„Wenn Sie Franks Privatsafe suchen? Er ist gleich nebenan.“
„Danke, nein. Suchen wir nicht. Ist wohl auch zu klein, um jemanden darin verschwinden zu lassen, oder?“ Rommer lachte forsch und wischte sich mit Daumen und Zeigefinger durch die Mundwinkel. „Will sagen, für einen Mann von Borns Körperfülle.“ Siegel hatte den Eindruck, er wolle die Dreistigkeit seines Assistenten überspielen, indem er alberne Scherze zum besten gab.
„Noch Fragen?“
„Im Augenblick keine.“ Rommer streckte die Hand aus. „Sie hören wieder von uns.“
Als sie ihren Wagen erreicht hatten, der jenseits der Grundstücksumzäunung unter den überhängenden Baumkronen stand, sagte Augsburger:
„Lassen Sie die Umgebung im Naturschutzgebiet absuchen – da, wo er angeblich spazieren gegangen ist. Auch den Garten. Nehmen Sie Metallsonden dazu. Wir wissen von seinem Zahnarzt, dass Born zwei Brücken aus Metall trägt, eine oben, die andere unten. Das dürfte eigentlich reichen, um ihn zu finden. Und achten Sie auf frische Bodenstellen. Wir beide könnten uns das Seeufer vornehmen. Was halten Sie davon?“
Es klang nicht, als sei es als Frage gemeint.
„Einverstanden. Werden Ihre Leute weiter sein Haus beobachten? Wir sind momentan etwas knapp.“
„Ich habe einen Mann oben am Hang im Trafohäuschen und den anderen drüben in der unbewohnten Wohnung.“ Augsburger deutete nach hinten auf ein einzeln stehendes Haus mit verfallener Fassade. „Zweiter Stock, die Fenster links.“
Sie fuhren zum Naturpark, der nur einen halben Kilometer entfernt lag. Die Herbststürme hatten das Laub von den Bäumen gefegt, ihre schwarzglänzenden Stämme waren mit Moos bewachsen, und in den Bodensenken stand Regenwasser.
„Glauben Sie, dass Born bei diesem Sauwetter überhaupt aus dem Haus gegangen ist?“, fragte Augsburger zweifelnd.
„Immerhin könnte er da irgendwo am Steilufer im Lehm abgerutscht sein.“
„Er war Schwimmer.“
„Ein alter Mann, der an Depressionen litt.“
Augsburger machte ein paar ziellos wirkende Schritte nach vorn über den aufgeweichten Boden und bewegte suchend den Kopf.
„Hier draußen riecht‘s wie in seiner Wohnung.
„Genauso feucht und modrig, ja.“
„Haben Sie die beschlagenen Fensterscheiben gesehen?“
Der Weg war unpassierbar geworden, sie blieben am Rande des Morastes stehen. „Woran denken Sie? Dass Siegel vor Angst ins Schwitzen gekommen ist?“
„Ich weiß nicht.“ Augsburger hatte einen Zweig abgebrochen und spießte damit ein Präservativ aus der Regenpfütze. „ Cui bono? “, fragte er. „Wem nützt es, dass Born verschwunden ist? Siegel kam vor einigen Monaten, und jetzt ist er blendend im Geschäft. Aber er wird nichts erben. Und wenn er die Wahrheit sagt, dann kommt er nicht mal an die Geheimunterlagen der Firma.“
„Ich habe mit Rosser gesprochen, einem der leitenden Angestellten. Ihr Material reicht nur noch für zwei Wochen.“
„Ziemlich merkwürdig, dass Born keine Vorsorge getroffen haben soll …“
„Wir könnten in die Firma fahren und das Ding einmal genauer unter die Lupe nehmen?“
„Schon etwas spät dazu, finden Sie nicht?“
„Dafür sind wir ungestört. Verschaffen wir uns einfach mit Ihrem Dienstausweis Einlass.“
Es machte Rommer nichts aus, wenn der andere ihm die Arbeit abnahm – obwohl er bezweifelte, dass die Spionageabwehr für Borns Verschwinden überhaupt zuständig war. Diese kleine Konzession enthob ihn der Verpflichtung, sich später wegen irgendeines Versäumnisses gegenüber seinen Vorgesetzten rechtfertigen zu müssen. Falls Born verschwunden blieb, würde die Presse unweigerlich obskure Vermutungen anstellen. Dann war es vorteilhafter, gegen Kritik gewappnet zu sein.
Die Firma arbeitete in einem stillgelegten Schlachthof. Von der abfallenden Zufahrtsstraße aus ähnelte das Gebäude mit seinen patinierten Fassaden und den schiefen Schloten kaum dem seriösen Unternehmen, für das es sich in seinen Hochglanzbroschüren ausgab. Eher einem aufgelaufenen Frachter, der zur Verschrottung freigegeben war, dachte Rommer. Er fühlte sich auf unangenehme Weise an seine Zeit bei der Kriegsmarine erinnert.
„Sehen Sie auch, was ich sehe?“, fragte er und zeigte zu einem der Fenster hinauf. „Da oben im Büro brennt noch Licht.“
Augsburger war wieder in die gleiche schweigsame Ruhelosigkeit verfallen.
Sein Blick fuhr rastlos von einem Punkt zum anderen, nichts schien seiner Aufmerksamkeit zu entgehen – als seien es die Dinge und nicht die Menschen, die schließlich sprechen würden. Rommer hatte das Gefühl, er habe gar nicht auf seine Worte geachtet.
„Ich denke, Sie sind auf dem falschen Dampfer“, sagte er unvermittelt und war selbst überrascht über seinen Vorstoß, etwas mehr aus Augsburger herauszukitzeln (irgendeine vage Assoziation von Frachter und Dampfer). „Ihre Behörde produziert angeblich zuviel Leerlauf? Wie man munkelt, soll wenig bei Ihrer Arbeit herausgekommen sein in den letzte Jahren?“
Augsburger blieb stehen. Er sah ihn ausdruckslos an. „Was sagen Sie?“
„Viel Aufwand, aber keine Resultate.“
Sie gelangten über die von Eisengeländern gesäumte Rampe zum Seiteneingang, und die hohe Backsteinkulisse mit ihren beiden vom Frost verzogenen Kaminen löste in Rommer das beklemmende Gefühl aus, unter einer überhängenden Gebirgswand aus zerbröselndem Sandstein zu stehen. Vor ihnen lagen schwere Mörtelstücke. Er musterte die Wand und kam zu dem Schluss, dass sie sich aus den Fugen der Mauervorsprünge gelöst haben mussten. Es war eines jener Hinterhofunternehmen, die im Elektronikboom der späten siebziger Jahre zu Größe und Ansehen gelangt waren, es dann aber aus irgendwelchen Gründen – nostalgische Anhänglichkeit oder Freude am Understatement – versäumt hatten, in modernere Gebäude umzuziehen.
„Ausgezeichneter Vorwand für Ihre Leute, den Laden wegen Baufälligkeit schließen zu lassen“, murmelte Augsburger undeutlich und schob mit der Fußspitze ein Stück Mörtel beiseite.
„Wieso? Ich meine … wozu sollte das gut sein?“ Er warf Augsburger einen argwöhnischen Blick zu.
„Man kann nie wissen. Nehmen wir mal an, irgend jemand ist hinter Borns militärischen Forschungsarbeiten her. Auf die Weise könnten wir seinen Tresor unter Kontrolle bringen. Und alles, ohne schlafende Hunde zu wecken.“
„Die Presse?“
„Schlafende Hunde“, wiederholte Augsburger.
„Sie meinen die Gegenseite?“
„Ich bin nur vorsichtig.“
Einer der beiden Wachmänner in der gläsernen Loge wandte sich von den Monitoren ab und legte grüßend die Hand an die Mütze, als sie die elektronisch überwachte Schleuse passierten.
„Zu Herrn Siegel? – oben im Büro des Chefs …“
„Was sagen Sie dazu?“, fragte Augsburger heiter und steckte seinen Ausweis ein. „Er hat uns wiedererkannt.“ Und während sie hinauffuhren, fügte er unvermittelt mit bekennerhafter Miene hinzu: „Ich weiß, was ihr in euren Kommissariaten über uns denkt, alter Junge. Wir in den Diensten sehen überall die Gespenster des Verrats. Dass wir existieren, provoziert bei der Gegenseite erst, was wir suchen – diese Art von Sophismus, ja …“ Er lächelte versonnen. „Mag schon was dran sein. Wir verdächtigen Unschuldige und lassen die Schuldigen laufen. Wir bedienen uns illegaler Praktiken, um ein paar simple elektronische Schaltungen zu retten, die nachher doch in irgendwelchen Hongkong-Spielzeugen hinter den Eisernen Vorhang gelangt wären. Kreisel mit elektronischer Abtastung des Gleichgewichts –dasselbe Prinzip wird in einem unserer neueren Panzermodelle verwendet. So einfach ist das. Alles schon passiert.“
Er blieb an Borns Bürotür stehen, und ehe er die Klinke drückte, wandte er sich nach ihm um. „Aber wir sind schließlich nicht die einzigen, die Fehler machen, oder?“
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