Obwohl ich den Tadel sehr leise ausgesprochen hatte, bekam Rico, gleich neben Hilda stehend, alles mit. Er kann sich ein schadenfrohes, hämisches Grinsen nicht verkneifen. Nur die beiden Namensvettern hatten sich nicht ablenken lassen. Sie stehen beieinander und beratschlagen. Das gibt mir die Gelegenheit die beiden unterschiedlichen Männer miteinander zu vergleichen.
Altersmäßig um die 50, sind sie von der Statur her total gegensätzlich. Während der Kölner zur Fülle neigt, was seine bewegliche Energie jedoch keineswegs einschränkt, ist Perücke ein hagerer-knochiger Kerl. Beide tragen eine Brille, doch das hat bei jedem von ihnen eine andere Wirkung. Des Kölners dunkle Hornbrille macht das wohl früher mal schöne, männliche Gesicht mit dunklem-graumeliertem, noch vollem Haar, markant-interessant. Durch die normalen Gläser blicken kluge, graublaue Augen, denen ein genauer Betrachter eine leichte Verschlagenheit ansehen kann. Was aber seine sympathische Ausstrahlung nicht beeinträchtigt. Durch seine ruhige-verbindliche Art und dem gepflegten Äußeren, wirkt er eigentlich solide. Leute, die ihn nicht mögen, hat er sicher schon mal angepumpt und sich mit der Rückzahlung schwer getan.
Den dünnen Franz macht, die dunkle, viel zu große, Brille mit den dicken Gläsern, auf dem schmalen-kantigen Gesicht, mit der großen Nase, direkt hässlich. Weil der rotblonde-sehnige Mann seine Halbglatze zu vertuschen versucht, indem er eine Haarsträhne so lang hat, damit er diese bis in die Stirn kämmen kann, wirkt seine Frisur lächerlich. Er hat zwar die kahlen Stellen überdeckt, sein Haar aber so ungeschickt gekämmt und mit, deutlich sichtbar, viel Haarspray festgeklebt, dass es aussieht, als trüge er eine Perücke. Das hat. ihm diesen Spitznamen eingebracht. Durch die dicken Gläser wirken seine sowieso großen Augen noch Größer, vorstehend und neugierig. Als Kind hatte ich mich vor Menschen mit derartig dicken Brillen gefürchtet. Deshalb war mir auch Perücke anfangs unsympathisch gewesen, was er auch vielen Gästen auf Anhieb war und oft blieb. Trotz unterschiedlicher äußerer Erscheinung haben die beiden Namensvettern viele Gemeinsamkeiten, wie Zocken, Eigensinn, aber auch Fleiß und Zuverlässigkeit. Ob sich die beiden mögen, habe ich nie ergründen können. Interessiert frage ich in deren Richtung: „Wie sieht es aus? Seid Ihr fertig? Wie steht, der Kessel?“
„Nicht schlecht! Wir haben nur noch drei Zahlen. Er ist auf jeden Fall besser als gestern. „erwidert der Kölner.
Umständlich putzt Perücke seine Brille und fragt erstaunt: „Willst Du ihn denn so lassen? Wenn wir die Einstellung jetzt noch über die Achsen ausgleichen, können wir wahrscheinlich ein noch besseres Ergebnis erzielen. Sollen wir das mal eben probieren? „dabei sieht er mich fragend an, obwohl er mit dem Kölner gesprochen hatte. Ich nicke zustimmend.
Zweifelnd meint der Angesprochene gedehnt: „Wenn Du meinst. Probieren können wir es ja mal. Komm ich drehe an den Schrauben, kontrolliere Du.“ Umständlich kriecht er unter den Tisch. Diensteifrig beugt Perücke sich über die Waage. Die Maschinen-Einstellerei geht weiter.
Als ich mich in dem von wartenden Gästen inzwischen gut gefüllten Vorraum umsehe, stelle ich fest, dass mein Vater wieder gegangen ist. Auf meinen suchenden Blick bestätigt Mary: „Wenn Sie Ihre Vater suchen, ist es vergebens. Der ist schon nach Hause.“
Nun habe ich ganz vergessen mit ihm über die heutige Besprechung zu reden, denke ich. Warum hat er es denn so eilig? Auf ihn wartet doch niemand. Na ja, wenn ich ihm das fertig Schriftstück zur Unterschrift vorlege, ist es noch früh genug, ihm darüber eine Erklärung abzugeben. Wichtiger ist die Renovierung. Zielstrebig gehe ich zum Telefon und wähle die Nummer meines Ex.
Robert meldet sich mit seiner sonoren Stimme: „Broucq.“
„Hier auch. Grüss Dich! Ich hätte eine dringende Arbeit für Dich! Kannst Du noch etwas annehmen?“ frage ich ohne Umschweife.
„Wenn Du schon dringend sagst, sehe ich schwarz. Um was handelt es sich denn? Große oder kleine Arbeit? Ich habe im Moment sehr gut zu tun, das sag ich Dir gleich!“ entgegnet er prahlerisch.
Unbeeindruckt erkläre ich die Sache: „Das Casino muss gemacht werden und zwar kurzfristig. Das wirst Du doch sicher zwischenschieben können? Komm doch Morgen mal vorbei und sieh es Dir an. Dann können wir einen Termin festlegen. Um wie viel Uhr hast Du denn Zeit?“
Zögernd antwortet er: „Lass mich mal in meinem Terminbuch nachsehen, Momentchen. Also morgen habe ich keine Zeit, Übermorgen ginge. Wann willst Du Deinen Laden denn gemacht haben? Doch nicht gleich? Ich bin ziemlich ausgebucht!“
Das ich ihm seine Überlastung nicht so recht glaube, lasse ich mir nicht anmerken. Er neigte immer schon zur Angabe und zu Übertreibungen. Also erwidere ich gnädig: „Komm doch mal erst zur Besichtigung. Wir reden dann über den Termin. Für mich wirst Du doch Deine Termine ein bisschen um basteln können, oder?“ Also Morgen?“ Durch das Telefon höre ich ihn erneut in seinem Terminbuch blättern. Amüsiert denke ich: typisch Robert, ganz auf Wichtig.
Nach einer kleinen Pause sagt er entschieden: „Beim besten Willen, Morgen geht es nicht. Keine Zeit! Ganz unmöglich! Übermorgen passt mir besser. Um drei wäre gut. Danach bin ich auch schon wieder voll ausgebucht!“! Geduldig entgegne ich: „Nun gut. Übermorgen fünfzehn Uhr. Bis dann.“ Grinsend denke ich: er hat sich nicht verändert. Seine Hochstapelei und Stöhnerei wegen Arbeitsüberlastung haben mich damals schon sehr gestört. Arbeit war ja nie seine Stärke. Er hat es schon immer bedauert, nicht als Sohn reicher Eltern geboren worden zu sein. Beruf Sohn wäre ihm angenehmer gewesen, anstatt sich seinen Lebensunterhalt als Handwerker verdienen zu müssen, würde er viel lieber eine süßes Lotterleben führen. Pech für ihn!
Durch die Schalter-Öffnung der Kasse sehe ich die Kugel laufen. Die wartenden Zocker strömen wie auf Kommando in den Saal. Einige lassen sich auf den Stühlen am Tableau nieder, die anderen bleiben stehen, um den Lauf der Kugel zu beobachten. Da erst Test-Würfe gemacht werden müssen, sitzen die Croupiers noch nicht an ihren Plätzen. Geduldig warten die Spieler auf das Startzeichen. Ich greife wieder zum Telefon und wähle die Nummer des Billard-Cafés. Während ich noch darauf warte, dass sich am anderen Ende jemand meldet, tritt ein bekannter Gast an den Schalter. Ich begrüße ihn erfreut. Lange schon ist er mir als großer Zocker bekannt. Er ist Besitzer eines großen Zeitungsvertriebes. Durch sein Nervenleiden, welches sich durch ständiges Zucken seiner Gesichts- und Augenmuskel bemerkbar macht, hat er sich den Spitznamen ‚Zwinker’ eingehandelt. Ein guter, aber leider seltener Kunde. Selten, weil Klaus sich diesen dicken Fisch geschickt an Land gezogen hat.
Als sich die Bedienung des Cafés meldet, verlange ich Heinrich zu sprechen. Sie bittet mich höflich um Geduld. Als hätte er einen Tausend-Meter-Lauf hinter sich, kommt seine Stimme atemlos: „Ja, Langen?“ „
Die Ruth hier. Grüß Dich Heinrich. Der Maler kommt Übermorgen um fünfzehn Uhr. Das wollte ich Dir nur kurz sagen. Ist Dir das recht?“ „Übermorgen um drei. Alles klar! Ich bin pünktlich da. Bis dann.“ antwortet er hastig und das Gespräch ist unterbrochen. War der aber eilig, denke ich verwundert. Kopfschüttelnd lege ich auf.
Rico hat auf dem Croupier-Stuhl Platz genommen. Das Spiel kann beginnen. Sofort kommen mehrere Spieler an die Kasse geeilt. Zwinker macht seinen ersten Einsatz. Neidisch sehen die kleinen Spieler zu, wie er seine Zweier-Jetons in Türmen auf die Zahlenfelder setzt. Gleich beim ersten Spiel gewinnt er. Aus Zweihundert macht er Fünfhundertsechsundsiebzig Mark. Mir ist sofort klar, dass es mit ihm heute wieder einen langen Kampf geben wird.
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