In der Dialektik der Natur deckt Engels den inneren Zusammenhang auf zwischen der bürgerlichen Produktionsweise (und ihrem sozialwissenschaftlichen Ausdruck, der klassischen Ökonomie) einerseits und jener imperialen Praxis (und Ideologie) andererseits, für die Natur sich stets schon darin erschöpft, Substrat ausbeuterischen Zugriffs zu sein. »Gegenüber der Natur wie der Gesellschaft«, unterstreicht Engels, »kommt bei der heutigen Produktionsweise vorwiegend nur der erste, handgreiflichste Erfolg in Betracht; und dann wundert man sich noch, daß die entfernteren Nachwirkungen der hierauf gerichteten Handlungen ganz andre, meist ganz entgegengesetzte sind« 38. Wo es lediglich um »Erzielung des nächsten, unmittelbarsten Nutzeffekts der Arbeit« 39geht, können – langfristig – Rückschläge nicht ausbleiben. Die Triumphe der Naturbeherrschung erwiesen sich als Pyrrhussiege. Darauf verweist Engels nachdrücklich: »Schmeicheln wir uns ... nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirgs so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südabhang vernutzten, ahnten nicht, daß sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, daß sie dadurch ihren Bergquellen für des größten Teil des Jahrs das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten.« 40
Engels hegt keine Illusionen hinsichtlich der Zeit und Mühe, die es kosten wird, die zivilisatorische Erblast der bisherigen Geschichte abzutragen. 41Aber er nimmt an, daß es wissenschaftlicher Einsicht künftig gelingen werde, die »näheren und ferneren Nachwirkungen unsrer Eingriffe in den herkömmlichen Gang der Natur« 42nicht nur rechtzeitig zu erkennen, sondern auch zu beherrschen. Freilich, so meint er, können wir uns nur »durch lange, oft harte Erfahrung ... über die mittelbaren, entfernteren gesellschaftlichen Wirkungen unsrer produktiven Tätigkeit Klarheit ... verschaffen« 43. Erkenntnis allein, dessen ist Engels sicher, wird nicht genügen, ungewollte Nebeneffekte der Naturbeherrschung ihrerseits »zu beherrschen und zu regeln« 44. Dazu bedarf es einer »vollständige[n] Umwälzung unsrer bisherigen Produktionsweise und mit ihr unsrer jetzigen gesamten gesellschaftlichen Ordnung« 45.
Wie aus den angeführten Stellungnahmen erhellt, sind Marx und Engels eines Sinnes, was die Schwere der ökologischen Problematik und die praktischen Schritte ihrer Bewältigung anbelangt. Als Materialisten gehen sie davon aus, daß das gesellschaftliche Sein, worin die Menschen leben, eingebettet ist ins universelle Sein der Natur, deren Bestand zu erhalten ihnen bei Strafe eigenen Untergangs auf erlegt ist. »Vom Standpunkt einer hohem ökonomischen Gesellschaftsformation«, erklärt daher Marx, »wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen, wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.« 46
Angesichts der seit Niederschrift des Buches radikal veränderten Problemlage erscheint es dem Verfasser angebracht, den philosophischen Ansatz neu zu überdenken, der seiner damaligen Darstellung des Marxschen Naturbegriffs zugrunde lag. Die Dissertation war insofern dem Geist der älteren Frankfurter Schule verpflichtet, als sie (im Gegenzug zu den unvermittelten Objektivismen stalinistischer Ideologie) darauf abzielte, das deutsch-idealistische Erbe in Marx ungeschmälert zur Geltung zu bringen. Der Verfasser war deshalb darauf bedacht, den »praktisch-kritischen« Materialismus der Thesen über Feuerbach und der Deutschen Ideologie 47auch in den – ausdrücklich hinzugezogenen – ökonomischen Werken nachzuweisen. Daher die Tendenz der Schrift, das menschliche Natur- und Weltverhältnis fast durchweg aus der Perspektive des arbeits- und erkenntnistheoretischen Subjekt-Objekt-Schemas zu erörtern. 48Dadurch ist eine – zumal heute hervortretende – Asymmetrie entstanden. Die andere, ebenso berechtigte Seite des Marxschen Verständnisses von Wirklichkeit wird zwar thematisiert 49, aber ihr sachliches Gewicht nicht gebührend hervorgehoben. So wahr es bleibt, daß die »sinnliche Welt« kein »unmittelbar von Ewigkeit her gegebenes, sich stets gleiches Ding ist, sondern das Produkt der Industrie und des Gesellschaftszustandes, und zwar ... ein geschichtliches Produkt« 50, so wohlbegründet bleibt es, umgekehrt, die »Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation« als »naturgeschichtlichen Prozeß« 51aufzufassen.
Daß, im Sinn des II. Kapitels, alle »gesellschaftliche Vermittlung der Natur« die »naturhafte Vermittlung der Gesellschaft« voraussetzt, ist vielleicht erst heute im vollen Bewußtsein der Implikationen aussprechbar. Bei »jedem Schritt«, so Engels in der Dialektik der Natur, »werden wir ... daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, ... ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können« 52. Deshalb sollten wir uns vor der Illusion hüten, im Sozialismus werde die Menschheit sich souverän über die Natur erheben. Deren noch so große Beherrschung, bemerkt hierzu Max Adler, beseitigt nicht »die Naturabhängigkeit ... der gesellschaftlichen Erscheinungen« 53; sie ändert bloß die Form, worin sie sich durchsetzt. Wohl »verschiebt« sich der »Natureinfluß« im Verlauf der Geschichte. »Aber diese Verschiebung bedeutet kein Aufhören, ja nicht einmal eine Verminderung der Abhängigkeit des Menschen von den Naturfaktoren. Im Gegenteil, gerade Marx hat darauf hingewiesen, daß mit der Fortentwicklung der Beherrschung der Naturkräfte gleichsam die Breite der Berührung des Menschen mit der Natur wächst und daß er selbst in der Herrschaft über die Natur um so mehr in Abhängigkeit von ihr gerät.« 54
Dennoch hat der Mensch es vermocht, der Erde seinen Stempel aufzudrücken. Marx weiß sich auf der Höhe weltgeschichtlichen Fortschritts, wenn er in der Kritik des Gothaer Programms feststellt, »Quelle von ... Reichtum« werde die Arbeit nur insofern, als sich »der Mensch ... von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und gegenstände verhält, sie als ihm gehörig behandelt« 55. Entsprechend figuriert im III. Band des Kapitals die Erde »als das ursprüngliche Beschäftigungsfeld der Arbeit, als das Reich der Naturkräfte, als das vorgefundne Arsenal aller Arbeitsgegenstände.« 56. Natur erscheint bei Marx immer schon im Horizont geschichtlich wechselnder Formen ihrer gesellschaftlichen Aneignung. 57Über ihre eigene Beschaffenheit verlautet lediglich, daß sie, als »materielles Substrat« von Gebrauchswerten, »ohne Zutun des Menschen ... vorhanden ist« 58. Dieser – im vorliegenden Buch materialistisch interpretierte – Sachverhalt kann jedoch am gleichzeitigen Anthropozentrismus der Marxschen Naturkonzeption nichts ändern, in der sich die Rolle des modernen, die Welt umgestaltenden Subjekts reflektiert. 59
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