"Nicht wir wollen Ihnen was verkaufen. Sie sollen uns Ihr Gesicht verkaufen – für ein paar Stunden." Er stand auf, das Glas in der Hand, und winkte mir von den Sesseln aus zu. "Nun kommen Sie schon, Quand. Was Sie jetzt trinken, geht auf unsere Rechnung."
Anscheinend war er der Meinung, das bisschen eisgekühlte Bewusstseinsveränderung aus dem Glas würde mich wie einen durstigen Straßenköter auf die Beine bringen; aber da überschätzte er den Grad meiner Abhängigkeit.
Ich war nie ein Trinker gewesen und würde auch nie einer sein. Ich hatte andere Pläne, als meinen Verstand in Sprit zu ertränken. Ich wusste, dass ich das Zeug zu einer neuen Art von Literatur hatte. Einer, die sich mit den politischen Verhältnissen auseinandersetzte wie keine andere vor mir.
Aus genau dem Grund hielt ich mich in West-Berlin auf. Ch. hatte ganz recht, wenn er behauptete, mein größtes Problem sei das Geld.
"Sie wollen mein Gesicht? Sind Sie Impresario?"
"Hübscher Vergleich. So könnte man's wohl nennen", meinte er nachdenklich; es war unverkennbar, dass ihn der Ausdruck amüsierte. "Wir vermitteln Künstler, Künstler für die Ost-West-Bühne."
Ich ließ mich in den Sessel sinken.
"Zehntausend, wenn Sie mein Gesicht wollen. Pro Tag, versteht sich."
"Kein Problem", sagte er.
Ich war überrascht, weil ich mein Angebot mehr als Scherz aufgefasst hatte.
"Zehntausend. Sie verdienen sogar daran, falls man Sie drüben festhält. Und zehntausend als Erfolgsprämie nach Ihrer Rückkehr, wenn Sie sich genau an unsere Abmachungen gehalten haben. Alles unversteuert, in bar und ohne Quittung. London ist nicht kleinlich, Quand."
"Was meinen Sie mit festhalten?"
"Betrachten Sie's als Schmerzensgeld. Je mehr Unannehmlichkeiten, desto mehr Geld."
"Nun sollten Sie mir bloß noch sagen, wer so versessen auf den Anblick meiner Visage ist, oder?"
CH. nickte bereitwillig und stand auf. Ich blickte ihm nach, wie er mit staksigen Schritten zur Theke ging, um eine Flasche Scotch und einen Kübel Eis zu ordern. Er hatte was von einem alt gewordenen Fohlen, aus dieser Perspektive. Irgendwie erweckte er mit seinen wackligen Schritten meinen Pflegeinstinkt.
Mag sein, dass man ihn mit Bedacht und Umsicht für seine Aufgabe ausgewählt hatte. Womöglich hätte er mir als Waschmaschinenvertreter auch noch einen Wartungsvertrag angedreht. Und eine Zusatzversicherung gegen Wasserschäden.
"Sehen Sie sich das Foto an", sagte er, als er wieder saß.
Es zeigte mich in hellgrauem Sommeranzug und braungebrannt vor dem Hintergrund einer südlichen Hotelfassade. Bulgarien oder die Krim, nahm ich an. Zwei Palmwedel hingen pittoresk ins Bild, und links war ein mittelgroßer Jachthafen. Ich hatte weder den Hafen noch das Hotel jemals in meinem Leben in natura zu Gesicht bekommen. Geschweige denn den Maßanzug; er war aus bestem englischen Tuch, dem Faltenwurf nach zu urteilen. Für ein derartiges Stück hätte ich wohl erst einen guten Rechtsanwalt engagieren müssen – um den Argwohn meiner Gläubiger zu beschwichtigen.
"Wer ist das?"
"Verblüffende Ähnlichkeit, was?"
"Ich bin etwas irritiert, ehrlich gesagt."
"Er ist drüben – einer unserer Leute", sagte Ch., "und wenn Sie ihm nicht helfen, Quand, hat er keine Chance, das Land zu verlassen. Er sitzt fest. Unsere übliche Ausschleusungsmethode hat versagt. Bis Anfang der Woche hatten wir noch den Tunnel in der Stresemannstraße."
"Sie wollen mich als Fluchthelfer einsetzen?" "Warum sollte er damit Probleme haben, jetzt, wo jeder reisen kann?"
"Alles, was Sie tun müssen, ist zu einem Tagesbesuch nach drüben zu gehen. Sie besichtigen den Alexanderplatz, die Nationalgalerie – oder was Sie wollen –, bringen ihren Zwangsumtausch unters Volk und kehren zum Übergang Heinrich-Heine-Straße zurück."
"Ich bin nicht motorisiert, falls Ihnen das entgangen sein sollte?"
"Den Wagen besorgen wir."
"Und wo liegt der Dreh des Ganzen?"
"Sind Sie nun Autor, Quand, oder ist Ihnen die Phantasie ausgegangen?"
"Ich arbeite auf dem Gebiet der Facts", sagte ich. "Mein neuestes Buch wird sich mit den Machenschaften der CIA beschäftigen, mit realen Machenschaften. Ich warte nur darauf, dass mein Verlag grünes Licht gibt. Für diese Art von Arbeit ist weniger Phantasie als Scharfsinn und Beobachtungsgabe nötig."
"Ihre Art von Enthüllungsjournalismus hat drüben hinter dem großen Teich schon eine Menge Kollegen vergrault, Quand. Wir in London haben unseren Peter Wright und können Ihre Arbeit eher mit Distanz und Amüsiertheit betrachten. Aber wie Sie es immer wieder verstehen, eine Menge Staub aufzuwirbeln, ist schon grandios."
"Warten Sie erst mein nächstes Buch ab. Es befasst sich mit den Verstrickungen der amerikanischen Behörden in die Mittelamerikapolitik. Washington hat versucht, es durch einstweilige Verfügungen zu stoppen – vergeblich. Wenn alles klappt, wird es in drei Sprachen gleichzeitig herauskommen."
"Dann sind Sie ein gemachter Mann, was? Aber momentan sitzen Sie noch auf dem Trockenen – warten auf ein Lebenszeichen Ihres Verlegers, oder?"
"In West-Berlin halte ich mich vor allem wegen eines neuen Buchprojekts über den Ostberliner Staatssicherheitsdienst auf. Und auch da interessieren mich keine erfunden Agentengeschichten, sondern Fakten."
"Machen wir uns doch nichts vor, Quand. Was das Finanzielle anbelangt, müssen Sie momentan nehmen, was Sie kriegen können. Ein bisschen Geld würde Ihnen bei den Verlagsfritzen mehr Ellbogenfreiheit verschaffen."
"Also gut, Sie wollen Ihren Mann an meiner Stelle herüberbringen, stimmt's? Und was wird aus mir?"
Ch. nickte bedächtig. "Nehmen wir mal an, Sie ließen Ihre Jacke mit Pass und eingelegtem Tagesvisum im Café am Stuhl hängen, um sich auf der Toilette frisch zu machen. Das 'Wiener Kaffeehaus' auf der Berliner Allee, oben in Pankow.
Am Ende des Schlauchs gibt's immer freie Tische, da wären Sie ganz unbeobachtet, Quand. In der Zwischenzeit hat sich unser Mann Ihres Passes, der Fahrzeugpapiere und des Wagenschlüssels bemächtigt. Er reist über den Kontrollpunkt Heinrich-Heine-Straße aus.
Wenn Sie die Abfertigungsprozedur kennen, wissen Sie, wie wichtig Ihr Passfoto ist. Die Grenzbeamten sind auf Gesichter geschult. Als Sie draußen sind, entdecken Sie, dass Ihr Wagen gestohlen wurde.
Sie suchen die nächste Polizeidienststelle auf – oder fahren mit der S-Bahn bis Jannowitzbrücke, Nähe Kontrollpunkt Heinrich-Heine-Straße, das bleibt Ihnen überlassen – und melden den Diebstahl. Sie können sich mit Ihrem westdeutschen Personalausweis identifizieren.
In Ihrer Jackentasche finden sich Westberliner Restaurantquittungen vom Vortag. Was sollte man Ihnen also vorwerfen, Quand? Bestohlen worden zu sein, ist kein strafbares Delikt."
"Man wird mich verhören, oder?"
"Sie sind Tourist auf Tagesbesuch in Ost-Berlin. Ihr Pass ist abhanden gekommen. Man wird eine Unterschriftsprobe nehmen und Ihnen ein paar Fragen stellen, unangenehme Fragen, mag sein. Vielleicht wird man sogar versuchen, Sie einzuschüchtern oder zu bluffen. Falls Sie für kurze Zeit in Haft genommen werden – nehmen wir mal den Extremfall an –, bringt Ihnen das, wie gesagt, zehntausend pro Tag."
"Ihr Mann scheint ziemlich wichtig zu sein? Warum kann er nicht ausreisen wie die anderen?"
"Alles, was Sie tun müssen, ist die Nerven zu behalten. Sie sind aufgeregt – hauptsächlich wegen des Wagens. Sie verlangen, mit Westberliner Dienststellen zu telefonieren."
"Und wenn man sich stur stellt? Man schummelt mir eine Umtauschbescheinigung in die Jackentasche und macht mir wegen Devisenvergehens den Prozess."
"Warum sollte man, Quand? Jetzt, wo drüben das Volk regiert?""
"Keine Ahnung. Weil man mir misstraut."
"Es gibt keine Handhabe gegen Sie."
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