Nach zehn Spielen habe ich den Eindruck, dass ich meinen Platz beruhigt verlassen kann. Auf Perücke’s Hand ist Zwinker’s Spiel rückläufig. Unentschlossen schlendre ich um die Tableaus herum. Holger lümmelt sich gelangweilt auf einem Sessel herum und winkt mir von der Polster- Ecke aus zu. Betont langsam komme ich seiner Aufforderung nach und setze mich neben ihn.
Spöttisch grinsend fragt er: „Na, hast Du Deine Verkaufs-Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen? Deshalb hast Du Dich also am Freitagabend selbständig gemacht und uns abgeschüttelt! Du hast meine Information ja sehr schnell zu Deinem Vorteil ausgewertet. Mich wundert nur, dass Du nicht über Freddi’s und Ede’s Gesprächsgründe geplaudert hast.“
Ärgerlich widerspreche ich: „Was heißt eigentlich abgeschüttelt? Außerdem habe ich von Dir gar nichts ausgewertet! Der Reutlinger hat mir zwar nicht gesagt, was er von Ede wollte, aber ungefähr konnte ich mir das schon selbst denken. Schließlich kenne ich Freddi lange genug, um zu wissen, dass er nicht nur spazieren fährt. In einem hast Du allerdings recht, Du hast mich auf die Idee gebracht. Ich dachte mir, wenn die ‚Firma’ zwei Geschäfte abgibt, sind sie vielleicht an einer Beteiligung bei mir interessiert .“
Selbstsicher erzählt er mir sein Wissen: „Da Du ja keine Tratschtante bist, kann ich Dir ja das Neueste berichten. Den Verkauf des Ladens in Recklinghausen haben sie abgelehnt. Nur das Luisa wird der Reutlinger übernehmen. Aber was ist denn nun, bist Du mit ihnen klar gekommen?“
Distanziert antworte ich:“ Ja, wir sind einig geworden.“ Neugierig fragt er: „Machst Du jetzt ein großes Geheimnis aus den Einzelheiten? Oder darf es ein Freund erfahren? Ede kann ich zwar auch fragen, lieber möchte ich es aber von Dir hören. Wenn ich Dir schon den Anstoss zu dieser Entscheidung geliefert habe, will ich auch das Resultat aus erster Quelle erfahren. Also erzähle!“
In sparsamen Worten berichte ich bereitwillig über den Geschäftsabschluss nur das Nötigste. Den Kaufpreis lasse ich bewusst unter den Tisch fallen.
Er besitzt Intelligenz genug, mich nicht auf die Finanzen anzusprechen. Abschließend will er noch wissen: „Mir ist zwar nicht ganz klar, warum Du so schnell neue Partner gesucht hast, aber ich denke, dass Du in diesen Leuten die richtigen gefunden hast. Wann soll die Sache denn starten? Steht der Termin schon fest?“
Unlustig erwidere ich: „Gleich nach der Renovierung. Übermorgen werde ich erfahren, wann mein Ex-Mann die Arbeit machen kann. Während hier gearbeitet wird, werde ich erst mal Urlaub machen. Erholung hab ich dringend nötig!“
Ironisch lacht er: „Du bist ja richtig familiär! Hast Du Deinen Ex vorgeschlagen? Gab es unter den Zockern keinen Anstreicher?“
Über seine Flachserei ärgerlich antworte ich ablehnend: „Doch aber wenn ich schon gutes Geld für eine Arbeit bezahle, will ich auch vernünftige fachmännische Ausführung haben. Und das bekomme ich bei meinem Ex. Er macht wirkliche Meister-Arbeit. Früher hat der Bodo immer alle Casinos gemacht. Der hat zwar seinen Verdienst im gleichen Laden wieder verzockt, aber dafür ließ die Arbeits-Ausführung auch einiges zu wünschen übrig. Und nachdem der uns so link weggeputzt hat, will ich ihm den Auftrag nicht geben. Sieh Dich doch nur mal hier um, dann kannst Du sehen, warum ich eine fachmännische Ausführung haben möchte. Hier waren italienische Hobby-Handwerker, wegen Sparmassnahmen am Werk. Sieht doch grausig aus. Oder nicht? So was möchte ich nicht noch einmal und meine neuen Partner sowieso nicht. Wenn schon, dann soll der Laden ordentlich gemacht werden !“
Schmunzelnd flachst er: „Nun brauchst Du ja auch nicht mehr auf ein paar Mark mehr oder weniger zu achten, oder? Du wirst sicher einen guten Preis erzielt haben! Meister-Arbeit, Urlaub, Du musst ja wieder frisch sein.“
Das hättest Du wohl gerne gewusst, denke ich, laut sage ich grinsend: „Ich bezahle die Kosten für die Renovierung nicht. Das ist nämlich auch ein Teil unserer Vereinbarung. Außerdem konnte ich mir schon immer leisten in Urlaub zu fahren. Aber vielleicht bezahle ich meine Reise gar nicht? Es kann doch möglich sein,dass ich eingeladen wurde. Diese Möglichkeit kannst Du doch nicht ausschließen, oder?“
Aus seiner Reaktion kann ich nicht feststellen, ob er mich necken oder herausfordern will: „Du willst mir doch nicht allen Ernstes erklären, dass Du ohne mich zu fragen, mit. einem Mann Urlaub machen würdest? Das bin ich nämlich von meinen Frauen nicht gewöhnt. Ich würde es auch nur erlauben, wenn es sich finanziell für mich lohnen würde!“ mit zusammengekniffenen Augen sieht er mich gespannt an.
Gelassen und selbstsicher gebe ich kontra: „Gut, dass ich nicht zu ‚Deinen Frauen’ gehöre! Es könnte mir vielleicht mal passieren, dass ich vorübergehend als zweite Geige fungiere! Aber in einem Orchester würde ich nie mitspielen! Das liegt mir nicht! Du musst wissen, ich kann mich nicht teilen und ich kann nicht teilen! Das ist Dir doch klar, Holger. Oder nicht?“ betont erst sehe ich ihn an und hoffe, ihm damit seine besitzergreifenden Gedanken und Sprüche endgültig ausgetrieben zu haben.
Doch er blickt mir herausfordernd und unbeeindruckt in die Augen, dabei sagt er ruhig und bestimmt: „Das haben schon viele gesagt und sich dann doch anders entschieden. Warten wir es ab!“
Spontan widerspreche ich sicher: „Ich nicht!“ und erhebe mich schnell. Wortlos wende ich mich ab und gehe zum Kessel.
Wie immer überfliegen meine Augen, in alter Gewohnheit, die Tischlage. In der vergangenen halben Stunde ist Zwinkers Vorsprung wesentlich geringer geworden. Während ich neben Perücke stehenbleibe, um einen Moment, zuzusehen, landet der Spieler zwei Volltreffer hintereinander. Frustriert knurrt Perücke mir leise zu: „Geh lieber wieder. Du bringst die Seuche!“ dabei grinst er mich verlegen an.
Amüsiert schmunzelnd, über seinen Aberglauben, antworte ich: „Ich gehe ja schon.“ und füge noch leiser hinzu: „Aber mach ihn ganz sauber, hörst Du? Damit es sich auch lohnt!“
Ich schlendre gelangweilt nach vorne und lasse mich auf einem der Automaten-Sessel nieder. Mary bringt mir unaufgefordert einen Kaffee. Dankbar lächle ich ihr geistesabwesend zu.
Irgend etwas an Holger’s Art bereitet mir Unbehagen. Wahrscheinlich weil er mich in manchen Dingen an Franco erinnert. Auch Franco wollte immer und überall Mittelpunkt sein. Wenn er einen Raum voller Menschen betrat, blieb er grundsätzlich mal erst breitbeinig mitten im Raum stehen. Holger macht das auch! Nach dem Motto: seht her, da bin ich! Außerdem reagierte Franco aggressiv und beleidigt, wenn nicht gleich jeder auf ihn aufmerksam wurde oder ihn nicht sofort als starken Mann akzeptierte. Obwohl er einen Verstand wie ein Spatz hatte, gab er sich immer allwissend. Egal was, und wer ihm was erzählte, lautete seine Antwort: ich weiß!
Auch damals, als der Reutlinger mich mit einem besonderen Auftrag aus Amsterdam losschickte, war der Italiener kotzsauer. Für Franco hatte der Reutlinger keine Verwendung, er übersah ihn einfach! Auf der Heimfahrt schimpfte Franco wütend über meinen Brötchengeber. Der wäre doch in seinen Augen etwas blöd. Es wäre doch ein Schwachsinn, ausgerechnet einer Frau diesen Auftrag zu geben. Nämlich durch Deutschland zu reisen, um Karten-Casinos aufzukaufen. Das wäre doch ein Auftrag für einen Mann wie ihn gewesen. Schließlich hätte eine Frau keine Ahnung, mit welchen Summen solche Läden gehandelt würden. Besonders ich nicht. Aber ihm wäre schon klar, warum der Reutlinger ihn nicht damit beauftragt habe. Nur aus Angst, dass er, Franco, ihm Konkurrenz machen könne. Eines Tages würde er das sowieso tun. (Wie denn?) Genervt über Francos maßlose, übertriebene Selbstüberschätzung schwieg ich.
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