Ich möchte hier noch über ein Erlebnis der besonderen Art berichten: An einem der Folgeabende ging ich, wieder liebeshungrig, schon zielstrebig um 17:30 Uhr an Land und traf dabei noch in Sichtweite der ELISABETH BORNHOFEN auf einen Leichtmatrosen des Rickmers-Schiffes, das vor unserem lag. Er war auch alleine unterwegs und konnte es, genau wie ich, kaum erwarten, wieder bei seiner Geisha zu sein. Zusammen machten wir uns also auf den Weg. Ich steuerte zielbewusst auf die mir bekannte Geisha-Straße zu, erkannte auch sofort mein Ziel, er aber hatte wohl Schwierigkeiten, das von ihm gesuchte Haus mit den Bewohnerinnen wieder zu erkennen, die ihm doch auch die letzten Tage so viel Freude bereitet hatten. Langes Suchen nach seiner Braut kam mir nicht in den Sinn, und so trennten wir uns. Ich hatte schnell meine Geisha gefunden. Sie empfing ihre Gäste in einem spartanisch, aber sauber eingerichteten Zimmer im ersten Stock. Nun waren diese Art Häuser und sowieso die Etablissements untereinander sehr hellhörig. Wenn man mal richtig lauschte, konnte man schon erahnen, was der Nachbar gerade mit seiner Gespielin veranstaltete.
Stunden später, ich war mit meiner unglaublich lieben und aufmerksamen Japan-Freundin auf Zeit schon längst bei der Sache und gerade mitten in Aktion, als es im Hause laute Stimmen zu hören gab, die bald darauf schon in heftige Wortgefechte übergingen. Jeder Unbeteiligte merkte sehr schnell, dass es da einen deftigen Streit gab. Überrascht musste ich feststellen, dass die mit japanischer Wandmalerei versehenen Wände des Zimmers lediglich aus Papier waren. Ich merkte es nur zu deutlich, als kurze Zeit später eine männliche nackte Person durch eine der das Nachbarzimmer abgrenzende Wand mehr gelaufen als gestürzt kam und durch unser Zimmer sauste. Weiter ging’s wieder hinaus durch die gegenüberliegende Papierwand. Dies alles ging so schnell, dass uns beiden kaum Zeit blieb, uns gegenzeitig verdutzt anzusehen. Was folgte, war ein schnelles Überstreifen der nötigsten Kleidungsstücke. Meine Begleiterin wusste Rat, und wir verschwanden ein paar Zimmer weiter.
Wieder einmal wurde es eine lange Nacht an Land. Wer hört schon auf, wenn es am schönsten ist? Auch ein unerlässlich erhobener Zeigefinger des Nachtwachmannes an Bord (es war Peter, der „Geizige“) konnte mich nicht von so viel Glück abhalten. Ich war ja noch nicht einmal 18 Jahre alt und stand gut im Saft.
Am nächsten Tag bekam ich dann in der Mittagspause Besuch vom Leichtmatrosen des Rickmers-Schiffes. Er erzählte mir eine fast unglaubliche Geschichte, in der es um einen Streit ging, den er mit einem anderen Besatzungsmitglied seines Schiffes gehabt hatte. Eifersucht sei im Spiel gewesen, und von „Durchlaufen“ mehrerer Papierwände war die Rede. Genüsslich hörte ich mir alles an, unterbrach ihn nicht und brach anschließend in lautes Gelächter aus. Ich wusste jetzt, wer der Störenfried gewesen war, der meine Liebesnacht unterbrochen hatte.
Wo blieben all die geplanten Anschaffungen?
Leider gehen ja auch die schönsten Erlebnisse einmal zu Ende, so auch unser der Aufenthalt in Kobe. Tagtäglich habe ich mit Übereifer meine Arbeiten an Bord verrichtet, mit Begeisterung bin ich jeden Abend an Land gegangen, jedes Mal zu dem selben Mädchen, und das neun Tage lang. Ähnliches habe ich nie wieder erlebt. Gesehen habe ich von Kobe nicht allzu viel. An einem Wochenende bin ich mit meinem Mädchen in einem Zoo gewesen, ansonsten ein wenig durch die Stadt gebummelt. Für mich persönlich gekauft habe ich nur ein paar Batterien für meinen Plattenspieler an Bord, mehr war es nicht. Anderen Besatzungsmitgliedern ging es ähnlich. Alle hatten sich viel vorgenommen, verwirklicht haben es nur sehr wenige. Ich habe mir später immer wieder gewünscht, noch einmal nach Japan zu kommen, der Wunsch ist leider nie in Erfüllung gegangen.
Wir hatten nach neuntägiger Liegezeit alle Ladung gelöscht und eine Ladung riesiger Kisten für Bombay an Bord genommen. Mit viel Wehmut verließen wir Kobe. Noch viele Tage später auf See erzählten wir uns gegenseitig unsere Erlebnisse von den Nächten in Kobe.
Rostklopfen und kein Ende
Das Wetter war in den ersten Tagen der Seereise nach Bombay so schön, dass der Bootsmann die Gelegenheit wahrnahm und die vier an Bord befindlichen Rostmaschinen hervorholen ließ. Keine Stunde später saßen vier Junggrade auf umgestülpten Eimern an Deck und ließen die Fetzen fliegen. Der Rostflug war so heftig, dass wir vier schon nach kurzer Zeit Putzlappen um unseren Kopf banden. Nur noch die Augen waren frei, und ein kleiner Schlitz garantierte das Luftholen. Bei dieser eintönigen Arbeit baldowert man ja bekanntermaßen die sonderbarsten Techniken aus, um eine stetig gebückte Haltung zu vermeiden. Die Lieblingsstellung war ein aufrechter Sitz, und einer der beiden Füße dirigierte das Endstück an der biegsamen Welle. Dabei konnte man sogar ab und zu eine qualmen.
Der Bootsmann hatte inzwischen aus dem vorderen Windenhaus die nötigen Anstrichmittel geholt, mittels einer Bohrmaschine mit langem Rühraufsatz zurechtgemixt und schon Rollen und Pinsel bereitgelegt. Als wir gegen 14:00 Uhr das nervende Geräusch des Rostentfernens abbrachen und alles gründlich säuberten, wurde anschließend die gereinigte Fläche mit Leinöl dünn bedeckt, nach Abtrocknen der Firnisflüssigkeit kam Rostschutz darüber. Diese Fläche wurde dann am nächsten Morgen mit der Deckfarbe übermalt. So ging es Tag für Tag. Als Vorkante Brücke die Backbordseite fertig war, kam die Steuerbordseite dran. Erst als das Wetter sich änderte, waren wir erlöst. Der Regen rettete uns. Es war jedoch auch nicht mehr viel am Deck des Vorschiffs zu machen.
Schon Stunden vor Erreichen des Hafens von Bombay machten wir schon wieder alles fertig zum Löschen. Allerdings wurde nach dem Festmachen an einer klapperigen Holzpier in Bombay nicht gleich mit dem Entladen der riesigen Kisten, die in den Unterräumen standen, begonnen. Wir mussten noch zwei Tage warten, bis ein Schwimmkran kam und die Ladung auf Pontons setzte.
Die Abende wurden genutzt, um an Land zu gehen. Sehenswertes gab es hier genug. Ich musste immer die ärmlichen Leute beobachten, die in zerlumpten Kleidungsstücken herumlungerten und uns laufend anbettelten. Nicht einmal in Afrika hatte ich soviel Elend gesehen. In der Stadt herrschte rege Betriebsamkeit bis in die späte Nacht hinein. Wir blieben abends allerdings nicht allzu lange auf abseitigen Wegen. Von der Schiffsleitung waren wir vor Räubern und Dieben gewarnt worden.
Als die schweren Kisten alle entladen waren, verholten wir zu einer anderen Pier etwas außerhalb des Haupthafens, und es wurden mit eigenem Geschirr zwei riesige Gangways als Aufstieg von Land bis an Deck befördert, eine bei Luke 2, die andere achtern bei Luke 4. In die Luken wurden riesig lange Rutschen aus Holz verbracht, die vom Lukensüll bis unten in den jeweiligen Raum reichten. Dies war die Arbeit eines halben Tages. Als sie beendet war, versammelte sich an Land vor den beiden Gangways eine riesige Menschenmenge: die Ladecrew. Auf jämmerlichen Karren kam, von Eseln und Ochsen gezogen, unsere Ladung an. Ich weiß bis heute nicht, was in den etwa 30 bis 40 kg schweren viereckigen, sich weich anfühlenden Paketen war. Aus defekter Verpackung trat grasähnliches Material heraus.
Die hageren Gestalten nahmen nun jeweils einen Packen vom Karren, schmissen sich das Paket auf die Schulter und trabten die Gangway hinauf aufs Schiff. Dort gingen sie zu der Rutsche und warfen ihre Last darauf. Diese rutschte dann mit hoher Geschwindigkeit nach unten, wo sie von hier wartenden Arbeitern gepackt und gleichmäßig verstaut wurden. Die Arbeiter, die sich nun oben an Deck ihrer Last entledigt hatten, trabten wieder zur Gangway und begaben sich nach unten, um ein neues Ladungsstück vom Karren zu nehmen und wieder aufwärts auf das Schiff zu steigen. Diese Tätigkeiten von mehreren Hundert Arbeitern beim Vorschiff und gleichzeitig achtern waren mit einem nicht abnehmenden Ameisenstrom zu vergleichen, der kein Ende hatte. Gleichmäßig trotteten alle Schritt für Schritt die Gangway hinauf und auch wieder herunter.
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