen von Schatten und Licht erzeugten. Sie beugte sich vor und fischte mit der sicheren Routine ihres dehnbaren Körpers einen hauchdünnen Slip aus dem Faltenwurf der vom Liebesspiel sichtlich in Mitleidenschaft gezogenen Lagerstätte. Sie saß kerzengerade auf der Bettkante und mühte sich mit nach hinten gerenkten Armen mit ihrem neuen Playtex-Living BH, als er ins Zimmer trat, und fuhr fort sich anzukleiden, ohne ihn weiter zu beachten.
Pablo fand John mit den Leuten von der Initiative beim Italiener am Markt. Er setzte sich zu ihnen und bestellte bei der Kellnerin ein Bier. Jemand fragte, warum er nicht mehr zu den Sitzungen komme. Er entgegnete, das gehe sie einen feuchten Dreck an. John legte besänftigend einen Arm auf seine Schulter.
- Pablo, unser bourgeoiser Hamlet.
Er grinste und schaute triumphierend in die Runde. Pablo wand sich aus seiner Umarmung. Die anderen sahen ihn mit ausdruckslosen Gesichtern an. Pablo wich ihren Blicken aus.
- Lasst mich in Ruhe, brummte er, stand auf und zog sich eine Schachtel Zigaretten aus dem Automaten. Er kehrte zum Tisch zurück, brach die Packung auf, fischte sich eine Zigarette heraus, steckte sie sich zwischen die Lippen und zündete sie an. Sie musterten ihn mit unverhohlener Neugier. Pablo fuhr auf, balancierte die Zigarette aggressiv zwischen Daumen und Zeigefinger und begann erregt mit seiner Hand über den Gläsern zu fuchteln.
- Ist was? Was glotzt ihr mich so an? Sie schauten auf ihre eigenen Gläser und schwiegen. John räusperte sich.
- Komm, Alter, reg´ dich nicht auf.
Pablo hielt einen Filzdeckel in der Hand und begann Löcher hineinzubohren. Er brach ihn mittendurch, rieb ihn zwischen den Fingern, hob ihn bedächtig an die Lippen und blies einige Krümel quer über den Tisch. Seine Finger folgten den Krümeln und scharrten sie in kleinen Häufchen zusammen. Die Tischplatte glänzte matt. Pablo blies Rauch unter die Lampe, die einen scharfen Lichtkegel auf die Mitte des Tisches zwischen ihre Gesichter warf. Ihre Köpfe schienen wie von den Rümpfen gelöst, frei schwebend über dem Qualm, der von dem Licht in den Raum getragen wurde. Niemand sprach. An der Theke erklang schallendes Gelächter, Wortfetzen drangen zu ihnen herüber. Eine Musikbox dröhnte laut in der Ecke, wo vier junge Burschen um einen Flipper-Automaten standen. Sie trugen blaue Jeans Anzüge. Die Worte HELLS ANGELS FULDA glänzten silbrig aus dem verräucherten Halbdunkel.
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