„Ja, was für ein Problem ist dann da noch?“
„Nun, der Chef der Zollstation meint, er könne nicht die erforderliche Eintragung in meinen Pass machen.“
„Dann richten Sie ihm von mir aus, es ist bei uns nicht üblich, dass man Fremde derart belästigt.“
Wir plauderten noch ein wenig, sozusagen als Überleitung hinweg von dem weniger Erfreulichen. Die Verabschiedung war wieder sehr förmlich, aber immerhin betonte er nochmals, wenn ich irgendwelche Probleme hatte, könne ich selbstverständlich zu ihm kommen.
Mein e gute Laune und mein Selbstvertrauen waren wieder hergestellt. Der Zoll wird zwar seine eigene Hierarchie haben und nicht dem lokalen Regenten unterstehen. Andererseits ist ein Gouverneur ein zu mächtiger Mann, als dass der Zöllner seinen Wünschen die Stirn bieten dürfte. Jetzt auf gar keinen Fall mehr einschüchtern lassen, dachte ich auf dem Rückweg, ab jetzt muss ich dran bleiben und die Handlung bestimmen. Als ich in das Zollbüro eintrat, strahlte ich soviel Zuversicht wie irgend möglich aus. Auch wartete ich nicht ab, bis ich an der Reihe wäre, sondern verkündete für alle gut vernehmlich:
„Der Gouverneur lässt Ihnen ausrichten, sie sollen den Vermerk eintragen, und überhaupt wäre es nicht üblich, Fremde derart zu belästigen.“
Abruptes Aussetzen des allgemeinen Hintergrundgemurmels und Konzentration aller neugierigen Augen in eine Richtung ließen vermuten, dass hier gerade Ungeheuerliches geschehen war. Die Reaktion wurde mit Spannung erwartet. Sei es, dass der selbsternannte Lokalgötze jetzt mit Blitzen schleudern oder eine unvorstellbar furchteinflößende amtliche Abkanzelung mich auf der Stelle versteinern lassen würde. Das zweite nervöse Zucken im Gesicht zeigte mir, ich sammelte Punkte. Jetzt auf keinen Fall ihm Gelegenheit lassen seine Autorität wieder voll zu etablieren. Er werde sich später darum kümmern und hätte vorerst anderes zu tun, beschied er hoheitsvoll. Genau das durfte ich nicht zulassen, jetzt half nur noch nerven, nerven und nochmals nerven. Ich hatte ohnehin keine andere Wahl, als hier so lange herumzuhängen bis meine Sache durchgefochten war. Also schob ich gleich nach, was er denn so dringendes zu tun hätte. Die Überzeugung von seiner Wichtigkeit musste so verkrustet sein, dass er eine Gegenoffensive für undenkbar gehalten hatte. Es traf ihn völlig unerwartet. Und ich schlug gleich nach. Immer schön gelassen, aber in der Phonstärke die sicherstellte, dass auch draußen vor der Tür noch jeder alles mitbekam, ihm nur ja keine Atempause lassen. Schwer zu sagen, was größer war, meine Wut oder meine Angst. Und ich hatte eine scheußliche Angst, wenn ich daran dachte, was dieser skrupellose Typ mit mir machen könnte. Im Falle einer Einkerkerung würde es ewig dauern, bis überhaupt eine Nachricht durchgelangte. Besser gar nicht daran denken, was sein könnte wenn. Diese Angst war der Motor meiner Aggression. Es war wie ein Kampf, bei dem man durch irgendeinen glücklichen Zufall einen übermächtigen Gegner am Boden hatte und auf gar keinen Fall wieder hochkommen lassen durfte oder damit aufhören auf ihn einzuschlagen. Diese widerwärtige Zwangslage erschien mir so drückend, dass eine grauenvolle Angst mich zu übermannen drohte, wenn ich nur einen Augenblick nachließ, bevor diese Sache ausgestanden war, und das hieß, solange bis von dem Anderen keinerlei Gegenwehr mehr zu erwarten war.
Sein Putz bröckelte also. Bei allen Anwesenden bröckelte auch seine Autorität, auf nichts anderes als auf Einschüchterung begründet. Ich sah es mit wachsender Hoffnung, und er sah es mit Schrecken. Jetzt fing ich an ihn nachzuahmen, parodierte mit übertrieben blasierter Mimik in seinem Tonfall:
„Ich habe jetzt Wichtigeres zu tun.“
Die ersten Lacher kamen auf. Er grabschte ein paar Akten als Vorwand sich in einen anderen Raum zu verdrücken. Wieder machte ich aufs Groteske seine Gesten nach und folgte ihm. Die Anwesenden verwechselten es mit Volkstheater. Ich ließ jetzt nicht mehr locker, bombardierte ihn mit Fragen und deren Wiederholungen. Der Mann sollte keine Sekunde mehr vor mir Ruhe haben oder sich irgendwohin entziehen können. Jedes Lachen war seiner Eitelkeit ein schmerzhafter Schlag. Inzwischen kamen noch mehr Menschen in den Zollhof und drängten in die Büroräume. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass es hier etwas zu sehen und zu lachen gäbe. Ja, kommt nur alle herein, ihr sollt nicht enttäuscht werden. Es war nicht nur meine aufgestaute Wut und meine Ängste, die ich abreagierte, ich muss zugebend, es begann mir auch ein höllisches Vergnügen zu bereiten diesen Popanz, der schon wer weiß wie lange durch Einschüchterung und Demütigung von seinen Mitmenschen schmarotzt hatte, öffentlich zu demontieren. Ganz so schnell gab er noch nicht auf. Er flüchtete sich in die Behauptung, dass der dafür nötige Stempel gerade nicht auffindbar sei. Das Stichwort nahm ich gern auf und ging dazu über, seine Autorität auch bei seinen Untergebenen abzubauen. Mit der Frage,
„Was sagt Ihr dazu, er weiß nicht einmal, wo er den Stempel gelassen hat?“,
ging ich sie direkt an:
„Und so etwas will Euer Chef sein. Im großartigen Herumkommandieren gefällt er sich, aber er kann noch nicht einmal einen notwendigen Stempel finden. Was kann er überhaupt, außer sich aufblasen wie ein Frosch in der Brunftzeit?“
Lautes Gejohle aus dem Publikum war die Antwort und Verlegenheit bei seinen Leuten. Ich begann die verschiedensten Mutmaßungen darüber anzustellen, wie er zu seinem Posten gekommen sei, und machte immer kurz vor einer endgültigen, nicht zu beweisenden Behauptung halt. Es war auch nicht mehr nötig, das Publikum machte jetzt schon so begeistert mit, dass es selber die verschiedensten Stichworte Einwarf, unter prustendem Gelächter. Er machte den Versuch eines letzten Aufschwungs, indem er sich innerlich straffte und betont besorgt kundtat, dass es so nicht weiterginge, und er sonst den Zollhof zur Wiederherstellung der Ordnung räumen lassen müsse. Als Antwort deklamierte ich ins Publikum:
„Unser tüchtiger Zollchef hier macht sich Sorgen um die Ordnung. Das wollen wir ihm natürlich nicht antun. Ohnehin hatte ich dem Gouverneur versprochen ihm zu berichten, ob alles gut abläuft. Das will ich jetzt tun. Es wird nicht lange dauern, und ich hoffe, dass inzwischen niemand unseren Oberzöllner vom Stempelsuchen abhält.“
Im Vorgarten des Gouverneursanwesens, wo ich jeglichen Blicken entschwunden war, setzte ich mich eine Weile in den Schatten.
Als ich zur Zollstation zurückkam, sah ich gerade wie der Chef die Außenpforte abschloss. Auf die Frage, ob das Stempelsuchen ihn so erschöpft hätte, dass er der vorzeitigen Feierabendruhe bedurfte, sah ich nur ein gequältes Gesicht. Laut ließ ich vernehmen, dass ich am nächsten Morgen gleich in der Frühe zur Öffnung wieder hier sein werde.
Die Zollstation erweckte am nächsten Morgen schon von weitem den Eindruck, als wäre dort Wochenmarkt. Eine Gasse durch die erwartungsvolle Menge bildete sich von selbst. Großartige Begrüßung, Händedrücken, Zurufe, Schulterklopfen, kurz: Der Hauptdarsteller in einem Schmierenstück betrat die Bühne. Nur der Gegenspieler und unverzichtbare Bösewicht war nirgends aufzufinden. Verlegen sich herumdrückende Untergebene ließen sich endlich die Neuigkeit entlocken, ihr Chef wäre krank heute. Umgehend posaunte ich es ins Publikum, mit dem Zusatz:
„Dann wollen wir doch gleich mal sehen, wie es ihm so geht.“
Die Menge setzte sich in Marsch. Unnötig zu fragen, wo er wohnte, die Volksansammlung wälzte sich einfach dorthin und scharte sich um ein einzeln stehendes Häuschen mit festverschlossener Tür und verrammelten Fensterläden.
„Wollen Sie nicht einmal herausschauen und sehen, wie groß die Anteilnahme an Ihrem Befinden ist? Halb Tessinei ist anwesend rund um Ihr Haus versammelt.“
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