„Nicht anfassen! Oder willst Du Deine Prints darauf verewigen?“ Ich zucke zurück, fahre erschrocken herum und sehe Jörgs grinsendes Gesicht. Sekundenlang starre ich bewegungslos in die kalten, noch enger zusammengekniffenen, braunen Schlitzaugen, welche seinen leicht asiatischen Gesichtszügen etwas Bedrohliches geben. Seine Miene entspannt sich als er sagt: „Guten Morgen! Das Bad ist jetzt frei! Hier riecht es so gut nach Kaffee. Gibst Du mir ‘ne Tasse? » Dann bewegt er seinen hochgewachsenen, durchtrainierten Athleten -Körper gelassen an mir vorbei und steckt die Waffe in die Innentasche seiner Lederjacke. Die Blousonjacke beult nicht mal unter der schweren Last im Futter.
Eine Stunde später verlassen wir das Haus. Auf dem Weg zu Jörgs Wagen begegnet uns mein Nachbar, von der ersten Etage. Sein Gruß ist ein leises Murmeln, dabei sieht er meinen Begleiter abschätzend an. Als wir abfahren, sehe ich im Rückspiegel, dass er vor der Haustür stehend hinter uns hersieht. Was mag er haben, denke ich. Als es mir bewusst wird, muss ich laut lachen. „Was amüsiert Dich denn so?“ fragt Jörg erstaunt. „Hast Du den Blick von meinem Nachbarn gesehen? Ich glaube der hält mich für’ne Nymphomanin. Jeden Morgen steht ein anderer Wagen vor der Tür, komme ich mit ‚nem anderen Typen raus. Das lässt nur einen Schluss für solche Spießer zu, dass ich es jede Nacht mit ‚nem Anderen treibe! Richtig empört hat der mich angeglotzt!“ schüttle ich mich vor Lachen. An meinem Wagen angekommen, steige ich um. Da auch Jörg in der Nachbarstadt wohnt, wir also den gleichen Weg haben, fährt er bis zum Billard-Cafe hinter mir her.
Als ich zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit den großen Billard-Raum betrete, sind nur wenige Gäste im Saal. Nur an einem von fünf Spieltischen des Hauptraumes wird gespielt. In der hinteren rechten Ecke des circa hundertzwanzig Quadratmeter großen Saals sind fünf Tische mit Karten- und Back Gamon-Spielern besetzt. Das sind die sogenannten ‚Tagediebe und Strolche’ dieser Stadt. Wie Klaus die hier verkehrenden Gäste gerne nennt. (Ich würde die Leute eher ironisch als die ‚Creme de la Creme’ bezeichnen). Er meint damit, dass diese Leute keiner geregelten Arbeit nachgehen. Er müsste sich selbst auch dazurechnen, aber er sieht sich als solide und über den Leuten stehend an. Macht noch seine abfälligen Bemerkungen über das ‚asoziale Pack’! Ob er sein Lieblingswort ‚asozial’ definieren kann, wage ich zu bezweifeln, da er sich doch täglich mit diesen Leuten amüsiert.
Manche von ihnen verdienen ihr Geld mit Kartenspielen. Andere mit sogenannten ‚Hintermann-Geschäften’, auch einige ‚Mitternachts-Kaufleute’ sind hier Stammgäste. Außerdem trifft man hier einige Vertreter, Studenten und auch Polizei-Spitzel, die ein bisschen herumhorchen wollen. Doch zu so früher Mittagsstunde ist der Betrieb nur mäßig. Während ich den großen Saal selbstsicher durchquere, schaue ich mich interessiert um.
Ich bin schon einige Jahre nicht mehr hier gewesen. Zu Udos Zeiten hatte ich dieses Cafe fast täglich besucht. Das lag schon sieben Jahre zurück. Der ganze Raum sieht heruntergekommen und vergammelt aus. Offensichtlich ist hier schon lange nicht mehr renoviert worden. Daran scheint der Boxer zu sparen, aber beim Zocken geht er nicht so zurückhaltend mit der Kohle um. Von der Decke und den Wänden blättert die Farbe ab. Der PVC-Boden hat Risse, teilweise sogar Löcher. Auch die einfachen Tische und Stühle, die rechts an der Fensterreihe stehen, machen einen altersschwachen, wackeligen Eindruck. Einzig brauchbar sehen die Billard-Tische aus. Beim Zusteuern auf die belebte Ecke erkenne ich ein paar Gesichter. Ede, der Betreiber dieses Cafés, erhebt sich von seinem Stuhl und kommt mit ausgestreckten Armen freudig auf mich zu. Kräftig schüttelt er mir meine Hand und grinst: „Pünktlich wie die Maurer! Tag Liebes. Na denn wollen wir mal.“ Er winkt Heinrich und Wilhelm, die aus der Karten-Ecke zu uns rüber sehen, auffordernd zu. Dann nimmt er mich beim Arm und steuert auf die Türe des Hinterzimmers zu. Ich will gerade nach Klaus fragen, als der Gesuchte aus der Herren-Toilette kommt. Oberflächlich reicht er mir gnädig die Hand: „Grüß Dich. Wie geht’s?“ fragt er und es hört sich an, als würde er sagen: mieses Wetter heute!
Immerhin hat er sich zu einer Begrüßung herabgelassen. Wolfram hält mir höflich die Tür auf und lässt mich vorgehen. Flüchtig stelle ich erstaunt fest, dass ich solche Höflichkeitsgesten lange nicht mehr gewöhnt bin. Im Hinterzimmer steht nur Gerümpel, wie kaputte Stühle, Kartons mit Biergläsern, Staubsauger und anderes Putzmaterial. In der Mitte des Raumes ein alter ausrangierter Billardtisch mit ein paar Stühlen drum herum. Hier kenne ich mich auch noch gut aus. So manche Stunde hatte ich damals hier verbracht, während Udo zockte. Zu dieser Zeit hatten hier, im sogenannten ‚Blumengarten’, öfter große Würfel-Partien stattgefunden.
Umständlich und schwerfällig lässt sich der dicke Wilhelm auf einem der wackeligen Stühle nieder, nachdem er mich zurückhaltend begrüßt hatte. In der offenen Tür stehend fragt Heinrich, ob jemand was zu trinken möchte. „Für mich Kaffee, bitte.“ sage ich spontan. Als die Bedienung kommt, verlange ich einen Aschenbecher. Scheinbar bin ich die einzige Raucherin im Raum.
Heinrich ergreift als erster das Wort: „Im Großen und Ganzen sind wir uns ja einig. Aber einige Einzelheiten müssen noch geklärt werden. Da wir beide uns nur flüchtig kennen, möchte ich Dir vorweg sagen, dass ich in allen Dingen ein vorsichtiger Mensch bin. Daher als erstes eine Frage an Dich. Wer hat in Deinem Geschäft die Konzession?“
Verwundert frage ich: „Fürchtest Du das es damit Probleme gibt? Da kann ich Dich beruhigen. Der Konzessionär ist mein Vater. Er bekommt die übliche Gebühr dafür, kümmert sich aber selbst gar nicht um den Laden. Erstens hat er keine Ahnung und zweitens ist er noch voll berufstätig. Ich kann Dir aus langjähriger Erfahrung versichern, dass er der unproblematischste Konzessionär ist, den ich je hatte.“
Freundlich lächelnd nickt Heinrich, gibt aber zu bedenken: „Gut das mag schon sein. Für Dich wird er problemlos sein. Die Frage ist nur, was für eine Sicherheit haben wir, wenn wir uns einkaufen, dass wir keine Probleme mit Deinem Vater bekommen? Man nennt mich zwar manchmal den Pessimisten in unserer Runde, aber vielleicht bin ich auch nur übervorsichtig. Deshalb meine Frage: ist es möglich, dass wir eine von Deinem Vater unterschriebene Bestätigung bekommen, dass er 60 % an uns verkauft hat? Versteh mich bitte richtig. Nur ein formloses Schreiben, eine Art Kaufvertrag ohne Summe. Wenn Du es genau überlegst, ist das für beide Seiten eine Sicherheit. Ich will weder Dir noch ihm etwas unterstellen, versteh mich bitte nicht falsch. Aber stell Dir mal vor, Deinem Vater würde etwas passieren. Was dann? Wie alt ist er denn?“ Erwartungsvoll sehen mich vier Augenpaare an.
Nachdenklich erwidere ich: „Er ist zwar erst achtundfünfzig, aber so unrecht hast Du nicht. Darüber habe ich mir selbst schon Gedanken gemacht. Wenn auch aus einem anderen Grunde als Du. Da er mein Stiefvater ist, wäre es für mich auch problematisch, wenn ihm was zustoßen würde. Ich habe aber schon vorgesorgt. Mein Stiefvater wird mich adoptieren, der Antrag läuft schon. Ich will auch nicht plötzlich vor den lachenden Erben in Form von seiner Schwester und seinem Schwager stehen. Die schriftliche Bestätigung könnt Ihr natürlich bekommen. Das ist kein Problem.“ Die vier nicken.
Zufrieden fährt der Redeführer fort: „Gut, das war Punkt eins. Nun zur Diensteinteilung. Du möchtest ja gerne entlastet werden. Da wir noch andere Geschäfte haben, werden wir uns wöchentlich mit dem Dienst abwechseln. Wie hast Du Dir denn Deine Arbeitszeiten vorgestellt? Du möchtest doch noch mitarbeiten?“
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