„Danke; siehst toll aus.“
„Merci“, lächelt sie zurück.
Haselnussbraune Augen, Anflug von Sommersprossen; Küsschen links, Küsschen rechts; dreht sich elegant um, geht catwalk-mäßig den Flur entlang; irgendwie hat sie etwas Edles, was Adliges an sich; ein perfekt sitzender String springt mir ins Gesicht; ihre schlingernden Bewegungen schieben ihn hin und her, lösen ein Feuerwerk bei mir aus. Mein Blut bekommt Temperatur; die Fantasie macht mich zum Einhandsegler.
Überall Stimmen, leichte Musik, klapperndes Geschirr, Gerüche. Mein Magen schreit Alarm. Mein Durst ist noch schlimmer. Ich schmeiße meine Sachen in irgendeine Ecke, stopfe die Hand in die Hosentasche und gehe in einen riesigen Wohnraum. Offene Küche. Bestimmt mehr als zwanzig Menschen. Blicke scannen mich ab. Mag das nicht. Fühle mich schnell unwohl. Schon geht es los:
„Darf ich dir Alessandra, meine beste Freundin vorstellen; sie kommt aus Italien.“
Superschlanke Mailänderin; lässig angezogen. Talentiert, smart, hübsch und vermutlich sehr einsam. Sie ist mir sofort sympathisch; interessant noch dazu. Charlotte zieht mich weiter.
„Klaus und Heinrich; gute Freunde; sie haben eine Galerie in der Stadt und helfen mir, wenn ich unschlüssig bin.“
„Willkommen in Hamburg.“
Super-cooles Pärchen, angenehm schwul; nicht so fürchterlich tuntig, dass man nicht weiß, wie man am besten wegsieht; sind angezogen wie Bond; stehen bestimmt auf Bauhaus und Bang&Olufsen an der Wand; machen bestimmt Marathon oder Triathlon, irgend sowas mit viel Disziplin und so.
„Liane und Lisa. Freunde und Nachbarn.“
„Hey Don. Charlotte hat von dir erzählt.“
„Hoffe nicht zu viel?“, lächle ich zurück.
Lesbische Zwillinge. Können nicht ohne die Andere, außer auf Klo vielleicht; sehr bunt angezogen; halten sich verliebt an den Händen; fassen sich hier und da an; sind süß, besonders, wenn sie nacheinander und nicht im Chor sprechen.
Charlotte schleppt mich erbarmungslos weiter. Es kommen Peng und Puff, Freunde aus der Stadt, gefolgt von Wumm und Knall. Herr und Frau Biedermann aus dem Viertel. Er Proktologe, sie Zahnärztin. Die Schächte der Hansestadt sind also gut versorgt. Es folgen ein dutzend Namen, inklusive detaillierte Umschreibungen. Langsam schwirrte mir der Kopf. Namen über Namen. Ich behalte keinen und bin angeschlagen, als wenn ich Grass geraucht oder gelesen habe.
„Charlotte, wirklich, nette Freunde… hast du auch was zu trinken?“
„Und zu guter Letzt, möchte ich dir…“
Ja, sicherlich: den Frosch mit der Maske vorstellen. Ätzende Gedanken sprießen wie die Pilze; Durst ist schlimmer als Heimweh. Der Verhaltens-Säugling kommt zum Vorschein; Einwortsätze folgen.
„Charlotte? Trinken?“
„Bien sûr. Don, maintenant.“
Man reicht Sektflöten; wir stoßen an; aufs Leben, die Liebe, sogar auf mich; gefällt mir, besonders das mit der Liebe. Zum Glück bleibt mein Weinglas voll; schon bessert sich meine Laune. Was für eine Mischung: drei lesbische, zwei schwule Pärchen. Ein paar vereinzelte Frauen und drei versprengte Hetero-Paare. Stimmung und Gespräche sind okay. Alles in allem eine bunte Mischung aus Wirtschaft, Kunst, Musik und Sport, mit einer Prise Politik.
Alle sind hübsch angezogen; unheimlich glatt; mir zu perfekt. Herumwandernde Ausstellungsräume. Ständig präsentieren sie etwas. Alles ist durchgestylt, glamourös und großartig. Ich frage mich, wer die Menschen dahinter sind. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Seidentuch passend zum Tweed-Blazer; schwere Uhren passend zur Zeit des Tages. Alles sendet eine Botschaft, kippt ein Statement in den Abfluss der Zeit.
Charlotte genauso. Meine bei ihr aber einen lautlosen Schrei des Ausbrechens zu hören. Fassaden interessieren mich nicht; groteske Horrorshow; für mehr als zum Einsturz bringen taugen sie nicht.
Es ist so weit. Mein Auftritt lässt sich nicht mehr aufschieben. Längst bin ich hundemüde; ich lasse meine Schallplatte ablaufen, inklusive der alten Songs. Kindheit in Lisboa und Barcelona; dann Malle, Esel, Schweine, Oliven und Schafe, gefolgt vom Song übers Schreiben und Saufen. Das Beste zum Schluss: Frauen, Bücher, Musik und Kunst. Einmal vom bunten Teller.
Merke es sofort: Habe keine Lust mehr zu reden und werfe Köder aus. Mal sehen wer zuschnappt. Hamburg würde mich schon lange reizen, besonders die Hamburgerin. Gierig schlucken sie die Brocken. Endlich wieder Zuhörer.
Erste Müdigkeit stellt ihren Fuß in meine Tür; schon lange kann ich nicht mehr zuhören; alles ist wie weggeregelt; ich bin jetzt Ausguck auf einem alten Segelschiff und höre nur frischen Wind pfeifen; was man unten an Deck sagt, bekomm ich nicht mit. Selbst meine eigene Stimme nicht. Hin und wieder schauen manche Gesichter erwartungsvoll, lächeln mit großen Augen herüber. Vereinzelt ziehen sich Brauen zusammen; Hände werden schüchtern vor den Mund gehalten. Manch tiefgründiges Lächeln kann ich ernten.
Nach der Vorspeise gibt es Fisch mit weißem Rioja. Es schmeckt fantastisch. Wir trinken aus Kristallgläsern. Wie edel. Wo ich herkomme, trinkt man Wein aus Wassergläsern, egal ob Port, Weiß oder Rot; zerkratzte Tonteller statt Porzellan; einfaches Besteck statt Tafelsilber; zwischendurch schaue ich mich um; ich sitze tatsächlich zwischen Lippenstift, Blusen, gezupften Augenbrauen, rasierten Beinen, Dessous, Perlen und Seidenstrumpfhosen.
Sogar die Kerle sind elegant, sauber und emsig angezogen; ihre Fünf- bis Siebentage-Bärte penibel gepflegt, als kämen sie vom Laufsteg; alle sind schlank, smart und nett; bestimmt weiß jeder, an welchem Tag sie, mit welchem Gerät um welche Uhrzeit, Fitness machen. Alles ist perfekt durchorganisiert, so wie Leben, Altersvorsorge, Versicherungen, Karrieren, Renten, Meetings und Vernissagen; das Leben als Projekt, mit dazugehörigem Plan.
Ich weiß, dass ich Entertainment für sie bin und von einem anderen Planeten komme. Ich sehe an mir runter: Die Füße stecken in Wollsocken und Laufschuhen; meine schwarze Trekking-Hose ist mehr praktisch als schick und der Funktionspulli sorgt dafür, dass ich wie ein Abenteuerfreak aussehe. Schöner Kontrast zu den grazilen, schönen Großstadtvögeln.
Nach dem Dessert kommt Cognac. Irgendwann gehe ich auf den Balkon, rauche meine erste Zigarette; ziehe kräftig; schaue aufs Mobiltelefon. SMS von Laetitia.
„Gut angekommen? Wie findest du Charlotte? Besos.“
„Sexy“, sende ich zurück.
Sie sendet einen Smiley zurück. Nach der zweiten Kippe gehe ich rein. Irgendwann zeigt mir Charlotte den Rest der Wohnung: Sie lebt alleine auf 250 Quadratmetern. Wie dekadent.
Mitternacht. Der harte Kern ist übrig. Ich bin hundemüde, meine Worte kaum noch zu verstehen. Ich habe genug für heute, hebe mein Glas und wünsche allen eine gute Nacht. Charlotte, ganz Dame des Hauses, steht auf und geleitet mich in mein Zimmer.
Müde schlurfe ich hinterher, höre im schummrigen Licht ihre klackernden Absätze. Mein Körper erwacht; das Rückenmark kocht; mein Schwanz steht ab, wie ein wahnsinniges Ding aus einer anderen Welt. Vor einer Tür bleibt sie stehen und kommt näher.
„Fühlst du dich wohl?“, fragt sie. Was für eine Frage; bin blass wie ein Grottenolm; das Blut ist weiter unten.
„Bin hundemüde, obwohl es mir schwerfällt zu sagen, wenn du vor mir stehst.“
Sie schenkt mir ihr Kleopatra-Lächeln, scheinbar wartet sie auf irgendwas; doch ich schalte zu langsam; meine Sensoren sind nicht mehr fein genug.
„Schlaf gut“, haucht sie und dreht auf dem Absatz um.
„Charlotte. Warte.“
Ich mache einen großen Schritt, greife ihre Hüfte und drehe sie rum; schnell werden ihre Augen dunkel; der Blick geht tief; ich ziehe sie langsam zu mir; sie duftet umwerfend; zwanzig Zentimeter zwischen unseren Lippen.
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