Klaus hingegen, den ich doch immer als Freund empfunden hatte, war mir heute schon wieder aggressiv-abweisend vorgekommen. Was sollte dieser bevormundende Ton? Wieso schlug er mir vor, zu Hause zu bleiben? Was ging ihn das an, wie ich mein Leben führe? Geradezu herablassend und überheblich hatte er sich mir gegenüber verhalten. Gerade er hatte es nötig überheblich zu sein. Ha! Für mich war er immer ein fauler Schmarotzer, der nur mit viel Glück bisher die richtigen Partner gefunden hatte, deren Arbeitseinsatz und Ehrlichkeit er seinen Reichtum (mit dem er auch noch prahlte) verdankte. Auch ich hatte vor Jahren zu diesen Leuten gehört, die ihm aufs Pferd geholfen hatten. Dass ich mich dann von ihm distanziert hatte und alleine doch ganz schön weit gekommen war, schien ihm nicht zu schmecken. Es hatte den Anschein, dass er mir das bis heute nicht verziehen hatte. Unruhig und mit herabgezogenen Mundwinkeln auf dem Stuhl sitzend, hatte er den Eindruck erweckt, dass ihm die ganze Besprechung lästig sei. Mit Heinrich hatte ich heute, obwohl ich ihn seit Jahren kenne, das erste Mal ein Gespräch geführt. Dabei habe ich ihn als jovialen, freundlich-ausgeglichenen, scharfsinnigen Menschen kennengelernt. Schon jetzt ist mir klar, sollte es in der Partnerschaft irgendwann einmal Probleme geben, Heinrich wäre für mich der einzig richtige Ansprechpartner. Ich hatte das Gefühl, dass er ein sachlicher, gerechter und auch verständnisvoller Mensch ist. Er muss unter dem Sternzeichen der Waage geboren sein. Immer ausgleichend und abwägend.
Es ist schon fast vier Uhr, als ich endlich mein Ziel erreicht habe. Als ich die Casino-Tür öffne, sehe ich dass der Kessel noch fehlt. In der Mitte der Spiel-Anlage ist ein gähnendes großes Loch. Das Personal hat sich an der Theke, versammelt, nur der Kölner fehlt.
„Tag zusammen!“ rufe ich und marschiere direkt auf Perücke zu.
„Hat Franz schon angerufen? Wieso ist der noch nicht zurück? Wir haben vier Uhr! Wie lange soll das noch dauern?“
Achselzuckend antwortet der Angesprochene: „Ich habe keine Ahnung! Ich war extra eine Stunde früher hier, um ihm zu helfen. Bis jetzt hat er sich noch nicht gemeldet. Ruf doch mal beim Fritz an, frag mal, ob der Franz noch da ist. Wenn ja, kannst Du direkt den Seeboldt zusammenscheißen, weil er uns so lange warten lässt. Du kennst doch den schlampigen Laden vom Fritz!“
Wortlos hat Mary mir ein Glas Kaffee hingestellt. Ohne die freundliche Geste zu beachten, will ich, sauer, zum Telefon eilen, als sich hinter mir die Tür öffnet. Völlig Außer Atem bückt sich der Kölner und schiebt das Holz-Klötzchen unter die weit geöffnete Tür.
Dann verlangt er in unsere Richtung rufend: Fasst mal mit an Jungens!“ und eilt sofort wieder hinaus. Während Perücke wortlos, in seiner ungelenken Art losmarschiert, mault Rico, unser italienischer Mitarbeiter: „Mama mia, de Keessel isse für misch zu swer. Dottore att mische swer ebben verbotten! Chefina, lasse Ilda anfasse.“
Ärgerlich, über sein Gejammer, ziehe ich die rechte Augenbraue hoch. Bevor ich eine abfällige Bemerkung machen kann, spricht die Dicke in ihrer direkten Art meine Gedanken aus: „Du hast ja eine nette Art Dich zu drücken. Der Doktor hat Dir auch Rauchen und zuviel Fressen verboten, trotzdem machst Du beides. Aber lass mal, bevor Du uns hier noch zusammenbrichst oder die Maschine runterfällt, fass ich lieber an. Faules Schwein!“ Sie geht kopfschüttelnd hinter Perücke her.
Innerlich muss ich ihr recht geben. Obwohl ich nichts gegen unseren Croupier Riccardo habe, gehört auch er zu den typischen faulen, schlechterzogenen Italienern. Was Fressen, Saufen und Rauchen betrifft, hauptsächlich wenn es umsonst ist, ist er immer der Erste und Gefrässigste. Jeden Samstag haben wir das zweifelhafte Vergnügen uns beim Büffet davon zu überzeugen. Unglaublich, was der essen kann! Dabei müsste er sich wirklich mässigen, denn mit seinem ‚Raucherbein’ ist es so schlimm, dass die Ärzte ihm, nach mehreren wochenlangen Klinkiaufenthalten und Kuren, das Bein mangels Besserung schon abnehmen wollten. Bei ihm kann man nicht daran vorbei sehen, dass ihm Bescheidenheit und Fleiß nicht gerade mit der Muttermilch verabreicht worden sind. In Gedanken merke ich Rico für die vorgesehene Umbesetzung vor.
Keuchend haben die drei Fleißigen den 2 Zentner schweren Holzkessel hereingetragen. Im Durchgang stehend sehe ich zu, wie sie die Maschine über das Tableau hinweg auf das stabile Stahl-Dreibein ziehen und in die richtige Position rücken. Bevor ich in den Saal gehe, beauftrage ich Mary: „Sorgen Sie bitte dafür, Mary, dass keine Gäste in den Saal kommen. Bewirten Sie die Leute mit Kaffee und Kuchen, damit sie beschäftigt sind. Und erklären Sie bitte jedem Gast, dass wir heute erst später beginnen, weil wir den Kessel erst wieder einstellen müssen. Dabei können wir keine im Weg stehenden Zuschauer gebrauchen. Bitte sagen Sie das jedem deutlich, energisch aber freundlich. Ich verlasse mich auf Sie.“ Mary nickt bestätigend.
Plötzlich fällt mir auf, dass ich Nina noch nicht gesehen habe. Sie wird doch nicht die Frechheit besitzen, heute schon wieder zu spät zu kommen? Deshalb frage ich erstaunt: „Mary, wo ist Nina eigentlich?“ Aus der Kasse kommt spontan die Antwort: „Entschuldigung Chefin. Das habe ich ganz vergessen. Nina hat angerufen, sie hat sich krank gemeldet. Sie liegt mit einer Erkältung im Bett.“
An Marys ironischem Grinsen sehe ich, dass wir die gleichen Gedanken haben. Spöttisch sage ich: „Oh, Madam spielt die beleidigte Leberwurst? Sie wird wohl ihr angekratztes Ego aufpolieren, anstatt eine Grippe zu bekämpfen. Aber das macht nichts. Wenn sie glaubt, damit kann sie mich ärgern, hat sie Pech gehabt. Sie ist nicht unersetzlich.“ „Wer ist unersetzlich? Von wem sprichst Du Chefin?“ will Hilda wissen. „Von Nina. Sie macht meiner Meinung nach auf beleidigt. Es hat ihr wohl gestern nicht gepasst, dass ich sie zurecht gestaucht habe. Und daran kann man auch sehen, dass es Zeit wird, dass hier mal ein frischer Wind weht. Manche Leute glauben ja wirklich, sie können machen was sie wollen. Das ist allerdings ein großer Irrtum! Wer sich nicht in unsere Gemeinschaft einfügen kann, wird bald in unserem Etablissement keine lange Überlebenschance mehr haben. Hier wird sich einiges ändern!“ Prompt erwidert Hilda: „Bei Nina ist das doch Deine eigene Schuld. Du hast ihr doch, lange genug, einige Unarten durch gehenlassen. Deshalb musst Du Dich jetzt nicht wundern, dass dieses dumme Blag es nicht begreifen kann, dass alles seine Grenzen und ein Ende hat. Es ist zwar Deine Sache, mit wem Du Dich anfreundest und Deine Freizeit verbringst, aber mit Nina kann das sowieso nicht lange gutgehen. Nicht nur, weil sie vom Alter her Deine Tochter sein könnte. Sondern weil sie auf Dauer zu besitzergreifend ist. Deshalb halten Freundschaften bei ihr auch nie lange. Ob mit Männern oder mit Frauen, mit keinem hat sie sich lange verstanden. Nach kurzer Zeit hat sie alle vergrault. Ich habe das schon oft gesehen. Und so wie ich Dich kenne Chefin, wundert es mich sowieso, dass es noch keinen Knall gegeben hat. Sicher wird der bald kommen. Du lässt Dich doch allgemein nicht bevormunden!“
Spöttisch erwidere ich: „Warum sollte ich mit ihr Krach kriegen? Weil Eure Freundschaft damals so endete? Das kann man nicht miteinander vergleichen. Mit ein bisschen Toleranz und Verständnis für die Persönlichkeit anderer kann man Krach leicht vermeiden. Das hat mit Alter oder Geschlecht nichts zu tun. Mit ein bisschen Intelligenz kann man Streitigkeiten in ruhigen Aussprachen regeln. In den letzten Jahren habe ich mich immer mit einer gewissen Toleranz bemüht, unnötige Reibereien zu vermeiden.“
„Das hast Du aber nett gesagt, Chefin. Ich habe das etwas anders in Erinnerung. Oder was war denn mit der Sache vor einer Woche? War das die tolerante Aussprache?“ meint sie ironisch. Auf ihre Andeutung bin ich angestoßen, deshalb sage ich ärgerlich: „Findest Du nicht, dass das ein hinkender Vergleich ist? Du wirst doch wohl nicht die Schwierigkeiten mit dem schwachsinnigen-aggressiven Franco mit Ninas dummen-kindischen Stimmungsschwankungen vergleichen wollen? Jetzt mach Dich aber nicht lächerlich. Im Gegensatz zu Franco ist Nina nicht bösartig und beschränkt, sondern nur manchmal etwas launisch und langsam im Denken. Was ist los mit Dir? Hast Du plötzlich Deine Sympathie für Franco entdeckt? Du selbst hast mich doch des Öfteren gefragt, wie ich es mit diesem schwachsinnigen Hohlkopf aushalte! Hast Du plötzlich Deine Meinung geändert?“ rede ich mich zunehmend in Rage.
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