Neuigkeiten im LKA gab es nicht viele. Es gab eine Umstrukturierung der Führungsebene. Dies war so sicher und regelmäßig der Fall, wie das Amen in der Kirche, meinte Gwen. Auf der einen Seite wäre eine längere Phase der Stabilität der Führungsmannschaft sicherlich hilfreich gewesen, damit auch die Führungskräfte die Lorbeeren einstreichen konnten, für die sie verantwortlich waren. Umgekehrt verhielt es sich natürlich genauso und die Vorgesetzten müssten die Suppe auslöffeln, die sie ihren Abteilungen eingebrockt hatten.
Andererseits war ein regelmäßiger Wandel auch wichtig, um neue Denkanstöße zu bekommen. Nichts war schlimmer, als in festgefahrenen Strukturen Jahr für Jahr in der gleichen Weise weiterzumachen. Veränderungen waren dazu da, diese Strukturen aufzubrechen und effizientere Verfahrensweisen einzuführen.
Die Einkaufsabteilung des Landeskriminalamtes hatte auch mal wieder eine Veränderung lanciert, die jeden der Beamten treffen würde, ob sie wollten oder nicht. Allerdings war es in diesem Fall für Gwen unverständlich, warum man nicht einfach alles so gelassen hatte, wie es vorher war.
»Das verstehe ich nun wirklich nicht. Die alten Karten waren doch noch gültig«, äußerte Gwen ihren Unmut und ihr Unverständnis.
»Vielleicht konnten sie dadurch die Kosten wieder etwas senken.«
»Aber dazu müssen doch die Karten nicht alle ausgetauscht werden!«
»Die Kreditkartenunternehmen wollen bestimmt wieder neue Sicherheitsmerkmale einführen, damit die Karten besser vor Missbrauch geschützt sind. Anders kann ich es mir nicht erklären.«
»Das heißt, wir müssen in allen Systemen wieder neue Kreditkartennummern hinterlegen, damit die Reisen und LKA-Ausgaben richtig und automatisch abgerechnet werden können.« Frustriert fügte Gwen hinzu: »Und eine neue PIN habe ich auch erhalten!«
»Gwen es hilft hier kein Jammern, denn die Entscheidung ist nun mal gefällt worden. Und was auch immer der Auslöser für den Austausch war, wir werden ihn nie erfahren. Aber bestimmt erhöht sich die Sicherheit und das ist nun mal den Aufwand wert.«
»Bestimmt hast du recht. Ich werde mich heute Nachmittag mal daran machen, die Änderungen in den Systemen einzupflegen. War sonst noch etwas los, als wir im Urlaub waren?«
»Nicht, dass ich von wichtigen Änderungen gehört hätte. Es scheint, als wenn wir uns auf die mysteriösen Todesumstände des Herrn Schörff stürzen könnten. Was meinst du?«
Gwen lächelte, nahm ihren, mittlerweile leeren Kaffeebecher mit, und ging zurück in ihr Büro. Stefan folgte ihr.
»Dann sollten wir mal loslegen.«
Die deutschen Behörden hatten aus Österreich eine Aufenthaltsanfrage für die Schwester von Andreas Schörff erhalten und arbeiteten daran. Dies würde nur noch einige Tage in Anspruch nehmen, da derzeit viele Anfragen hereinkamen, es Ferienzeit und die Abteilung überhaupt unterbesetzt war. Dies war alles, was Stefan in Erfahrung bringen konnte. Wenigstens war bisher sichergestellt, dass die Informationen zum aktuellen Aufenthaltsort der Schwester, direkt ins LKA gehen würden, um nicht den Umweg über die österreichischen Behörden zu nehmen.
Mit dem Wohnort von Andreas Schörff war es einfacher gewesen. Seine Fingerabdrücke waren durch seinen Reisepass eindeutig seiner Identität zugeordnet worden. Den Reisepass hatten die Kieler Behörden ausgestellt und hier war auch seine Wohnadresse bekannt.
Stefan und Gwen beratschlagten über die nächsten Schritte. Sie würden als erstes das Haus oder die Wohnung in Augenschein nehmen, um Hinweise auf einen Drogenkonsum oder Medikamentenmissbrauch zu erhalten. Vielleicht konnten sie die Untersuchungen dadurch schnell abschließen. Wenn nicht, so würden sich vielleicht weitere Hinweise ergeben, wie er an die Präparate herangekommen war.
Gwen fantasierte schon von einem international agierenden Schmugglerring für gefälschte Medikamente, aber das war für Stefan doch etwas weit hergeholt. Man hatte ja schon des Öfteren klein angefangen und durch die Nachforschungen einen größeren Zusammenhang erschlossen. Dies ließ sich Stefan gerade noch gefallen, mahnte Gwen aber zu kleinen Schritten. Also machten sie sich als erstes auf den Weg zur gefundenen Wohnadresse von Andreas Schörff.
Die beiden Ermittler wollten sich ein eigenes Bild machen, bevor sie vielleicht die Spurensicherung oder weiteres Personal aus dem Landeskriminalamt aktivierten. Sie erreichten die Schulstraße 27 in Gettorf. Nördlich des Zentrums, am Ende einer Stichstraße fanden sie bei der Adresse ein großes Einfamilienhaus. Es war sehr ruhig in der Straße und keine Menschenseele nahm bisher Notiz von ihrer Ankunft. Sie hatten ihren Polizeiwagen in der Einfahrt des Grundstückes geparkt und waren ausgestiegen. Wie immer versuchten sie einen Eindruck der Umgebung zu bekommen und nahmen auch Kleinigkeiten war, die ihrem geschulten Auge nicht entgingen. Hinter dem Grundstück erstreckten sich Felder, Wiesen und Baumareale. Es schien, als ob der Ort hier zu Ende wäre und dahinter nur noch unbebautes Land und bewirtschaftete Felder lägen. Die anderen Häuser in der Straße waren kleinere und ältere Häuser aus dem Bestand, während das Einfamilienhaus von Herrn Schörff neueren Baudatums war. Wahrscheinlich war ein altes Haus gewichen und ein neues, größeres Haus mit besserem Klima- und Wärmeschutzstandard war entstanden. Es schmiegte sich von der Bauweise aber sehr gut in die bestehende Architektur der anderen Häuser in der Straße ein, obwohl es mit außergewöhnlich wertvollen Materialien gebaut worden war. Allein die Marmorstufen zum Hauseingang hatten bestimmt ein kleines Vermögen gekostet. Der Garten war in einem tadellosen, gepflegten Zustand und das ganze Haus war mit hochwertigen Edelstahllampen bestückt. Stefan und Gwen war schnell klar, dass hier ein gewisser kostspieliger Lebensstandard gepflegt wurde.
Sie gingen um das Haus herum und erschraken. Sie erschraken mindestens genauso, wie die Hausbewohner, die es sich auf der Terrasse unter der Markise gemütlich gemacht hatten und Kaffee tranken.
»Wer sind Sie und was machen Sie hier auf unserem Grundstück?«, rief die dickliche Dame, ohne aufzustehen.
Gwen und Stefan erstarrten. Damit hatten sie gar nicht gerechnet. Sie waren davon ausgegangen, dass Andreas Schörff der alleinige Bewohner dieses Hauses war. Nachdem sie den ersten Schreck verdaut hatten, zückten sie ihre Marken und stellten sich vor.
»Entschuldigen Sie bitte vielmals unser unangekündigtes Eindringen. Wir sind davon ausgegangen, dass dieses Haus leer steht. Mein Name ist Hauptkommissarin Fisher und das hier ist mein Kollege Oberkommissar Schick. Wir beide kommen vom LKA in Kiel.«
Sie zeigten ihre Marken und händigten den beiden, grimmig dreinschauenden, offensichtlichen Rentnern, ihre Visitenkarten aus.
»Und warum meinten Sie, würde das Haus leer stehen?«, fragte die dickliche Dame, ohne sich selbst vorzustellen.
Gwen befürchtete bereits, gleich in einen großen Fettnapf zu treten, wenn sie die Frage beantworten würde und hielt sich daher an die Vorschriften.
»Darf ich erst einmal fragen, mit wem wir das Vergnügen haben?«, fragte Gwen höflich.
»Es ist sicherlich kein Vergnügen, wenn Sie hier einfach unangemeldet in unserem Garten stehen!«, blaffte die dickliche Frau.
»Ich bin Dorothee Schörff und das ist mein Mann, Waldemar.« Sie zeigte auf ihren Mann. Beide blieben in ihren Gartenstühlen sitzen, was aufgrund ihrer Körperfülle sicherlich auch besser war. Gwen taxierte die beiden auf über siebzig Jahre, aber bestimmt noch keine achtzig. Sport kannten beide nur vom Fernsehen und dem Kaffeegedeck fehlte es auch nicht an großen Stücken Sahnetorte, wodurch Gwen auch schnell klar wurde, durch was das Körpergewicht zustande kam. Sie erinnerte sich an den Autopsiebericht der Salzburger Gerichtsmedizin und den Alter- und Gewichtsangaben von Andreas Schörff. Offensichtlich konnte er ihr Sohn sein und er hatte erfolgreich gegen seine Gewichtsprobleme angekämpft, die er durch sein Elternhaus anerzogen bekommen hatte. Zumindest war er bis zu seinem Tod auf einem guten Weg gewesen.
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