Die U-Bahn ist brechend voll, und ich versuche, mich von dem Lärm der Leute ablenken zu lassen. Als ich in einer Scheibenreflexion sehe, wie sich ein Pärchen mit Blicken verschlingt, wird mir klar, dass Richard mich nie so angesehen hat. Connor dagegen …
Wenn er mich ansieht, ist es so intensiv, dass ich vergesse zu atmen.
So wie jetzt.
Ich sitze am Ende des Konferenztisches, zusammen mit den anderen freien Mitarbeitern wie Paul und höre Connors Ausführungen zu. Immer wieder zuckt sein Blick ganz kurz zu mir und sofort prickelt meine Haut. Paul neben mir versteckt ein breites Grinsen hinter der Hand.
„… und deshalb werden wir die Einladung zum Pitch von Henners Kosmetik nicht annehmen“, verlautbart Connor und alle nicken zustimmend.
„Vielmehr richten wir unsere Energie auf die anstehenden Sommerkampagnen unserer Stammkunden.“
„Sollten wir nicht doch jemanden zu Henners schicken? Den Etat möchte ich mir nicht entgehen lassen“, wendet David ein. Alle Augen richten sich auf Connor, dem die Widerworte von David über seine bereits getroffene Entscheidung nicht passen. Er hat wirklich gerne das Sagen und die Zügel fest in der Hand. Das ist offensichtlich.
„Nein. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie mit diesem Trick nur ihre derzeitige Agentur unter Druck setzen wollen, um einen besseren Preis rauszuschlagen. Sie verstehen doch, dass ich da nicht mitmachen möchte und Energie und Ressourcen auf eine aussichtlose Sache verschwende.“ Widerstrebend nickt David. „Verständlich.“
„Wie sieht es mit Ihrer Zeit aus, Cami?“, fragt er mich vor allen anderen. Ich mochte es noch nie, im Mittelpunkt zu stehen. Ich räuspere mich und frage nach. „Wie meinen Sie das?“
„Ich meine, werden Sie alle Aufgaben fristgerecht schaffen oder sollen wir eine neue Aufteilung vornehmen, jetzt, wo Sie den Leitfaden für den Naturkosmetik-Kunden ebenfalls übernehmen?“ Ernst sehen alle zu mir. Ein unangenehmes Gefühl.
Ich sollte einfach Ja sagen. Aber wenn er mich derart mit seinem Blick fixiert, rutscht mir immer mehr heraus, als ich möchte.
„Das wird sich ausgehen. Ich habe zwar, seit ich Veith Media als Referenz angebe, mehr Aufträge als sonst, aber mit ein paar Stunden am Wochenende zusätzlich ist alles kein Problem.“ Erleichtert atme ich aus, da ich nun vom Haken bin.
„Gut. Dann haben wir alle Punkte bis nächste Woche besprochen.“ Connor beginnt, seine Sachen zusammenzusuchen, da flüstert Daniel ihm etwas zu.
„Ach ja. Eine Sache gibt es da noch.“ Schnell setzen sich alle wieder hin.
„Wie jedes Jahr sind wir wieder auf die Media Gala der ‚Wirtschaft – Heute & Morgen‘ eingeladen. Für die Neuen unter euch … Das Magazin veranstaltet zweimal im Jahr ein großes Fest. Im Herbst vergeben sie Preise und nächste Woche findet die Gala für unsere Branche statt. Wie jedes Jahr bekommen wir drei Karten, eine davon ist für mich und einen Begleiter, Daniel, wenn es seine Zeit erübrigt, gehört Karte Nummer zwei und die dritte Karte wird wie üblich verlost.“ Hektisch kramt Daniel eine große Glasbowle hervor, die mit gefalteten Zetteln gefüllt ist.
„Jeder, der für Veith Media arbeitet, angestellt oder auf freier Basis, hat ein Los“, verkündet Daniel freudig. Offenbar gefällt ihm seine Aufgabe als Glücksfee, was mich zum Lachen bringt.
„Abgesehen von Paul, der aus unerfindlichem Grund, immer eine Einladung erhält“, zieht Connor seinen Freund vor versammelter Mannschaft auf, der daraufhin lediglich mit der Schulter zuckt.
„Was so ein geheimes Aktshooting für einen gewissen Herausgeber und eine noch gewissere Dame doch für einen Vorteil hat“, hält er amüsiert dagegen und zwinkert in die Runde. Die meisten schmunzeln oder lachen darüber. Nur Connor verdreht genervt die Augen.
„Also gut, dann machen Sie Ihrem Amt alle Ehre und ziehen den Gewinner, der uns – in Abendgarderobe! – nächste Woche begleiten wird.“
Mit breitem Grinsen versenkt Daniel seine Hand in das volle Glas und macht eine Show daraus, indem er die Zettel darin wirbeln lässt. Langsam nimmt er einen davon heraus und faltet ihn auseinander. Sein hintergründiges Kichern ist ein wenig boshaft.
„Herzlichen Glückwunsch, Cami. Sie werden uns begleiten, und ich für meinen Teil bin mir sicher, Sie werden eine umwerfende Begleitung sein.“
Mir fehlen die Worte. Erschrocken starre ich erst Daniel an, dann Connor, der meinen Blick mindestens ebenso geschockt erwidert. Es steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Ihm wäre jeder andere lieber gewesen. Und mir ehrlich gesagt auch. Connor im Anzug, auf einem Fest, mit nie versiegendem Sekt und Wein. So ähnlich fängt einer meiner schmutzigen Träume an.
Schlimmer noch ist, dass mich alle Mitarbeiter der Agentur anstarren, als warten sie darauf, dass ich mich freue, dass ich etwas sage. Aber ganz ehrlich, mein Hirn ist leer.
„Dann sollte ich wohl bald einkaufen gehen“, höre ich mich selbst sagen, woraufhin ein paar der Anwesenden lachen, als hätte ich einen Witz gemacht . Habe ich einen Witz gemacht? Herrje! Eine ganze Nacht mit Connor zusammen.
Die meisten stehen auf und gehen an ihre Arbeit. Ich bleibe lieber noch etwas, zumindest so lange, bis der Schock aus meinen Knien weicht.
„Mann, du hast ein Glück. Ich gewinne nie“, jammert Charlotte mir ins Ohr, ehe sie ebenfalls den Raum verlässt. Connor geht mit Daniel an mir vorbei und wirft mir nicht einmal einen Blick zu. Für mich sieht er ziemlich sauer aus.
„Na, das nenne ich mal einen interessanten Abend.“ Erschrocken über seine Anwesenheit, sehe ich zu Paul. Ich wusste gar nicht, dass er noch da ist.
„Ich denke, dieses Jahr werde ich sogar wirklich zu diesem Affentheater hingehen“, murmelt er amüsiert und presst dabei die Lippen aufeinander, als müsse er sich davon abhalten, noch eins draufzusetzen.
„Wieso finden Sie das eigentlich so amüsant?“
„Du.“
„Was?“, frage ich ihn irritiert.
„Lass das Sie weg, Cami. Sonst komme ich mir vor wie mein alter Herr, und das ist etwas, das ich so gar nicht leiden kann.“
„Okay … Wieso findest du das Ganze also eigentlich so amüsant?“ Er wirft mir ein charmantes Lächeln zu, das bei den meisten Frauen wirken würde, schließlich ist Paul ein sehr attraktiver Mann. Seltsamerweise bringt es mich aber nicht dazu, mich von ihm angezogen zu fühlen.
„Sagen wir mal … Daniel und ich machen uns manchmal einen Spaß daraus, diese kleine Verlosung etwas interessanter zu gestalten.“
„Soll das heißen, ihr habt die Zettel manipuliert?“, frage ich ihn empört.
„Sagen wir mal … Du hattest nur eine Fifty-fifty-Chance zu verlieren.“ In fast schon kindlicher Freude zuckt er mit den Augenbrauen.
„Erstens“, fahre ich ihn wütend an, „ist das ziemlich pubertär. Und zweitens … Warum zum Teufel macht ihr das? Und wieso gerade mit mir?“
„Rate mal … Aber ich denke, das musst du gar nicht. Ich denke, du kannst dir denken, warum.“ Fest blickt er mir in die Augen, ehe er aufsteht. Ich ahne es, aber ich will es nicht zugeben. Mir gefällt es nicht, manipuliert zu werden, und noch weniger gefällt mir, dass die beiden ahnen, dass zwischen Connor und mir irgendeine Art von Anziehung ist.
„Nur so aus Neugier … Wer stand auf den anderen Zetteln?“
Paul verkneift sich ein Lachen. „Hannah“, haucht er lachend. „Aber diese stocksteife Gewitterziege würde niemals mitgehen. Und wenn, würde sie Connor den letzten Nerv rauben.“
„Das ist aber nicht sehr nett von dir“, ermahne ich ihn.
„Na ja, manchmal braucht Connor jemand, der ihm ein bisschen unter die Arme greift. Er hat vergessen, wie man sich richtig amüsiert. Als sein Freund habe ich die Pflicht, ihn daran zu erinnern.“
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