„Nein, das muss sich ändern“, murmelte sie, und da Carl gute Essen liebte, er ein Gourmet war, beschloss sie kurzerhand zum Feinkostenladen zu fahren – früher hatten sie dort gemeinsam und auch regelmäßig eingekauft. Während sie durch den Laden schlenderte hatte sie ihr Verführungsmenü für den Abend bereits zusammengestellt: als Appetizer sollte es ein Lachstatar mit Avocado geben, danach ein Steinbutt-Filet auf Fenchelgemüse, sowie Carls Lieblingsdessert: Mousse au Chocolat, dazu einen kühlen Sauvignon Blanc .
Zuhause angekommen bereitete sie alles vor, sie deckte den Tisch hübscher als sonst ein und gönnte sich danach ein ausgiebiges Bad. Gegen zwanzig Uhr saß Luisa, bei Kerzenschein und zu allem bereit, am Tisch. Es wurde einundzwanzig Uhr und von Carl noch immer keine Spur – keinen Anruf und keine SMS – nichts, auch ihre Versuche ihn erreichen zu wollen blieben erfolglos. „Okay“, knurrte sie, „eine Viertelstunde gebe ich dir noch“, dabei schnippte sie ihre unbequemen Pumps schon mal von den Füßen, öffnete den Reißverschluss ihres enganliegenden Etuikleides und legte die Beine über die Tischkante, enttäuscht griff sie nach der Weinflasche und füllte ihr Glas randvoll auf. Während sie nun das Glas, Schluck für Schluck, leerte, checkte sie immer wieder ihr iPhone – nichts. Carl schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. „Wo bist du?“, zischte sie, „die Viertelstunde ist längst vorbei“, verärgert über ihn und überhaupt ihren Ärger im Büro, begann sie den Tisch abzuräumen, unsanft und fluchend verstaute sie alles im Kühlschrank dabei entdeckte sie die Mousse au Chocolat : Carls Lieblingsdessert, sie griff nach einem großen Löffel und stopfte die süße Köstlichkeit hastig in sich hinein, und während sie das tat, kam ihr wieder Paulines Dementi über ihre Ehe in den Sinn: abgehakt, erledigt, oder es könnte besser sein – jetzt war ihr übel. Sie ließ das Kleid über ihre Schultern gleiten und setzte sich, mit einem Cognac zur besseren Verdauung der Mousse, sowie ihrem ganzen unnützen Gedankenwirrwarr, auf die Couch. Nach einigem Grübeln, aber auch um sich selbst zu beruhigen, sagte sie: „Ach was, ihre Ehe ist in Ordnung – Punkt!“ Carl wird bald Nachhause kommen, sich mit irgendwelchen Entschuldigungsfloskeln und einem Gute-Nacht-Küsschen neben sie ins Bett legen und einschlafen, am nächsten Morgen würde der ganz normale Alltag seinen Lauf nehmen.
Kurzentschlossen rief sie Carin an, um nachzuhören wie es ihr geht.
Sie war auch gleich an der Strippe. „Was gibt’s?“, fragte sie mit leicht gereizter Stimme.
„Ich wollte nur mal nachhören, wie es dir geht?“, hakte Luisa vorsichtig nach.
„Das Beleidigt-Sein überlasse ich Pauline“, antwortete Carin knapp.
„Es tut mir leid, aber du kennst sie ja, sie hat das nicht so gemeint.“
„Hör auf sie immer wieder in Schutz zu nehmen. Pauline ist ein Trampel und das wird sich auch nicht ändern, solange sie ihr eigenes Leben nicht in den Griff bekommt.“
„Du solltest nicht so hart mit ihr ins Gericht gehen, sie hat zurzeit erhebliche Probleme mit ihrer kranken Mutter …“
„Ja, und vor lauter Frust futtert sie sich kugelrund und kehrt dann die Schlechtgelaunte hervor.“
„Komm, gib deinem Herzen einen Ruck und sei wieder gut!“, versuchte Luisa einzulenken.
„Auch wenn sie deine Freundin ist, so muss ich noch lange nicht ihre Freundin sein.“
„Ach bitte Carin“, flehte Luisa, „ich mag euch beide und ich kann es nun mal nicht ertragen, wenn ihr euch zofft.“
Carin grummelte etwas Unverständliches in ihren Bart, „okay, okay, okay“, sagte sie schließlich, „aber nur weil du es bist.“
„Du bist ein Schatz!“
„Schon gut. Aber wieso bist du noch nicht im Bett?“, fragte Carin erstaunt.
„Weil Carl ganz offensichtlich mal wieder mit seinen Arbeitskollegen versackt ist und ich alleine bin.“
„Ist in eurer Ehe alles in Ordnung?“
„Was habt ihr eigentlich alle mit meiner Ehe!“ wunderte sich Luisa, „es ist alles bestens.“
„Dann ist’s ja gut!“, gab Carin knapp zurück. „Bist du Morgen im Büro?“
„Ja!“
„Dann lass uns bei einem gemeinsamen Mittagessen reden“, schlug Carin vor, „ich bin müde und muss in die Horizontale.“
„Gut, dann treffen wir uns, wie gewohnt, um die Mittagszeit im Philosophen-Café. Gute Nacht.“
„Jaaa …‘nacht … ‘nacht und schlaf gut!“
Luisa stierte noch eine ganze Weile das iPhone in ihren Händen an. Keine Frage, Carin war immer noch sauer. Pauline hatte nun mal die unangenehme Eigenschaft und nützte jede Gelegenheit um ihre Finger in Carins Wunde zu legen.
Warum Carin ihre beiden Söhne bei ihm Vater zurücklassen musste, hatte schließlich triftige Gründe. Beide Kinder sind in London geboren und hatten die englische Staatsbürgerschaft, und da ihr damaliger Ehemann einer der besten Rechtsanwälte in London war, man ihm sogar nachsagte, dass er hin und wieder auch Mitglieder des Königshauses bei Rechtsfragen beriet, waren ihre Chancen auf ein Sorgerecht gleich Null. Von Carin wusste sie nur, dass er gerne einmal und unter Alkoholeinfluss, zuschlug. Den Kontakt zu ihren Kindern hatte sie aber nie abgebrochen – heute sind beide erwachsen und führen ihr eigenes Leben.
Am nächsten Morgen, als Luisa schlaftrunken über Carls Kopfkissen tastete, stellte sie fest, dass sein Bett noch immer unberührt war. Der erste Gedanke der sich ihr aufdrängte war: es wird doch nichts passiert sein! Carl würde sie doch nie im Unklaren lassen, jedenfalls nicht, wenn er über Nacht wegblieb. Während sie wie ein aufgescheuchtes Huhn durchs Haus rannte, kamen ihr bereits die schlimmsten Gedanken: Gleich, ja, gleich würde die Polizei vor der Tür stehen und ihr mit ernster Miene die Mitteilung überbringen, dass ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kam. Nur mit dem Nachthemd bekleidet und in Pantoffeln lief sie zur Garage – leer, erneut checkte sie ihr iPhone … wieder nichts. Stopp! Stopp! Stopp! „Nur die Ruhe bewahren“, ermahnte sie sich selbst. Sicherlich wird er bald kommen und es wird sich alles aufklären. Und so beschloss sie erst einmal zu duschen und danach zur Uni zu fahren.
Später, als sie gerade in ihren Wagen steigen wollte, kletterte Carl aus einem Taxi. Er sah fürchterlich aus. Er trug einen Kopfverband, sein Jackett trug er zusammengeknäult unter seinem Arm, die Hemdsärmel waren hochgekrempelt, Hände und Kleidung waren mit Motor-Öl beschmiert, und das linke Hosenbein war zerrissen. Beim Näherkommen entdeckte sie einige kleinere Blessuren in seinem Gesicht – die ganz offensichtlich ärztlich behandelt wurden.
„Carl!“, rief Luisa entsetzt, „um Himmels willen, was ist denn geschehen?“, dabei musterte sie ihn von Kopf bis zu den Füßen, „und wo ist dein Wagen?“
„Ach, irgend so ein Idiot hat uns bei einem riskanten Überholmanöver von der Straße gedrängt“, antwortete er achselzuckend, „der Karren ist nur noch Schrott.“
Mit Blick auf den fachmännisch angelegten Kopfverband gerichtet fragte sie: „Warst du im Krankenhaus? Hast du etwa eine Gehirnerschütterung? … So rede doch!“
„Da gibt’s nichts zu reden, es ist nur eine leichte Gehirnerschütterung und nicht der Rede wert“, dann kehrte er seiner Frau abrupt den Rücken zu und eilte mit großen Schritten Richtung Haus.
Luisa hinterher.
Im Haus ging Carl sofort ins Bad und während er, mit schmerzverzerrtem Gesicht, sich seiner Kleidung entledigte, bombardierte Luisa ihn mit weiteren Fragen: „Wer war denn noch im Wagen? War es einer deiner Kollegen? Ist er auch verletzt? Wo war denn der Unfall? Und wo wolltet ihr denn hin? Und überhaupt, wieso hast du dein Telefon ausgeschaltet? Mein Gott, ich habe mir solche Sorgen gemacht! Warum hast du nicht angerufen?“
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