„Wer soll denn noch im Wagen gewesen sein!“, antwortete Carl genervt.
„Na, du hast doch soeben gesagt, dass so ein Idiot euch von der Straße gedrängt hätte!“
„Nein, ich war alleine und es ist auf dem Heimweg passiert. Und nun lass mich bitte in Ruhe duschen“, mit sanftem Druck und einem aufgesetzten Lächeln schob er Luisa zur Tür hinaus, und mit den Worten: „lass uns heute Abend reden“, schloss er die Tür.
„Kann ich dich alleine lassen?“, rief sie durch die geschlossene Tür.
„Ja, fahr nur.“
„Wirklich“, hakte sie nach.
„Ja!“, entgegnete er knapp, dann drehte er die Dusche auf, womit seine Gesprächsbereitschaft auch beendet war.
Als sie später im Wagen saß, dachte sie über Carl und seinen Unfall nach, und irgendwie beschlich sie das Gefühl, dass er etwas zu verbergen hatte. Doch der Gedanke verlor sich sogleich im Verkehrschaos vor dem Uni-Parkhaus. Und fast wie jeden Morgen spielten sich Dramen beim Einfahren ab. Diesmal brachte ein Student den gesamten Verkehr zum Stillstand, weil er seine Einfahrkarte fürs Parkhaus nicht finden konnte, achselzuckend und mit einem Lausbuben-Lächeln stand er vor der geschlossenen Schranke und kramte in seinen Hosentaschen, schließlich erbarmte sich ein verärgerter Hintermann und schwang sich aus seinem Wagen, um ihm dann mit seiner Karte auszuhelfen. Und als es schließlich weiterging, sorgte gleich die nächste Studentin, mit Papas großer Luxuskarosse, beim Einparken für Stau. Genervt sah Luisa auf die Uhr, „Mist“, knurrte sie, denn heute passte ihr das überhaupt nicht. Als sie endlich ihren Kleinwagen eingeparkt hatte, wurde dem angeschlagenen Nervenkostüm noch ein Krönchen aufgesetzt, auf dem Weg zum Institut, rollte dann auch noch die schwarze Edel-Limousine des Uni-Präsidenten an ihr vorüber – es fehlte nur noch, dass er seine Hand zum königlichen Gruß erheben würde. Vor dem Präsidialgebäude stoppte die Limousine, der Chauffeur sprang aus dem Wagen, um dem Uni-Präsidenten die Beifahrertür zu öffnen, und während der Deus ex machina dann in aller Gemütsruhe sein Jackett anzog, sah er, mit einem leicht süffisanten Grinsen, dem Gedränge vor dem Parkhaus zu, mit federleichten Schritten verschwand er schließlich in den hochheiligen Hallen – und der Chauffeur mit der Aktentasche seines Chefs hinterher.
Ja, dachte Luisa bitterlächelnd, irgendetwas muss in meinem Leben wohl schiefgelaufen sein.
Luisas Arbeitstage waren vollgepackt mit Arbeit. Ihre neue Chefin gab alles, in der Hoffnung, den Lehrstuhl irgendwann übernehmen zu können. Ein Projekt nach dem anderen wurde an Land gezogen, somit wurden nicht nur neue Stellen für Doktoranden geschaffen, sondern studentische Hilfskräfte gaben sich die Klinke in die Hand, zusätzliche Räume wurden bezogen, technische Geräte über Projektmittel angeschafft und, und, und ... Der Lehrstuhl quoll aus allen Nähten. Für Luisa bedeutete das zusätzliche Arbeit und permanenter Stress mit der Verwaltung – denn Wissenschaftler und Verwaltungsmenschen waren auf unterschiedlichen Planeten unterwegs, und sie als Prellbock, um allen gerecht zu werden, mittendrin. Dennoch machte ihr die Arbeit Spaß. Nein, nicht ganz. Je mehr sie sich ins Zeug legte, desto zickiger wurde ihre Chefin. Und besondere Vorsicht war geboten, wenn sie am Morgen mit roten Pumps und mit kirschrot-geschminkten Lippen im Büro erschien, meist war das in Verbindung mit dem Vollmond der Fall. Zum Glück hatte ihre Chefin, wie viele der Profs, ihre Di.-Mi.-Do.-Arbeitstage , denn die restlichen Tage war für die Grande Dame der Sozialpsychologie Home-Office angesagt.
Heute war Donnerstag und es herrschte der ganz normale Lehrbetrieb. Ihre Chefin hatte die ersten beiden Stunden Vorlesung, danach würde sie sich in ihr Büro zurückziehen, um bei einer Tasse ihres geliebten Schwarztees zu entspannen, und sollte er mal wieder aus sein, würde sie sich ganz selbstverständlich an Luisas Tee bedienen – den Unterschied zwischen Dein und Mein, nahm sie nicht so genau.
Jedenfalls galt es, zwischen Vorlesung und Auszeit, immer den richtigen Moment für Unterschriften abzupassen, so auch an diesem Morgen. Luisa hörte sie bereits kommen. Klack, klack, klack, hallte es durch den Flur. Luisa schwante nichts Gutes, sie griff nach der Unterschriftsmappe und postierte sich gleich vor ihrer Tür. Ihr Blick galt zunächst ihren Füssen und wie befürchtet, trug sie ihre roten Pumps. Durchatmen und keinesfalls provozieren lassen, hieß dann die Devise. „Frau Krollmann, ich bräuchte dringend noch ein paar Unterschriften.“
„Jetzt nicht!“ antwortete sie in einem unmissverständlichen Tonfall, resolut und kaltlächelnd schlug sie ihr dann die Tür vor der Nase zu.
Luisa stand wie eine Erstklässlerin vor der geschlossenen Tür. „Irgendwann bringe ich sie um“, fluchte sie zähneknirschend und stampfte vor Frust einmal mit dem Fuß auf.
„Machen wir’s gemeinsam?“, fragte eine Stimme hinter ihr.
Ihren düsteren Gedanken jäh ertappt, wandte sie sich erschrocken um. Es war Wölfchen – eigentlich hieß er: Priv. Doz. Dr. Wolf, doch wegen seiner schlanken Gestalt und seinen grazilen Bewegungen nannten ihn alle nur: Wölfchen – ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der nach seiner Habilitation am meisten unter den Allüren der neuen Chefin litt – denn angehende und männliche Konkurrenz ertrug sie nur schwer.
„Wie machen wir’s?“, scherzte er mit ernster Miene, „erwürgen wir sie? Oder werfen wir sie aus dem Fenster? Ich plädiere für alles zusammen und genau in der Reihenfolge!“, kopfschüttelnd und murrend zog er sich in sein Zimmer zurück – rums auch die Tür war zu!
„… mit Gift“, knurrte Luisa, „etwas Gift unter ihren geliebten Schwarztee mischen, ja, das wär‘s!“ – auch wenn es nur ein Wunschgedanke war, so fühlte er sich gut und befreiend an.
Gegen Mittag war die Bürotür ihrer Chefin noch immer geschlossen. Luisa beschloss nicht länger Sklavin ihrer Launen zu sein, sie schrieb ihr eine E-Mail, mit der Bitte, die ausgehenden Unterlagen zu unterzeichnen. Danach schrieb sie Carin eine SMS, dass sie auf dem Weg zum Philosophen-Café sei.
Als Luisa dort eintraf saß Carin schon am Tisch und hatte zwei Teller Spaghetti-Bolognese vor sich stehen, „in weiser Voraussicht, dass du Nervennahrung brauchst“, lächelte sie ihr aufmunternd zu.
„Du bist ein Schatz“, antwortete Luisa.
„Gab’s wieder Ärger mit der Burberry-Lady?“, hakte Carin nach.
Ihre Chefin trug mit Vorliebe Burberry-Kleidung, die sie dann solange trug bis sie sprichwörtlich auseinanderfiel.
Luisa nickte, „komm“, winkte sie ab, „lass uns das Thema nicht weiter vertiefen, ich möchte mir nicht auch noch, wegen ihr, das Mittagessen vermiesen lassen“, verärgert stach sie mit der Gabel in die Nudeln, drehte sie auf und steckte sie in den Mund, „was macht dein Afrika-Projekt?“, fragte sie kauend.
„Ich freue mich so“, jubelte Carin, „und ich kann dir gar nicht sagen wie sehr ich mich auf den Aufbau der Lodge freue“, schwärmte sie und strahlte dabei übers ganze Gesicht.
„Aber nicht nur auf die Lodge!“, bemerkte Luisa augenzwinkernd.
„Klar, nicht nur!“, erwiderte sie, wobei eine leichte Röte ihr Gesicht und Hals zierte, „ich freu mich natürlich auch auf Billy, mal sehen wie weit sie mit den Umbaumaßnahmen sind“, genüsslich stach sie mit der Gabel in die Nudeln, danach drehte sie die Nudeln langsam und gedankenverloren auf.
„Wie schön“, seufzte Luisa und tief in ihrem Herzen beneidete sie Carin um ihr Abenteuer im fernen Kontinent.
„Wenn die Umbaumaßnahmen fertig sind, bist du herzlich eingeladen“, lächelte Carin.
„Meine Güte“, seufzte Luisa, „wie oft habe ich mir den Film Jenseits von Afrika, mit Meryl Streep, Klaus Maria Brandauer und Robert Redford, angesehen“, und während sie weiter ihre Nudeln aufdrehte und aß, zog vor ihrem geistigen Auge die afrikanische Steppe mit Nashörnern, Giraffen und Löwen vorüber, und beim Anblick des schneebedeckten Mount Kenya überfiel sie schließlich ein klein wenig Fernweh.
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