„Cabin Crew, 10 Minutes.“
Als ich die Landebahn durchs Seitenfenster sehe, halte ich die Luft an. Wie ein betrunkener Seemann taumelt die Maschine. Selbst die Vielflieger schauen bleich aus den Löchern.
„Scheiße, der Kapitano ist die Reinkarnation von Käpt'n Ahab, so hart, wie der am Wind segelt!“
Plötzlich drückt er die Karre runter, um seine Harpune in der Landebahn zu versenken; hart rumpelnd wie ein Sack Kartoffeln knallt das Bugfahrwerk auf Asphalt.
„Welcome Hamburg“, dröhnen Lautsprecher.
Wie ein Leguan schlingert die Kiste zum Terminal. Regentropfen schießen waagerecht am Fenster vorbei. Der Himmel? Beeindruckend dunkel; im Hades ist es bestimmt heller. Hallo Hamburg.
Bin nervös wie beim ersten Date und knete meine Nase. Wir docken an, marschieren wie verzweifelte Lemminge aus dem Flieger. Unruhig renne ich nach links und rechts schauend, ständig das Gepäckband suchend. Da ist es; die Mädels aus dem Flugzeug stehen schon davor.
„Heftige Landung, oder?“, fangen sie Smalltalk an.
„Kann man sagen, allerdings ist heute mein erstes Mal“, gebe ich zurück und lade sie ein, ihre Dominosteine anzureihen.
„Dein erstes Mal? Noch nie geflogen?“
„Na klar, aber nie Hamburg.“ Komme mir vor, wie bei meiner ersten Mount-Everest-Besteigung.
„Ich bin Kristina; das ist Solveig, meine Freundin. Hier, meine Telefon-Nummer, falls du Hilfe brauchst.“
„Nett von euch. Muss ich auf etwas Acht geben?“
„Weißt du wo du pennst?“, fragt sie, ohne auf die Frage einzugehen. Eigentlich rede ich nicht leise.
„Ja, weiß ich. Sagt mal, sehe ich irgendwie hilflos oder hilfsbedürftig aus? Könnt ihr mir erklären, wieso ihr wie zwei Krankenschwestern mit mir redet?“
„Bist schon okay, wie heißt du?“ Sie antworten auch jetzt nicht; Hamburg ist ein komischer Laden.
„Don Tango“, gibt meine gerunzelte Stirn zum Besten.
„Wie bitte? Das ist ein Witz, oder?“
„Nein; ich habe den Namen seit ich auf der Welt bin.“ Doch sie hören es nicht, sind in Gedanken schon woanders und geben den Trolleys Stöße, die jeden Grubenarbeiter ehrfurchtsvoll hätten staunen lassen.
„Wir müssen los. Wenn du Lust auf ein Bier hast, melde dich. Viel Spaß in der coolsten Stadt der Welt“, rufen sie mir noch schnell zu, bevor die Drehtür sie verschluckt und auf der anderen Seite widerkäut.
Stehe im Flughafenfoyer wie eine einsame Insel im Meer. Ganz schön hektisch hier. Menschen rempeln sich an mir vorbei. Wohin ich sehe, überall geschäftige Unruhe. Alles telefoniert. Kurze Zeit später schleudert die Drehtür auch mich nach draußen. Eisiger Wind will mich von den Füßen pusten.
„Was zum Teufel ist das für eine Scheiße?“, brüllt meine aufkommende Verzweiflung den Hamburger Himmel an. Sprühregen sorgt dafür, dass meine Haut nicht vertrocknet.
„Verdammt ist das nass; ätzend kalt noch dazu.“
Jetzt weiß ich, wie sich kochende Frühstückseier fühlen. Eben ist einem schön warm, und plötzlich gibt es eine eiskalte Dusche, die einen erschreckt, alles zusammenzieht, bis man wie eine vertrocknete Olive aussieht. Bin mir sicher, dass die Nase blau ist, bevor meine Zähne klappern. Binnen Sekunden friere ich wie ein Frischling und fluche wie ein kinderloser Olivenbauer. Ich muss schnell ins Warme, oder ich erfriere, bevor ich Hamburg buchstabieren kann. Sehe mich hektisch um.
Überall Taxis, die wie müde Fischerboote herumdümpeln. Eine Autotür wird aufgestoßen; ich blicke dem Taxifahrer ins fragende Gesicht. Türkische, vielleicht arabische Wurzeln. Möchte ihn fragen, ob er frei ist, da platzt es aus ihm raus:
„Hast du keine Augen im Kopf?“
„Pardon, wie bitte?“
„Von welchem Planeten kommst du denn? Steig ein wenn du ein Taxi brauchst, oder geh weiter. Pass aber auf, wenn du selber fliegst und sei vorsichtig mit der Flughöhe, okay? Also, was ist jetzt?“
Hat der einen Ton am Leib. Ich nicke ihn lächelnd an, während er wie ein Wiesel aus dem Auto springt und meine Koffer verstaut.
„Moin. Willkommen in Hamburg, der geilsten Stadt im Sonnensystem.“
„Was bedeutet Moin?“
„In Hamburg sagt man MOIN. Das ist unsere Begrüßung, zu jeder Tageszeit, egal ob in der Nacht oder morgens. Aus welchem Loch kommst du gekrabbelt?“
„Mallorca, und du?“
„Hamburg. Mama kommt aus der Türkei; mein Alter aus'm Iran; haben sich in Altona kennengelernt; bin hier geschlüpft.“
„Was? Wie bitte? Türkei, Iran, Hamburg, schlüpfen? Kannst du das noch mal langsam erklären? Hört sich an, wie ein Kochrezept.“
„Für dich in Langsam: Meine Eltern haben sich in Altona kennengelernt; Ma ist Türkin; mein Alter aus dem Iran; bin hier zur Welt gekommen und hier geblieben; ist'n tolles Viertel. Leider explodieren die Mietpreise, weil Multikulti angesagt ist; aus alt mach schick und fein, was in Realität bedeutet, dass sich Mietpreise verdoppeln. Was soll's; noch geht es; Leben und leben lassen, sag ich immer. Und du? Bist du'n richtiger Mallorciner? Siehst gar nicht so aus; bist recht groß für einen Cocker-Spanier.“
Er ist gelaunt wie Börsenhändler vorm Crash. Ich habe noch nie einen Menschen so über seine Stadt schwärmen hören; meine Neugier wächst, obwohl ich mit den Jahren vorsichtiger geworden bin; hab mir zu oft die Flossen verbrannt. Ich erzähle ihm meine Geschichte.
„Mein Vater ist aus Portugal; Mama ist Hamburgerin; deswegen spreche ich fließend Deutsch; aufgewachsen bin ich in Portugal, Barcelona und Mallorca; aber in Hamburg bin ich noch nie gewesen.“
„Cool. Wie abgefahren. Deine Geschichte hört sich spannend an. Du, Julio, pass mal auf; wenn wir nicht bald losfahren, sabbeln wir noch länger. Wo willst du hin?“
„Bring mich in dein Viertel, nach Altona, in die, warte mal; Mist, ist schlecht geschrieben: Bernot, oder vielleicht Bernhardiner-Straße.“
„Du hast wirklich keine Ahnung: Bernadotte-Straße, du Vogel!“, prustet er los und lacht sich halb kaputt.
„Hast Recht. Okay, dann los.“
Fische mein Handy aus der Jacke, will Charlotte anrufen.
„Hola, Señorita. Que tal?“
„Parfait, très bien. Wo bist du?“
„Ich sitze im Taxi; bin in einer Stunde bei dir.“
„Hast du Hunger?“
„Ja und Durst; ist ziemlich kalt bei euch; friere wie ein Schneider. Hast du es warm bei dir?“
„Oui oui. Stört es, wenn Gäste da sind?“
„Nein. Bis gleich.“
Warme Stimme; klingt sexy; stecke die Hand in meine Tasche, die Schlange beruhigen. Längst erzählt der Taxi-Fahrer seine Lebensgeschichte und lässt wenig aus. Hin und wieder schaue ich aus dem Fenster. Weltweit gültiger Kneipenwortschatz hilft, dass wir zusammen allein sind, ohne dass die Unterhaltung durch unvorhersehbares Schweigen stirbt.
„Habt ne Menge Grün und Blau; überall Bäume und Wasser.“, nuschle ich vor mich hin.
Höre unbekannte Namen: Max Brauer, Lessingtunnel, Barner Straße. Ein paarmal biegen wir ab. Plötzlich hält der Wagen. Noble Wohngegend mit Stadtvillen.
„Da sind wir, Julio.“
Ich steige aus, zahle mit Direktorentrinkgeld und bekomme seine Karte, für den Fall, dass ich wieder ein Taxi brauche. Greife nach meinem Koffer, mache nur ein paar Schritte und drücke die Klingel. Summend öffnet sich die Tür; ich betrete das Treppenhaus, was mindestens so gepflegt wie schön ist. Wahrscheinlich um 1900 gebaut. Verschnörkeltes, handgefertigtes dunkles Treppengeländer. Vielleicht Mahagoni. Knarrende Treppen finde ich toll. Bin auf Charlotte gespannt. Stehe eine Sekunde vor der Tür, da geht sie schon auf.
Eine schöne, elegante Brünette steht vor mir. Enger, hochgeschlossener Rock. Kniefrei. Körperbetonte Bluse, hochhackige Schuhe. Wow, ist die sexy.
„Bonsoir. Ich bin Charlotte; deine Freunde haben mir viel von dir erzählt. Komm rein.“
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