Ich habe noch eine Stunde, ehe der Termin beginnt. Ich möchte sie nutzen, um mir einen Kaffee zu machen und mir Mut zuzusprechen. In der kleinen Teeküche begegne ich Charlotte, einer der Texterinnen, mit der ich mich bisher gut verstehe. Sie ist nett und sehr neugierig, was zur Folge hat, dass sie viel über die Leute hier weiß und auch sehr viel über den Boss zu erzählen hat. Ich glaube, sie tratscht ganz gerne. Da sie es aber nie auf eine unangenehme oder gar gehässige Weise tut, stört es mich nicht, ganz im Gegenteil. Ihre braunen Augen strahlen mich an, als ich mich mit dem Kaffee zu ihr setze.
„Na, läuft es immer noch gut?“, fragt sie mich.
„Ja. Auch wenn ich mich nie an diese komische Vorgabe gewöhnen werde, dass wir uns siezen und gleichzeitig beim Vornamen anreden sollen.“ Sie lacht und ihre rotbraunen Locken wippen dabei vergnügt.
„Keine Sorge. Das geht allen so. Außerdem …“, beginnt sie zu flüstern, „… hält sich kaum jemand daran, wenn er länger hier ist. Connor sieht darüber hinweg, obwohl es seine Vorgabe ist. Nur gegenüber den Kunden verlangt er es strickt … Das ist so typisch für ihn!“ Kopfschüttelnd pustet Charlotte auf ihren Tee.
„Wie meinst du das?“,
„Na ja, diese ganze Mischung aus beinahe lockerer Nähe und professioneller Distanz.“ Nachdenklich kaue ich auf meiner Lippe. Sie hat recht. Mein erster Eindruck untermauert das. Da wir gerade beim Thema Connor sind, versuche ich ihr noch mehr aus der Nase zu ziehen, weil ich verdammt neugierig bin, was ihn betrifft.
„Mal ehrlich, es ist schon ungewöhnlich, dass ein männlicher Geschäftsführer einen männlichen Assistenten hat. Bisher ist es mir noch nie untergekommen. Nicht gerade typisch hier in Wien.“ Sie schmunzelt und schluckt meinen Köder.
„Das hat gute Gründe … Die Agentur gibt es jetzt seit über drei Jahren und bisher hat er es mit drei Assistentinnen versucht. Es endete immer auf dieselbe Weise …“
Anzüglich hebt sie die Augenbraue. Sofort fühle ich ein ungutes Gefühl im Bauch. Sie will doch nicht andeuten, dass Connor mit jeder etwas hatte! Das glaube ich nicht. Nein, schlimmer. Ich will das nicht glauben . Unbewusst halte ich die Luft an und lasse sie erst wieder raus, als Charlotte weiterspricht.
„Sie kommen, werden eingestellt, verlieben sich in ihn und sind nicht einmal in der Lage, es zu verbergen. Anfangs ignoriert er es genervt. Irgendwann langt es ihm und dann gehen sie. So war es jedes Mal.“
„Daher Daniel.“
„Daher Daniel“, bestätigt sie mit einem Augenzwinkern.
Die Erleichterung, die ich darüber empfinde, dass Connor den eindeutigen Avancen seiner bisherigen Assistentinnen keine Beachtung geschenkt hat, gibt mir zu denken. Schließlich ist sie fehl am Platz, absolut unangebracht.
„Schön zu wissen, dass er nicht dem typischen Klischee eines erfolgreichen Mackers entspricht.“
Als ich ein Räuspern hinter mir vernehme, trifft mich fast der Schlag, und ich bete, dass ich mich irre und Connor Veith nicht hinter mir steht und gehört hat, was ich gerade von mir gegeben habe. Doch als ich in Charlottes aufgerissene Augen sehe, ist jede Hoffnung dahin.
„Gut zu wissen, dass Sie so eine hohe Meinung von mir haben. Obwohl ich es begrüßen würde, wenn Sie mich hinter meinem Rücken nicht unbedingt als Macker bezeichnen würden.“
Mir sackt das Herz in die Hose, als ich mich langsam umdrehe und Connor im Türrahmen entdecke, der mich mit einer Mischung aus Heiterkeit und Missbilligung ansieht. Oh Gott! Wieso konnte ich nicht die Klappe halten? Ich möchte im Erdboden versinken und senke meinen Blick genau dorthin, so peinlich ist mir das Ganze.
„Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass mein Termin nicht erschienen ist und wir unseren deshalb schon jetzt abhalten können. Wenn Sie dann so weit wären“, lässt er mich wissen, dreht sich um und verschwindet einfach.
„Ich glaube, ich bin gerade vor Scham um Jahre gealtert“, gibt Charlotte mit großen Augen von sich.
„Was denkst du, wie es mir geht. Ich muss ihm jetzt eine halbe Stunde gegenübersitzen und meine Entwürfe besprechen.“ Mit eingezogenem Kopf erhebe ich mich und stelle fest, dass meine Beine mich kaum noch tragen. Jetzt bin ich nicht nur nervös, sondern auch noch starr vor Angst. Perfekt!
Wie ferngesteuert gehe ich zu meiner Workstation und hole den USB-Stick mit den nötigen Daten. Ich schlucke, als ich an Daniels Tür klopfe und eintrete. Offenbar ist er gar nicht da, was zumindest erklärt, weshalb Connor selbst gekommen ist, um mich zu holen. Nicht gerade ein Bündel voller Selbstvertrauen klopfe ich an die Tür und betrete sein Büro, nachdem ich ein leises „Ja“ vernommen habe.
„Connor, lassen Sie mich nur kurz erklären, was Sie da glauben, gehört zu haben“, beginne ich nervös und stockend. Als er mich mit unbeeindruckter Miene ansieht, werde ich sogar noch nervöser. „Es war nur eine dumme Bemerkung über ein Missverständnis, eine unachtsame Dummheit meinerseits, ich …“ Ich rede Mist und kann nicht damit aufhören! Hilfe!
„Schon gut“, stoppt er mich knapp. Mit offenem Mund starre ich ihn verständnislos an. Schon gut? Ist das sein Ernst?
„Wir wollen nicht mehr daraus machen, als es ist … Schließlich habe ich Sie ein wenig bloßgestellt und Charlotte hatte wohl den Schock ihres Lebens. Vielleicht gelingt es ihr, eine ganze Woche ohne Tratsch auszukommen. Zumindest wäre ich beeindruckt, wenn dem so wäre“, sinniert er. Connor scheint seine Angestellten gut zu kennen. Ich kann immer noch nicht feststellen, ob er nun erheitert ist und die Sache locker nimmt oder ob er bloß seine Verärgerung hinter einer gleichgültigen Maske verbirgt. Connor ist schwer einzuschätzen. Er lässt sich jedenfalls nicht in die Karten sehen.
„Das ist sehr großzügig von Ihnen“, sage ich und hoffe, dass die Sache damit erledigt ist.
„Wollen wir dann anfangen?“, ist das Einzige, was er dazu zu sagen hat.
„Ja, gern.“
Connor erhebt sich und deutet auf den Besprechungstisch.
Ich setze mich und nehme den USB-Stick aus meiner Tasche. Heute bin ich ausnahmsweise einmal sehr froh darüber, Jeans zu tragen. Denn auch dieser Tisch ist aus Glas. Connor öffnet elegant sein Jackett und setzt sich mir gegenüber. Bei seinem Anblick schlägt mein Herz ein wenig schneller. Ich schiebe es auf die Nervosität und die ganze Situation.
„Lassen Sie mich sehen“, murmelt er und nimmt mir den USB-Stick ab, den meine leicht zitternden Finger halten. Er steckt ihn in ein großes Tablet, das vor ihm liegt. Damit wir beide alles gut sehen können, legt er es zwischen uns auf dem Tisch ab und ruft die erste Datei auf. Es handelt sich dabei um ein Plakat für eine Sonnenschutzcreme. Die Kampagne soll schon im Mai starten. Die Linie steht bereits fest und ich habe zwei verschiedene Entwürfe vorbereitet. Einer davon soll ausgewählt werden. Stumm und eingehend betrachtet er meinen ersten Entwurf. Um mich zu beruhigen, klemme ich meine unruhigen Hände zwischen den Schenkeln fest.
„Wie ich von David bereits weiß, setzen Sie sehr schnell die Vorgaben einer Marke in Standarddesigns um und haben dabei die Fähigkeit, sie dennoch neu und frisch zu interpretieren. Das sollte Sie freuen. David ist hier nicht gerade für seine freigiebigen Komplimente bekannt. Deshalb lasse ich auch immer ihn die Arbeiten der Neuen überprüfen. Meine anderen Art-Direktoren, die kreativen Direktoren und auch die meisten Betreuer neigen dazu, oft zu nachgiebig zu urteilen. Sie sind häufig eingeschüchtert von mir oder haben Probleme damit, direkt zu sein. Also wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich weiterhin an David.“
Ich nicke. „Es freut mich, dass ich seinen Anforderungen gewachsen bin. Ich habe überhaupt keine Probleme mit seiner direkten Art, sie hilft mir viel eher.“ Ich versuche ein Lächeln zusammenzubringen. Es gelingt mir nicht ganz. Dafür bin ich zu angespannt. Ständig muss ich mich davon abhalten, Connor anzusehen, und zwinge mich stattdessen, mich auf das zu konzentrieren, was er sagt. Er hingegen wirkt völlig konzentriert und absolut professionell. Es fällt mir schwer, zu glauben, dass derselbe Mann vor mir sitzt, der über mein zu kurzes Kleid gescherzt hat.
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