Alfred Schmidt
Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx
Alfred Schmidts in viele Sprachen übersetzte Untersuchung gehört zu den wichtigsten und folgenreichsten theoretischen Quellen der philosophischen Marx-Interpretation. Schmidt selbst bezeichnet seine Arbeit als den »Versuch, die wechselseitige Durchdringung von Natur und Gesellschaft, wie sie innerhalb der Natur als der beide Momente umfassenden Realität sich abspielt, in ihren Hauptaspekten darzustellen«. 1993 erweitert er seine Interpretation des Marx’schen Werks, die von dem geschichtsmaterialistisch unterbauten Begriff der Natur ausgeht, um die Dimension des »ökologischen Materialismus«. Der Alfred Schmidt-Schüler Michael Jeske gibt dieser letzten Fassung ein Nachwort bei, welches u.a. Aspekte der Wirkungsgeschichte dieser für den westlichen Marxismus der Nachkriegszeit so bedeutenden Schrift beleuchtet.
Alfred Schmidt (1931–2012), war Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang. Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M.; Veröffentlichungen u.a.: »Die Kritische Theorie als Geschichtsphilosophie« (1976), »Kritische Theorie, Humanismus, Aufklärung« (1981), »Tugend und Weltlauf. Vorträge und Aufsätze über die Philosophie Schopenhauers (1960–2003)« (2004).
Michael Jeske war bis 2009 Assistent von Alfred Schmidt, seither Lehrbeauftragter der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M.; bis 2013 wiss. Mitarbeiter an der Schopenhauer-Forschungsstelle an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
Alfred Schmidt
Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx
Mit einem Nachwort zur 5. Auflage von Michael Jeske
CEP Europäische Verlagsanstalt
© ebook-Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2016
Ergänzt um ein Nachwort von Michael Jeske zur 5. Auflage
© 1993 Europäische Verlagsanstalt, Hamburg
Erstausgabe Frankfurt am Main-Köln, 1962
1971 überarbeitete und ergänzte Neuausgabe
Umschlagmotiv: Jean Pierard: Der »grüne« Marx. Zeichnung 1977
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
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ISBN 978-3-86393-536-8
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Alfred Schmidt Vorwort zur Neuauflage 1993 Für einen ökologischen Materialismus Vorwort zur Neuauflage 1993 Für einen ökologischen Materialismus Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse. 1 Walter Benjamin, Anmerkungen zu den Thesen über den Begriff der Geschichte
Einleitung
I. KAPITEL
KARL MARX UND DER PHILOSOPHISCHE MATERIALISMUS
A) Der nicht-ontologische Charakter des Marxschen Materialismus
B) Zur Kritik der Engelsschen Form der Naturdialektik
II. KAPITEL
DIE GESELLSCHAFTLICHE VERMITTLUNG DER NATUR UND DIE NATURHAFTE VERMITTLUNG DER GESELLSCHAFT
A) Natur und Warenanalyse
B) Der Begriff des Stoffwechsels von Mensch und Natur: historische Dialektik und »negative« Ontologie
III. KAPITEL
DIE AUSEINANDERSETZUNG VON GESELLSCHAFT UND NATUR UND DER ERKENNTNISPROZESS
A) Naturgesetz und Teleologie
B) Zum Begriff der Erkenntnistheorie bei Marx
C) Weltkonstitution als historische Praxis
D) Bemerkungen zu den Kategorien der materialistischen Dialektik
IV. KAPITEL
ZUR UTOPIE DES VERHÄLTNISSES VON MENSCH UND NATUR
VERZEICHNIS DER ZITIERTEN ODER IN DEN ANMERKUNGEN ERWÄHNTEN LITERATUR
VORBEMERKUNG ZUM ANHANG
ZUM VERHÄLTNIS VON GESCHICHTE UND NATUR IM DIALEKTISCHEN MATERIALISMUS*
POSTSCRIPTUM 1971
Michael Jeske Nachwort zur 5. Auflage »MATERIALISMUS IM ELEMENT DER PRAXIS«
Vorwort zur Neuauflage 1993
Für einen ökologischen Materialismus
Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse. 1
Walter Benjamin, Anmerkungen zu den Thesen über den Begriff der Geschichte
Als der Autor während der späten fünfziger Jahre über der Endfassung seiner Doktorarbeit saß, waren Begriffe wie »Umweltbewußtsein«, »Grenzen des Wachstums«, »alternative Zivilisation«, »sanfte Technik« oder »ökologische Krise«, die heute wissenschaftliche wie tagespolitische Debatten beherrschen, noch unbekannt. Diskreditiert freilich war schon damals ein naiver Progressismus. Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung hatte (unter anderem) belehrt über die naturzerstörerischen Implikationen technischen Fortschritts. Wer sich zudem, wie der Verfasser, näher mit Marx und Engels beschäftigte, konnte auch in ihren Schriften auf Zweifel an den Segnungen des Industriesystems stoßen. Unterdessen hat jedoch die ökologische Problematik Ausmaße angenommen, die jeder bloß akademischen Erörterung spotten. Die Frage nach dem Fortschritt ist längst zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Die im Postscriptum 1971 zur zweiten Auflage des Buches bereits als Signatur der Gegenwart pointierte »Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Gesellschaft« läßt sich nach dem Scheitern des sowjetischen Experiments nicht mehr ausschließlich auf die kapitalistische Produktionsweise zurückführen. Der Industrialismus hat sich in seiner staatssozialistischen Version als ebenso unzulänglich erwiesen wie in seiner marktwirtschaftlichen.
Die materiellen und sozialen Grenzen des Wachstums haben den Optimismus bürgerlicher Theoretiker nicht weniger erschüttert als den der Marxisten. Gegen Marx und seine Anhänger werden heute die nämlichen Vorwürfe erhoben wie gegen Anwälte unbegrenzten Wirtschaftswachstums auf kapitalistischer Basis. Ihnen wird vorgehalten, sie hätten sich über die Begrenztheit der Erde, die limitierte Belastbarkeit der Ökosphäre und die Knappheit der Ressourcen hinweggesetzt und seien deshalb mitschuldig an den weltweit beobachtbaren Umweltschäden. 2Diese Kritik ist in dem Maße berechtigt, wie der klassische Marxismus dem Wachstum der Produktivkräfte – als geschichtsbildendem Faktor – eine geradezu metaphysische Rolle zuerkennt. Oft genug gewinnt man den Eindruck, daß seine Begründer ein unbegrenztes Potential weiteren Fortschritts schlicht voraussetzen und sich so jener unheilvollen Dynamik der Naturbeherrschung ausliefern, die – von Bacon und Descartes methodologisch gerechtfertigt – stets auch Herrschaft über Menschen gewesen ist. 3Andererseits finden sich bei Marx und Engels, seltener zwar und häufig an entlegenem Ort, Ansätze einer »ökologischen« Kritik des destruktiven Aspekts der modernindustriellen Entwicklung. Daß menschliche Eingriffe geeignet sind, den Naturhaushalt empfindlich zu stören, wird ihnen eher zum Problem als dem Jenenser Biologen Ernst Haeckel, dessen Generelle Morphologie (1866) den Terminus »Ökologie« in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt hat. Allerdings vermochten jene kritischen, kaum beachteten Ansätze das eingeschliffene Klischee vom blind fortschrittsgläubigen Marxismus nicht zu entkräften. Dabei läßt sich zeigen, daß Marx und Engels ein keineswegs ungebrochenes Verhältnis zur Idee des Fortschritts hatten. So heißt es in einem Engelsschen Brief an Marx, der Historiker Maurer huldige »dem aufgeklärten Vorurteil, es müsse doch seit dem dunklen Mittelalter ein stetiger Fortschritt zum Besseren stattgefunden haben; das verhindert ihn nicht nur, den antagonistischen Charakter des wirklichen Fortschritts zu sehn, sondern auch die einzelnen Rückschläge« 4.
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