Edgar Wallace - Der Mann von Marokko
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Spannende Unterhaltung vom Großmeister der Kriminalliteratur.
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LUNATA
Der Mann von Marokko
Kriminalroman
© 1926 by Edgar Wallace
Originaltitel The Man From Morocco
Aus dem Englischen von Ravi Ravendro
© Lunata Berlin 2020
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
1
James Lexington Morlake, der von seinen Zinsen lebte und viele Titel hatte, wenn er sie auch selten führte, saß in seinem Arbeitszimmer.
Er schloß eine Schublade des schönen Rokokoschreibtisches auf und schaute nachdenklich in das Fach, das mit Stahl ausgeschlagen und durch vier Schließbolzen gesichert war. Dann nahm er langsam ein viereckig zusammengefaltetes, schwarzes Seidentuch, eine automatische Pistole und eine Lederrolle heraus. Er öffnete den Verschluss des Necessaires und breitete es auf seinem Schreibtisch aus. Es war aus dauerhaftem, feinem Seehundsfell gearbeitet, und in den einzelnen Taschen steckten viele Instrumente, Feilen und Sperrhaken – alles äußerst klein und aus bestem Werkzeugstahl hergestellt.
Er prüfte die Diamantspitze eines Bohrers, der die Größe eines Zahnstochers hatte. Dann legte er das Werkzeug wieder zurück, rollte das Etui zusammen, lehnte sich in seinen Stuhl und betrachtete die Gegenstände, die vor ihm lagen.
Die Wohnung James Morlakes in der Bond Street war vielleicht die luxuriöseste dieser vornehmen Straße. Phantastische Ornamente und Arabesken schmückten die Decke des Arbeitszimmers. Die Wände bestanden aus poliertem Marmor, der Fußboden war aus Mosaik, das aber unter einem schweren, kostbaren Perserteppich nur teilweise zum Vorschein kam. Vier silberne, mit bunten Seidenstoffen abgedämpfte Hängelampen verbreiteten angenehmes Licht.
Mit Ausnahme des großen, prächtig verzierten Schreibtisches befanden sich nur noch wenige Möbel in dem Raum: ein niedriger Diwan unter einem Fenster, ein perlmutteingelegter Stuhl und ein Sessel.
Den Mann am Schreibtisch konnte man seinem Aussehen nach auf vierzig oder fünfzig Jahre schätzen: in Wirklichkeit zählte er aber erst sechsunddreißig. Aus seinem klugen Gesicht leuchteten lebhafte, kühne Augen, und ihr fröhlicher Ausdruck milderte in gewisser Weise die scharfen Konturen seiner Züge. Manchmal trübten allerdings auch Schwermut und Melancholie seinen Blick. James Morlake war eine einnehmende und vornehme Persönlichkeit. Er soll früher in New York gelebt haben, obwohl manche Leute dies bezweifelten. Jetzt wohnte er in der Bond Street in London und besaß den Landsitz Wold House in Sussex. Er trug Abendkleidung; sein Frack saß tadellos, und seine weiße Krawatte war vollendet gebunden.
Plötzlich schaute er vom Schreibtisch und den unheimlichen Dingen, die dort lagen, auf und schlug die Hände einmal zusammen. Durch einen seidenen Vorhang kam auf leisen Sohlen ein junger Mohr herein. Sein prachtvoll weißer Fellap und sein feuerroter Turban gaben ihm ein malerisches Aussehen und hoben sich wirkungsvoll von dem gedämpften Hintergrund ab.
»Mahmet, ich gehe heute Abend aus – ich werde dir noch sagen, wann ich zurückkomme.« Morlake sprach maurisch. »Wenn ich durch Gottes Gnade wiederkehre, werde ich reichliche Arbeit für dich haben.«
Mahmet hob die Hand zum Gruß, trat behende vor und küßte die beiden Frackschöße seines Herrn, dann seinen Daumen, denn Morlake war in gewisser Beziehung eine heilige Persönlichkeit für ihn.
»Ich bin dein Diener, Effendi«, sagte er. »Willst du deinen Sekretär sprechen?«
Morlake nickte, und mit einem kurzen Salaam verschwand Mahmet. ›Sekretär‹ war eine euphemistische Bezeichnung für Binger, denn der Mohr wagte es nicht, einen weißen Mann einen Diener zu nennen.
Gleich darauf erschien Binger in der Tür. Er war ein stattlicher, etwas untersetzter Mann mit gesundem, rotem Gesicht und blondem Schnurrbart. Nachdem er einen Blick auf seinen Herrn und die Instrumente auf dem Tisch geworfen hatte, seufzte er.
»Wollen Sie wieder ausgehen?« fragte er traurig.
»Ja. Es ist möglich, daß ich einige Tage ausbleibe. Sie wissen ja, wo Sie mich finden können.«
»Ich hoffe, daß ich Sie nicht in einer Gefängniszelle wiederfinde, womit ich immer rechnen muß.«
James Morlake lachte leise vor sich hin.
»Das Schicksal hat Sie eigentlich nicht dazu bestimmt, der Diener eines Einbrechers zu werden.«
»Bitte sagen Sie das nicht – malen Sie den Teufel nicht an die Wand! Ich zittere jetzt schon vor Angst. Ich möchte keine Kritik an Ihnen üben, das habe ich noch nie getan. Wenn Sie kein Einbrecher gewesen wären, würde ich längst nicht mehr am Leben sein. Sie haben sich für mich in große Gefahr begeben, und ich werde Ihnen das nie vergessen!«
Das stimmte auch, denn eines Nachts war James Lexington Morlake in ein Warenhaus eingebrochen, in dem Binger eine Anstellung als Nachtwächter hatte. Morlake wollte durch das Warenhaus nur seinem Ziel, einer Bank, näher kommen. Auf dem Weg durch das Geschäftshaus hatte er Binger bewußtlos auf dem Boden gefunden. Der Mann war durch ein offenes Oberlicht gefallen und hatte sich schwer verletzt. Morlake verband ihn so gut wie möglich und brachte ihn in ein Hospital. Binger vermutete, daß ›der Schwarze‹, der Schrecken aller Bankdirektoren des Landes, sein Wohltäter war. Auf diese Weise waren die beiden zusammengekommen. Für James Morlake konnte keine große Gefahr daraus entstehen, denn er war ein Menschenkenner und wußte, daß Binger ihm treu ergeben war.
»Vielleicht werde ich in den nächsten Tagen ein ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft, Binger«, sagte er lachend.
»Das hoffe ich inständigst. Ich bete jeden Tag darum«, sagte der Mann ernst. »Es ist kein schöner Beruf – Sie sind immer die ganzen Nächte fort – das schadet der Gesundheit! Und als alter Soldat kann ich Ihnen nur sagen, daß Ehrlichkeit die beste Politik ist.«
»Davon bin ich auch überzeugt. Aber nun hören Sie einmal zu. Mein Wagen soll an der Ecke der Albemarle Street auf mich warten, und zwar um zwei Uhr in der Nacht. Es regnet ein wenig, das Verdeck muß hochgeschlagen werden. Stecken Sie hinten eine Nummer von Oxford an, die Sussex-Nummer legen Sie unter den Sitz. Eine Thermosflasche mit Kaffee und ein paar Butterbrote – das ist alles.«
»Gut Glück!« sagte Binger mit schwacher Stimme.
»Ich wollte, Sie meinten das auch wirklich«, entgegnete James Morlake, als er sich erhob, den langen, schwarzen Mantel vom Diwan nahm und die Pistole und das Werkzeug in die Tasche steckte ...
2
Stephens, der Butler in Creith House, las in der Morgenzeitung, daß ›der Schwarze‹ wieder einen Einbruch verübt hatte. In raffinierter Weise war der Mann in die Burlington-Bank eingedrungen, hatte die Wachleute betäubt und die Alarmvorrichtungen unbrauchbar gemacht. Stephens war eine mitteilsame Natur und erzählte die Neuigkeit seinem Herrn, als er ihm den Morgenkaffee servierte. Hätte er dieselbe Geschichte dem Gast berichtet, der sich gerade im Haus aufhielt, so würde er eine größere Sensation hervorgerufen haben. Aber aus vielen Gründen konnte er Mr. Ralph Hamon nicht leiden. Bei seinen ersten Besuchen war dieser Herr dem Lord gegenüber sehr höflich gewesen, hatte sich in Gegenwart der jungen Lady bescheiden benommen und sich die größte Mühe gegeben, ihr zu gefallen. Aber mit der Zeit hatte sich das Verhalten des Finanzmannes gegenüber der Familie des Lords bedeutend geändert, und Stephens war aufgebracht und böse darüber.
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