Aus dem Saal kommt Micki in seinem federnden Gang auf mich zu. Vor mir stehend sagt er mit deprimiertem Tonfall: „Ich hoffe, Du hast wenigstens was eingekauft. Damit ich bei Dir Morgen was zum Frühstück bekomme. Leider hat Ingo heute auch keine Zeit. Also muss ich diese Nacht bei Dir bleiben. Was hast Du denn Leckeres im Kühlschrank?“ Kopfschüttelnd wehre ich ab: „Nein, Micki. In meinem Diätschuppen laufen sich die Mäuse Blasen, im Kühlschrank. Der ist meist leergefegt. Ist eh nicht nötig, der Wachdienst. Nina und ich gehen haben heute Abend noch etwas vor. Dann brauche ich Dich nicht. Mach Dir keine Sorgen, ich schlafe anschließend bei Nina. Du kannst in Ruhe zu Deiner Kleinen gehen. Wir passen schon auf. Wenn wir zurückkommen wird es sowieso schon hell sein. Also was soll passieren? Du brauchst uns nicht zu begleiten, amüsiere Dich ruhig.“
Er kann seine Freude und Erleichterung kaum verbergen. Trotzdem fragt er: „Glaubst Du wirklich, dass Du mich nicht brauchst? Hast Du keine Angst? Du kannst ruhig ehrlich sein. Ich fahre auch mit Euch, wenn Du willst.“ Abwehrend schüttle ich den Kopf: „Nein, lass ruhig. Ich brauche heute niemanden von Euch. Wo ich hinfahre, brauche ich keinen Aufpasser, da kann mir nichts passieren. Es ist schon in Ordnung so“.
Während er davon trottet, denke ich: traurig, dass es so weit kommen musste. Dabei hatte doch alles so vielversprechend angefangen.
Es war vor mehr als fünf Jahren im Oktober. Damals führte ich ein unruhiges Leben. Vierzehn Tage war ich gerade aus Belgien zurück, durch die Aufgabe des dortigen Casinos mal wieder arbeitslos. Diesen Zustand wollte und musste ich schnell wieder ändern. Deshalb hatte ich unseren ehemaligen Geschäfts-Partner Klaus bequatscht, sein illegales Casino in unserer Stadt wieder zu öffnen. Erst wollte er nicht so recht. Ich hatte es dann doch geschafft, ihn zu überzeugen, nachdem er kurz gezögert hatte. In der illegalen Zeit war es aber nicht so einfach Personal zu kriegen. Klaus überließ mir gerne die Organisation. Er war schon immer ein faules Schwein gewesen.
Also hatte ich Axel und mich als Croupiers vorgeschlagen. Klaus war einverstanden, wollte jedoch einen Portier haben. Er hatte ganz gegen seine früheren Leck-mich-Einstellungen Angst bei offener Tür zu arbeiten. So wollte er sich vor dem Zugriff der Behörden schützen. Der Bekannte, der sich für diesen Job schon deshalb gut eignete, weil er die Polizei-Visagen der Umgebung besonders gut kannte, war für Klaus nicht sofort erreichbar. Also musste ich mich um einen Aushilfs-Portier kümmern. Ich schlug Franco vor, weil der mich schon vor langer Zeit auf eine solche Tätigkeit angesprochen hatte. Er war zwar als Saal-Ordner in der größten Diskothek ganz in der Nähe tätig, hatte aber dort nur 4 Arbeitstage. Auf meinen Anruf reagierte er erfreut und sagte sofort zu. Klaus und er vereinbarten die wöchentliche Beschäftigung von 2 Tagen. Inzwischen hatte mein Chef seinen Bekannten für die anderen 5 Tage verpflichtet. Für mich begann eine quälende Zeit. Während meiner 3-jährigen Branchen-Zugehörigkeit hatte ich bis dato nie am Tableau gearbeitet, weil ich es nicht nötig hatte. Nun aber war ich gezwungen, diese Tätigkeit zu erlernen, außerdem wollte ich das selbst gerne. Meine dann folgende Lehrzeit am Tableau erschwerten Franco und Klaus mir sehr. Die Beiden amüsierten sich köstlich, mich nervten sie schrecklich. Was blieb mir übrig? Ich musste da durch! Da ich mit Klaus während unserer Zusammenarbeit in Belgien Streitigkeiten gehabt hatte (ich hatte ihm nach einer kurzen, ermüdenden Affäre öffentlich ziemlich grob den Laufpass gegeben) waren seine Nörgeleien verständlich. Ich ließ mich von Klaus nicht aus der Ruhe bringen.
Auf Franco jedoch war ich kotzsauer. War das der Dank für meine Vermittlung? Diese Wanze! Deshalb war es für mich eine Erleichterung wenn Dieter Dienst hatte. Mit dem verstand ich mich prima, ja er flirtete mit mir und er gefiel mir. Er war ein Lichtblick in der schwierigen Lehrzeit. Meine Flirterei kommentierte der Italiener mit unverständlichen, eigenartigen Bemerkungen, wie: ich wäre blind. Oder: es gäbe vielleicht Bessere! Was das wohl sollte?
Nach Feierabend gingen wir des Öfteren noch alle zusammen auf die Rolle. Meist ging Klaus mit und auch einige Spieler. Dabei markierte Klaus immer den großzügigen Chef, der er eigentlich gar nicht war. Ab und zu gesellte auch Franco dazu. Da ich leicht sauer auf den war, ging ich ihm, bei diesen Anlässen aus dem Weg. Eines Abends, wir saßen wieder in fröhlicher Runde in unserem Stammlokal, kam ein stadtbekannter Rechtsanwalt, der auch mich einmal vertreten hatte, betrunken zur Tür herein. Er war in betrunkenem Zustand nicht gerade ein vornehmer Zeitgenosse. In unfeiner Art und Weise versuchte er mich anzumachen. Als Franco nun merkte, wie unangenehm mir dies war, zog er mich auf seinen Schoss und bot mir seinen Schutz an. Das war zwar auch nicht in meinem Sinne, jedoch angenehmer, als der besoffene Anwalt. Arglos wie ich war, dachte ich mir nichts bei dieser Geste. Ich ging auf Francos Flachserei ein. Mitten in unserer vergnügten Stimmung schloss das Lokal vormittags um sieben die Pforten. Da wir alle noch nicht nach Hause gehen wollten, begehen. In dem nur mäßig besetzten Frühstücks-Lokal setzte Franco sich wie selbstverständlich neben mich. Dabei legte er gelassen den Arm um meine Schultern. Als mein Chef das sah, meinte er leicht gereizt, ich solle den Mann in Ruhe lassen, der wäre glücklich verheiratet. Franco entgegnete ihm, verheiratet sie richtig, ob glücklich, das könne er, Klaus, doch nicht beurteilen. Daraufhin schimpfte Klaus, er dulde keine Knutscherei unter seinem Personal. Damit reizte er meinen Widerstand. Ich erklärte, noch hätten wir nicht geknutscht, aber ich könnte es ja mal versuchen, ob Franco das überhaupt wolle. Nur um mich meinem Chef zu widersetzen und diesen zu ärgern, küsste ich Franco. Diesem gefiel das offensichtlich sehr gut, denn als ich ihn loslassen wollte, hielt er mich fest und dehnte die Sache aus. Kopfschüttelnd gab Klaus, welcher auch leicht angetrunken war, seinen Einspruch auf.
Als wir dann später nach Hause aufbrachen, bat Franco mich, mit in dem Auto seines Freundes zu fahren. Das lehnte ich ab und stieg bei meinen beiden Freundinnen ein. Hilda, welche den PKW fuhr, bat ich, die Verfolger abzuhängen. Ich erklärte den beiden, dass ich keinen Bock auf den Italiener hätte. Ich hätte mir nur einen Spaß gemacht, um Klaus zu ärgern. Als die beiden mir dann erzählten, Franco wäre schon lange scharf auf mich, wehrte ich lachend ab, er habe keine Chance.
An diesem Nachmittag wurde ich durch penetrantes Klingeln an der Wohnungstür unsanft aus dem Schlaf gerissen. Meine Nachbarin wies mich auf den von außen steckenden Schlüssel in der Eingangstür hin. Erschrocken stellte ich fest, dass ich am Vorabend etwas zu viel getrunken hatte. Als ich dann verkatert am frühen Abend zum Dienst erschien, hielt Klaus mir einen beleidigten Vortrag. Ich wäre ein dreistes, versoffenes Frauenzimmer. Ob ich denn vor gar nichts halt machen würde. Jetzt würde ich mich schon mit verheirateten Männern abgeben. Noch dazu mit Ittakern! Er hätte nicht gewusst, dass ich so verkommen sei. Ein Graubacken-Liebchen! Unglaublich!
Zornig gab ich Kontra! Lieber mit ‚nem Ittaker, als mit einem gefühllosen Ekel wie ihm, der doch alles bumsen würde, was nicht schnell genug auf die Bäume käme, er wäre doch nur sauer, weil er bei mir abgeblitzt sei! Der Gedanke an seine beschissenen Unterhosen und seinen Urschrei beim Orgasmus verursachten bei mir einen Schauer des Abscheus, nicht der Wonne! Als ich ihm dann noch seine Vorliebe für Rudelbumsen im Puff vorwarf und dass mich Gurken-Freier abstoßen würden, war die miese Stimmung perfekt. Oft genug hatte er von seinen ausschweifenden, langen Sitzungen im Freudenhaus erzählt: er habe sich mal wieder richtig durchpusten lassen. Wenn er dann gefragt wurde, was seine Lebensgefährtin dazu sagen würde, wenn sie dies erführe, lachte er stets: mein Pimmel ist doch kein Stück Seife, der nutzt doch nicht ab! Er hatte es nötig den Moralisten zu spielen! An diesem Abend was das Arbeitsklima explosiv!
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