"Wie ich schon sagte: Man könnte eine fingieren."
"Das wäre nur interessant, wenn es konkrete Verdachtsmomente gäbe."
"Bleibt immer noch die Frage, warum ich Ihnen trauen sollte. Sie haben Ihren Mann in West-Berlin... und an wen richte ich meine Ansprüche? Etwa an London? Eine Woche in Ostberliner Gefängnissen, um festzustellen, dass Sie längst über alle Berge sind?"
"Sie bekommen Ihre Anzahlung", sagte er und legte ein in Zeitungspapier eingeschlagenes Paket auf den Tisch. "Die restlichen Sicherheiten – eine geschätzte Maximalsumme – gehen auf ein Konto der Dresdner Bank. Es werden zwei Codeworte vereinbart. Nur wenn beide Codeworte zusammen angeben werden, eines von Ihnen und das andere von uns, kann der Betrag abgehoben werden. Ohne Ihr Codeword wäre das Geld für uns verloren. Warum sollten wir Sie also betrügen wollen, Quand?"
Ich dachte nach. "Sagen Sie mir, wer der Mann ist. Das Unternehmen kostet Sie leicht an die hunderttausend. Anzahlung, Prämie und acht Tage Untersuchungshaft gerechnet. Er muss ziemlich wichtig sein?"
"Einzelheiten würden Sie nur belasten, Quand. Was Sie nicht wissen, kann Ihnen auch niemand beim Verhör entlockten. Aber lassen Sie sich sagen, dass wir noch keinen unserer Agenten wegen ein paar Zehntausender haben verrecken lassen. Was das anbelangt, gibt's für London noch so was wie echte Standesehre. Falls Sie unvorhergesehene Schwierigkeiten bekommen sollten – ich will Ihnen keine Angst machen – werden wir hier in West-Berlin einen kleinen Presserummel veranstalten. Autor Quand in Ost-Berlin verschollen? Enthüllungsjournalist zu unrecht von den Behörden festgehalten? – und so weiter. Klingt doch hübsch sensationsträchtig, oder? Das bringt Ihnen eine Menge Publicity. Diplomatische Kreise werden sich einschalten und Sie loseisen, Quand."
"Ihr Wort in Gottes Ohr."
"Wenn ich Sie wäre, würde ich jetzt das Geld nehmen und mich noch ein wenig aufs Ohr legen. Macht sich immer gut, bei solchen Manövern ausgeschlafen anzutreten. Hier sind die Wagenpapiere – auf Ihren Namen ausgestellt. Der Volvo steht neben dem Hoteleingang. Wir fahren morgen früh gemeinsam zur Bank, um das Geld zu deponieren. Danach bringe ich Sie persönlich zum Übergang Heinrich-Heine-Straße."
"Sie wollen sehen, ob ich wirklich 'rübergehe, was? Könnte schließlich sein, dass mir zehntausend und ein neuer Volvo reichen?"
"Na also, jetzt kommen Ihre Gehirnwindungen ja doch noch in Bewegung, Quand. Dachte schon, Sie hätten Schwierigkeiten, zwei und zwei zusammenzuzählen." Er hob sein Glas. "Und nicht vergessen: Wiener Kaffeehaus an der Berliner Allee. Pass, Wagenpapiere und Schlüssel in der linken Innentasche."
II
Als ich das Kontrollgebäude der Westberliner Polizei passierte, sah ich mich noch einmal nach Ch.s Wagen um, aber er war längst im Kreisverkehr des Moritzplatzes untergetaucht.
Ich fuhr langsam durch die von schrägen Betonabsperrungen gesäumte Kurve und dann in Richtung zum ersten Posten auf ostdeutscher Seite …
Das dunkel getönte Fenster im Kontrollturm war unbesetzt. Dahinter erstreckte sich ein leerer Parkplatz; und auch zwischen den niedrigen Flachdachgebäuden der Abfertigung mit dem Wechselschalter und dem von Gittern eingerahmten Weg für Fußgänger zeigte sich um diese frühe Morgenstunde keine Menschenseele.
Ich fuhr bis ans Stoppschild vor dem Parkstreifen und stellte den Motor ab. In diesem Augenblick trat ein Grenzer aus der Tür und winkte mich heran.
Er nahm meinen Pass entgegen und verschwand damit in der Baracke.
Ich parkte den Wagen an der nächsten Absperrung, ging zum Wechselschalter und wartete dann, bis im Fenster eine Baracke weiter meine Nummer aufgerufen wurde.
III
Das ' Wiener Kaffeehaus ' war eine jener merkwürdig unzulänglichen Hommagen an die kapitalistische Kultur, denen man in Ost-Berlin auf Schritt und Tritt begegnet.
Die Kopie ist immer ein wenig blasser und blinder als das Original. Ich habe nie herausgefunden, was mich an dieser Form des Sozialismus reizte. Sie überzeugte mich so wenig wie das protzige Gehabe auf kapitalistischer Seite.
Es musste etwas Atmosphärisches sein: die Art, wie man ohne Widerspruch an den Imbisstheken für einen jener fett-wässrigen sozialistischen Einheitsknacker oder ein Bier zu achtundfünfzig Aluminiumpfennig anstand, um dann mit einer Zwanzig-Pfennig-S-Bahn-Fahrkarte in dem Gefühl nach Hause zurückzukehren, man habe sich den grauen sozialistischen Alltag vergoldet.
In den Restaurants ging das Essen meist schlagartig etwa genau eine knappe Stunde vor dem Zeitpunkt aus, der auf der Speisekarte ausgedruckt war.
Eine auf ewig geheimnisvoll bleibende prästablierte Harmonie des Küchenbestandes mit dem Ruhebedürfnis der Kellnerinnen; dann gab es nicht einmal mehr eine übriggebliebene Suppe.
Im vorderen Teil des Cafés spielte ein älteres Pärchen westliche Evergreens; sie bediente das Keyboard, er zupfte verhalten an einer Bassgitarre. Weiter hinten verengte sich der Raum genauso zum Schlauch, wie CH. es vorausgesagt hatte.
Ich nahm einen kleinen runden Tisch im Schutze der Säule und hängte meine Jacke über die Stuhllehne.
Nachdem ich ein Kännchen "Mokka komplett" bestellt hatte, ging ich hinüber in die Toilette.
Ich hatte niemand bemerkt, der mir ähnlich sah; aber wenn mein "Bruder im Gesicht" es klug anstellte, ließ er diese Arbeit besser von jemand anders erledigen.
Als ich zurückgekehrt war, vergewisserte ich mich mit schnellem Griff, dass Pass, Schlüssel und Wagenpapiere den Besitzer gewechselt hatten. Ich ließ mir Zeit, meinen Kaffee zu bezahlen, es war erst kurz nach elf, und als ich die Straße in Richtung auf die S-Bahnstation Pankow überquerte, überzeugte ich mich mit einem Blick in die Seitenstraße, dass der Volvo verschwunden war.
IV
Ich wurde in derselben Baracke verhört, an der man meinen Pass kontrolliert hatte. Durch das Fenster sah man die Dächer der westlichen Seite. Sie waren nah und zugleich fern. In so einer Situation nimmt man Unterschiede wahr, die gewöhnlichen Grenzgängern verborgen bleiben: die Form eines Dachs, der Fenster, die Struktur einer Fassade; selbst der Himmel scheint eine andere Färbung anzunehmen: seine Bläue ist verlockender. Alles atmet ein geradezu aufdringliches Maß an Freiheit, und diese Freiheit ist noch bis in die feinsten Verästelungen der Zirruswolken zu spüren.
"Wie sind Sie ausgerechnet auf einen so abgelegenen Ort wie das 'Wiener Kaffeehaus' in Pankow verfallen?"
Der Offizier in der Verhörbaracke war jung, hellblond und unscheinbar. Man merkte seinen bemühten Gebärden an, dass er das Gefühl hatte, er müsse sich durch Skepsis und misstrauische Fragen Autorität verschaffen – oder indem er seine Uniformmütze auf- und wieder absetzte. (Er ahnte nicht, dass für jemand in meiner Situation seine Autorität schon dadurch gesichert war, dass er beliebig lange in meinem Personalausweis blättern durfte.)
Ich war einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen worden, der Inhalt meiner Taschen lag vor ihm auf dem Schreibtisch.
Merkwürdigerweise hatte sich in meiner rechten Innentasche das zusammengefaltete Doppelblatt einer Zeitung befunden. Es musste schon im Café in mein Jackett geschmuggelt worden sein. Man hatte mir nicht erlaubt, einen Blick darauf zu werfen. Es lag zwischen den übrigen "Beweisstücken" (alles schien diesen Charakter anzunehmen, wenn man die Sorgfalt betrachtete, mit der selbst meine Kugelschreibermine einer genauen Prüfung unterzogen wurde); und mein Blick wanderte wohl ziemlich sorgenvoll zwischen diesem mysteriösen Stück Papier und dem blauen Nachmittagshimmel jenseits der Mauer hin und her.
"Es ist nicht verboten, sich nahe beim Stadtrand aufzuhalten, oder? Die Besuchserlaubnis gilt für ganz Berlin."
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