Rose Hardt
Wenn die Seelen Trauer tragen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Rose Hardt Wenn die Seelen Trauer tragen Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Impressum neobooks
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„Man muss die Sprache der trockenen Tränen sprechen können,
um sich von den Qualen der Seele zu befreien.“
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Prolog
Vor einiger Zeit fielen mir alte Tagebücher wieder in die Hände. Einige entstanden in den Achtzigern und waren in Steno geschrieben, denn nur so konnte ich mir sicher sein, dass sie nicht gelesen wurden. Beim Durchstöbern meiner Aufzeichnungen stolperte ich über den Namen Jacob – wer war nochmal Jacob? Einen Moment hielt ich inne, ich ließ die Zeit von damals Revue passieren. Zuerst erinnerte ich mich nur vage an einen gutgekleideten jungen Mann den ich zufälliger Weise in einem Pub kennenlernte, wir plauderten bis in die frühen Morgenstunden. Danach trafen wir uns noch einige Male, wobei wir uns nie verabredet hatten – nein, das Schicksal schien unsere Begegnungen zu arrangieren. Und je länger ich darüber sinniere desto klarer war Jacob vor meinen Augen. Er war ein außergewöhnlich schöner junger Mann, seine Erscheinung wirkte ebenso exzentrisch wie melancholisch, seine Haut war von der Sonne verwöhnt und die schwarz-glänzenden Haare streng zurückgekämmt, in seinen dunklen, mit schwarzem Kajal umrandeten Augen, loderte ein Feuer das manchmal beim Erzählen einer seiner Lebensereignisse kurz erlosch. Damals fühlte ich mich auf eigenartige Weise zu ihm hingezogen – aber nicht wie eine Frau zu einem Mann – nein, es war, als ob wir uns schon ewig kannten.
Zwar bedurfte es einiger Mühe mein Steno zu entziffern, doch danach war mir jedenfalls klar, dass ein Teil seiner Biografie die Basis für einen Roman bieten würde. Jacob habe ich danach nie mehr gesehen. Man erzählte sich nur, dass er in den Achtzigern in Hamburg verstorben sei.
Reglos saß Nora da, ihre Beine waren ineinander verschränkt und wirkten von der unbequemen Sitzhaltung wie abgestorben. Seit einigen Tagen kreisten ihre Gedanken um den toten fremden Mann in ihrem Vorgarten. Erneut tauchten vor ihrem geistigen Auge die Bilder auf. Ein Anblick der sie seit dieser Zeit wie ein unliebsamer Schatten verfolgte; auch die Recherchen der Polizei, sowie die tagelagen Belagerungen von Reportern mit ihren unliebsamen Fragen: Ob sie den Toten kannte? Und warum er sich gerade in ihrem Vorgarten das Leben nahm?, waren mehr als nervenaufreibend. Und das merkwürdige war, dass sie selbst bei der Häufigkeit der Fragen verunsichert wurde, mit einem Male war sie gezwungen sich mit dem erstarrten Gesicht des Toten auseinanderzusetzen, und seit jenem Tag trat das Bild des Toten – der leblose Körper eines Mannes um die siebzig – immer wieder aus ihrem Gedächtnis hervor. Verzweifelt versuchte sie dann eine Verbindung zu ihrem Unterbewusstsein herzustellen, um ihn endlich, für sich, identifizieren zu können – aber es war nichts Verwertbares dabei, das sie hätte weiterbringen können. Lediglich schien ein vages Gefühl ihn zu kennen vorhanden – vielleicht, ja, vielleicht waren es aber auch nur die vielen Fragen die sie zu dem Gefühl hindrängten. Das Ärgerliche war, dass sie – als Romanschriftstellerin – ohne ihr Zutun plötzlich in den Mittelpunkt des Geschehens geraten war und somit für die Boulevard-Presse ein gefundener Leckerbissen darstellte. Eine Erkenntnis, die nach einigen Tagen Flucht in ihr auslöste. Sie wollte nur noch dem Unglücksort sowie einigen aufdringlichen Reportern, die schlimmer als hungrige Hyänen waren, entfliehen. Und so war es der zeitnahe Abflug der sie nach Jersey führte. Vielleicht lenkte sie auch das Schicksal dorthin! Wer weiß das schon, schließlich hatte alles im Leben seine Bestimmung, nichts geschah einfach so.
Seit nun mehr einer Stunde saß sie auf der Hotelterrasse in Saint Helier, sie philosophierte über ihr Leben und versuchte dabei ihre Gedanken von dem tragischen Ereignis in ihrem Vorgarten abzulenken. Sie hielt ein Buch über Lebensweisheiten in Händen, und jeden Satz den sie las, nahm sie zum Anlass ihr eigenes Leben zu durchleuchten. Ihre letzte Liebe hatte ihr Herz stumm werden lassen und ihre Seele zum Trauern gebracht. Ach, wenn ich doch bloß diesen ganzen Seelenschmerz herausspeien könnte, dachte sie in Begleitung eines tiefen Seufzers. Gedankenverloren blickte sie auf, dabei fiel ihr Blick genau auf einen Geschäftsmann am Tisch gegenüber, auch er war in Zeilen vertieft, aber es waren keine Lebensweisheiten die ihn beschäftigten, sondern ein Börsenblatt – wie unschwer zu erkennen war. Hektisch schob er eine Ravioli nach der anderen in den Mund dazwischen spülte er immer wieder mit Wein nach, wobei er mehrmals seine Sitzposition änderte. Hinter ihm, dort wo am Morgen noch Ebbe war ruhte ein glänzendes Meer, darüber schwebten, fast ohne Flügelschlag, einige Möwen. Ein Bild der völligen Harmonie in der er, wie ein Fremdkörper saß und Unruhe verbreitete. Das Läuten seines Handys, sowie der schlechte Netzempfang veranlassten ihn schließlich seinen Platz zu verlassen – die Harmonie war wieder hergestellt. Doch nur kurz währte dieses Bild der Ruhe, denn eine Möwe empfand es als passende Gelegenheit einen Zwischenstopp einzulegen, um die restlichen Ravioli auf seinem Teller zu verschlingen. Beeindruckt von dem großen weißen Vogel, der es als Selbstverständlichkeit ansah seine gefräßige Gier zu stillen, beobachtete sie, ohne eingreifen zu wollen, das Schauspiel. Danach schwang er sich gestärkt und mit zwei kraftvollen Flügelschlägen, von denen sie noch den Wind in ihren Haaren verspüren konnte, davon. Handlungsunfähig, ja, immer noch wie gebannt von dem Unfassbaren, sah sie dem dreisten Vogel so lange nach, bis er sich im lichtgrauen Himmel aufgelöst hatte. Irgendwie faszinierend, dachte sie, ohne Scheu vor ihr, war er auf dem Nachbartisch gelandet um seinem natürlichen Trieb zu folgen. Gedankenverloren senkte sie ihren Blick und schlug die nächste Buchseite auf. – Ja, und wenn ich es mir recht überlege, so bin ich auch eigentlich gar nicht anwesend, dachte sie, eine Erkenntnis die sie traurig stimmte.
„Hallo Missus“, drang plötzlich eine männliche Stimme zwischen ihre trüben Gedanken, „hey, wer hat von meinem Teller gegessen? Waren Sie so hungrig?“
Wie aus einer anderen Welt entstiegen sah sie zu der Stimme hin, dann verharrte sie noch einen Augenblick in dieser Position, bevor es ihr möglich war zu antworten. „Nein, nein“, verteidigte sie sich dann mit abwehrenden Händen, wobei sie nun direkt in das fragende Gesicht des Mannes blickte, der noch vor wenigen Minuten am Nachbartisch saß und seine Ravioli schnabulierte. Im nächsten Moment kehrte die Erinnerung an die Möwe zurück, und der Gedanke daran brachte Nora zum Schmunzeln.
„Was ist so witzig“?, fragte er sichtlich erstaunt, woraufhin er unaufgefordert seinen durchtrainierten Körper auf die Sitzbank, gleich neben ihr, schwang. Sein geschäftsmäßiger Blick war zwischenzeitlich in ein spitzbübisches Lächeln gewechselt, seine sonnenverwöhnte Haut ließ das Blau seiner Augen noch intensiver erscheinen, der kurze blonde Haarschopf war glatt nach hinten gekämmt, und kleinere Fältchen um Mund- und Augenpartien wirkten äußerst sympathisch – wie sie bei genauerem Hinsehen feststellen konnte. Seine Augen huschten in rasanter Geschwindigkeit über ihr Gesicht, schienen es systematisch erfassen zu wollen, offensichtlich zufrieden mit dem was er sah, formte sich sein Mund zu einem breiten Grinsen, sodass strahlendweiße Zähne zum Mittelpunkt seines Gesichtes wurden.
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