Als größter Unternehmer unserer Branche (kein Mensch weiß wie groß und vielseitig er tatsächlich ist) ist er eben ein vielbeschäftigter Mann. Aber will ich wieder eine uninteressante Randerscheinung sein? Nein!
Die bessere Möglichkeit für mich sind also Ede und seine Partner. Diese vier Herren, in der Branche auch die ‚Firma Korrekta’ genannt, haben soweit ich weiß, im Moment nur drei Betriebe. Nun habe ich gehört, dass der Reutlinger sich für den Kauf von zwei ihrer Läden interessiert. Das wäre die günstige Gelegenheit, ihnen die Beteiligung an meinem Laden anzubieten.
Außerdem gehören sie zu den wenigen seriösen Veranstaltern in unserer Branche und kümmern sich persönlich um ihre Geschäfte. Ein Vorteil ist, dass sie in der Nachbarstadt wohnen. Und drei von ihnen kenne ich seit Jahren recht gut.
Wolfram, genannt Ede oder Boxer ist selbst ein großer Zocker und wohl der Agilste von ihnen.
Klaus, auch auf den Namen ‚Fransman’ hörend, ist der Faulste und der Phlegmatischste der Vier, allerdings als Glückspilz bekannt. Mit ihm habe ich schon mehrmals als Partnerin oder Angestellte zusammengearbeitet. Der dicke Wilhelm, von vielen Leuten auch boshaft ‚Frosch’ oder ‚Qualle’ genannt, ist ein ruhiger, nervenstarker und fleißiger Mensch. (Zwar sagt man ihm nach, dass er in betrunkenem Zustand das genaue Gegenteil und Frauen gegenüber sehr ausfallend sein soll, doch ich hatte ihn niemals so gesehen). Ihn hatte ich in sechswöchiger Zusammenarbeit in Belgien als einen freundlichen, großzügigen Chef kennengelernt. Es war eine Freude mit ihm zu arbeiten. Diese Zeit hätte damals ruhig länger dauern dürfen. Den vierten und ältesten dieser Gruppe kenne ich nur flüchtig durch meine damaligen, häufigen Besuche im Billard-Cafe. Aber den immer gut gelaunten, freundlichen Heinrich mit der Halbglatze kenne ich nur die boshaften Aussagen meines damaligen Lebensgefährten Udo. Dieser behauptete: Heinrich, den man auch ironisch ‚Glatze’ oder ‚Locke’ nennt, säße auf einem Sack voll Geld, weil er so geizig wäre. Schon jahrelang würde er immer in den gleichen Kleidern rumlaufen, weil er zu gierig wäre sich was Neues zu kaufen. Heinrich wäre einer der reichsten Männer der Stadt, weil er mit Buchmacherei, Geldverleiherei und Zockerei im Laufe von 20 Jahren ein riesiges Vermögen steuerfrei angehäuft hätte. Nur in sexueller Beziehung habe der ‚Herr immer geil’ wenig Glück, da er mit einer ‚Frau immer müde’ bestraft sei.
Was auch immer böse Zungen behaupteten, ich weiß genau, dass diese Geschäfts-Gruppe sehr korrekt ist, das können selbst die ärgsten Gegner nicht leugnen. Da es durch die ganzen Ausländer und Zuhälter, die sich in unserer Branche tummeln, nur wenig seriöse Veranstalter gibt, habe ich nur eine geringe Auswahl, welche Leute für mich in Betracht kommen. Da ich lange genug belogen, bestohlen und betrogen wurde, sind diese vier die einzig in Frage kommenden Leute.
Vor mir sehe ich die große, unübersehbare Leuchtreklame des ‚Golfhotels Luisa’.
„Fahr mal bitte erst über den Parkplatz, Nina. Mal sehen, ob das Auto des Reutlingers noch hier steht.“ bitte ich meine Freundin.
Nachdem wir beide Parkplätze abgefahren und den großen Mercedes mit Reutlinger Kennzeichen nicht gesehen haben, findet Nina nahe dem Eingang einen freien Platz. Vor der überdachten, hell beleuchteten Eingangstür des Hotels müssen wir warten, bis der Nachtportier uns öffnet. Auf unsere Frage nach dem Casino weist er uns höflich den Weg. Wir versinken in dicken Perserteppichen, welche in der exklusiven, geräumigen Hotelhalle, die mit schweren, antiken Ledergarnituren ausgestattet ist, ausgelegt sind. Eine kleine, dezente Messingtafel mit dem Hinweis auf das Casino deutet uns den weiteren Weg.
Als wir den Saal betreten, bin ich ein wenig enttäuscht. Nach den Erzählungen hatte ich mir das Casino eleganter, exklusiver und auch geräumiger vorgestellt. Reutlinger-Läden sind wesentlich gediegener oder ausgefallener. Ich muss zwar innerlich zugeben, dass die Ausstattung mit antikem Holz und den Seidentapeten an den Wänden und der teure Velourboden mit einigen Perserbrücken belegt, eleganter ist als die billige Tapete und der dünne Schlingen-Teppichboden in meinem Laden, aber das ist sicher nicht der Verdienst der jetzigen Mieter. Außerdem ist der ganze Raum nicht halb so groß wie meiner. Die gediegene Atmosphäre, von der man allgemein spricht, empfinde ich als unpersönliche Kälte. Nein, was ich sehe enttäuscht mich sehr.
Aus dem winzigen Kassenhäuschen in der rechten hinteren Ecke des Raumes kommt Ede, ganz in Schale geschmissen, sofort auf mich zu. Als der fein gemachte, nur 1,m69 große Kleiderschrank vor mir steht, muss ich nicht nur aus Freude darüber grinsen, ihn zu sehen. Mit seinem maßgeschneiderten Anzug sieht er komisch aus. Der Boxer gefällt mir in legerer Kleidung besser. In Schlips und Kragen gezwängt sieht sein Hals etwas zu kurz und dick geraten aus. Die Speckrolle, die über den Kragenrand quillt, muss bei seinem Stiernacken von hinten noch gewaltiger aussehen.
Auf dem kräftigen, breiten Schädel werden oberhalb der Stirn die Haare auch schon etwas dünn. Er hat sie in sorgfältigen Streifen gekämmt. Sein liebes, breites Gesicht mit den kleinen, wässrig-hellen Augen, bemüht sich um ein dezentes Lächeln. Er war ganz in vornehm gehalten. Also der Umgebung angepasst.
„Liebes, wie nett, dass Du mich besuchst. Was führt Dich denn hierher? Grüß Dich, Nina. Na, wie gefällt Euch der Laden? Mal was ganz anderes, was? Das ist ja ein Zufall. Wäret Ihr zehn Minuten früher gekommen, hättet Ihr den Reutlinger noch getroffen. Der war auch vorhin hier. Darf ich Euch was zu trinken anbieten?“ fragt er mit seiner heiseren Stimme, während er uns nacheinander die tellergroße Hand reicht.
Nun muss ich mir das Lachen echt verkneifen. Während er sprach, hatte ich fasziniert auf seinen Hals gestarrt. Der Kragen scheint wirklich zu eng zu sein, denn beim Reden treten seine Halsschlagadern hervor. Deshalb rechnete ich immer damit, dass der obere Kragenknopf gleich platzen würde. Doch noch hält er.
Nina enthebt mich der Antwort: „Ruth wollte unbedingt heute mal aus dem Haus. Die letzte Zeit hat sie wie eine Gefangene gelebt. Dass der Reutlinger hier war, wissen wir. Er war nämlich vorher bei uns.“
Sauer werfe ich ihr einen strafenden Blick zu. Dass die immer so vorlaut sein muss, denke ich.
Laut sage ich: „Wegen dem Freddi bin ich aber nicht gekommen, Wolfram. Ich wollte mit Dir sprechen. Hättest Du einen Moment Zeit für mich? Mir könntest Du einen Kaffee bestellen.“
Er reagiert schnell und zuvorkommend: „Selbstverständlich habe ich Zeit für Dich. Wir setzen uns am besten in die Halle, dort sind wir ungestört. Warte, erst bestelle ich den Kaffee für Dich. Was trinkst Du, Nina?“ fragt er aufmerksam.
Sie bestellt das gleiche. Als er sich ein paar Schritte entfernt hat, um die Anweisung zu geben, bitte ich meine Freundin: „Sei so lieb und bleibe hier. Ich möchte mit Ede alleine sprechen. Es wird sicher nicht lange dauern.“
Sie verzieht beleidigt das Gesicht und mault: „Mein Gott, mach es doch nicht so geheimnisvoll. Was soll ich denn hier dumm rumstehen? Wieso kann ich denn nicht dabei sein?“
„Weil ich es nicht will! Du musst Deine Nase doch nicht in alles stecken. Deine Neugierde wirst Du bis später zügeln müssen. Ob es Dir passt oder nicht!“ weise ich sie streng in ihre Schranken.
Ihre beleidigte Miene übersehend, wende ich mich dem mageren Spielgeschehen zu, dabei denke ich: manchmal kannst Du einem aber wirklich auf die Nerven gehen. Von vornehmer Zurückhaltung und Taktgefühl hast Du in Deiner Kinderstube aber gar nichts mitbekommen. Kein Wunder, das die verkaufen wollen, denke ich. Hier ist es ja noch dünner als bei mir. Wenn der Reutlinger die Sache in die Hand nimmt, wird sich die Lage sicher bald ändern. Ich kenne ja seine Art Geschäfte aufzubauen. Er scheut weder Kosten noch Mühe.
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