Das Auftauchen des Jugoslawen rettete die Situation. Freundschaftlich schüttelte Milan Francos Hand. Wahrscheinlich wollte er mir damit eine Gefälligkeit erweisen, in dem er Franco anbot, auch in seinem Appartement zu übernachten. Wie sauer ich über das freundliche Angebot war, ließ ich mir nicht anmerken. Dann lud er sogar den kleinen Mario ein, für eine Nacht die Couch zu benutzen. Meine Stimmung war auf dem Nullpunkt. Als der Reutlinger zu spielen begann, wurde ich die Belagerung an der Kasse endlich los. Franco, das Schlitzohr, schlug sich sofort auf des Reutlingers Seite.
Nach circa drei Stunden hatte Freddi ein nettes Sümmchen gewonnen. Er rüstete zum Aufbruch. Im Vorübergehen rief Franco mir zu: er gehe mit dem Reutlinger zocken. Bei Feierabend wäre er wieder zurück, um mich abzuholen. Wie mit einem alten Freund ging er dann, mit Freddi diskutierend, die Treppe runter. Wieder einmal hatte Franco es geschafft, mit der richtigen Nase zur richtigen Zeit, sich die günstigste Seite auszusuchen. Aus reiner Boshaftigkeit ließ mein Chef mich in dieser Nacht wieder eine Doppel-Schicht machen. Ich war ihm dankbar dafür.
Franco war jedoch nicht kleinzukriegen. Pünktlich morgens um zehn kam er mich abholen. In dem zweiten Schlafräum des Appartements zog er dann seine übliche italienische Schau ab. Er kniete vor meinem Bett und weinte bitterlich. Er könne sich heute nicht mehr erklären, wie es zu dem Vorfall vor drei Wochen gekommen sei. Er wäre doch so krank gewesen. Die Sorgen hätten ihn sehr belastet. Nie wieder, das schwöre er mir auf das Leben seiner Kinder, käme so etwas vor. Seine ganze Liebe gehöre nur mir und unserem Baby. Ohne uns könne er nicht mehr leben. Nur noch einmal müsse ich ihm vergeben. Dabei weinte und schluchzte er wie ein kleines Kind. Obwohl ich wieder mal auf seine Schauspielerei reinfiel, gab ich ihm eine ernstzunehmende Warnung mit auf den Weg. Ich versprach ihm: würde er mir nur einmal in meinem Leben auch nur eine einzige Ohrfeige hauen, wäre meine Rache so fürchterlich, dass er sie niemals vergessen würde. Doch er nahm mich nicht ernst. Als er mich umarmen wollte, schrie ich vor Schmerz auf. Mit dem Hinweis auf meine gequetschten Rippen wies ich ihn zurück. Er gab sich reumütig, fast hilflos.
Vierzehn Tage vergingen, in denen er es schaffte, eine Art Freundschaft, sogar ein Vertrauensverhältnis zu dem Reutlinger zu entwickeln. Er zog mit ihm durch die umliegenden Konkurrenz-Casinos und staubte jedes Mal bei Gewinn sowie bei Verlust ein paar Hundert Gulden ab. Einen Job gab der Reutlinger ihm jedoch nicht.
Milan, der inzwischen bei Bert rausgeflogen war, hatte dann eine Idee. Er überredete Franco, mit ihm in das benachbarte Belgien zu gehen, um dort Arbeit zu suchen. Meine Erleichterung, Franco endlich los zu sein, hielt nicht lange an. Drei Tage später waren die beiden schon zurück. Freudestrahlend erzählte er mir, er habe in dem kleinen belgischen Örtchen einen ganz fantastischen Bungalow gefunden. Komplett möbliert, sogar mit zwei Schlafzimmern, wäre dieser groß genug, dass wir mit Milan und Julia dort Platz fänden. Auf meine erstaunte Frage, was denn mit Arbeit wäre, bekam ich die Antwort, dass eine Wohnung erst mal wichtiger wäre. Die Mietzeit in Milans Appartement liefe in zehn Tagen ab. In Amsterdam wäre keine Wohnung zu finden, deshalb könne ich meinen Job dann auch als beendet sehen. Ich war erschrocken, er in euphorischer Stimmung. Arbeit könne man dort schnell finden, da es dort sechs Casinos gäbe. Vorgespräche hätten sie schon geführt. Außerdem könne er hier in Amsterdam keine Arbeit finden.
In den nächsten Tagen versuchte ich verzweifelt eine Wohnung zu finden, denn ich wollte nicht weg. Auch einige einheimische Kollegen bemühten sich für mich. Es war nichts zu finden. Drei Tage bevor wir das Appartement räumen mussten, fuhren Franco und Milan wieder nach Belgien. Da ich in Amsterdam bleiben und meinen Job behalten wollte, sprach ich mit meinem Chef darüber. Ich erklärte ihm mein Problem. Von oben herab fragte er, ob er vielleicht sein Bett für mich frei machen solle? Dies wäre doch mein Problem eine Wohnung zu finden. Er hätte eine. Als ich ihm von meinen erfolglosen Bemühungen erzählte, erwiderte er spöttisch, Udo habe in seinem Appartement noch ein Bett frei. Wenn ich meinen Italiener nach Hause schicken würde, könne ich ja da einziehen. Deprimiert über seine abweisende Haltung war ich gezwungen, ihm meine Kündigung mitzuteilen. Ärgerlich erklärte er mir, das wäre ihm bei meinem Anhang auch lieber. Als ich dann drei Tage später meine Koffer packte, war ich schwer enttäuscht. Udo hatte mir noch zum Abschied mit auf den Weg gegeben, dass ich den nächsten Fehler machen würde. Bert sei sauer auf mich. Ich ging trotzdem. Die einzige Wahl, die mir geblieben wäre, zu Udo zurückzugehen, wollte ich ganz bestimmt nicht.
Als wir nach zweistündiger Fahrt über holpriger Landstraße in dem Örtchen Baarle-Nassau ankamen, war ich angenehm überrascht. Unsere neue Behausung erwies sich als hübscher komplett eingerichteter Ferien-Bungalow. Die groß angelegte, gepflegte Siedlung mit ihren fünfundzwanzig Ferien-Häusern lag wunderschön im Grünen. Auch jetzt im Winter hatte ich Fantasie genug, mir die sommerliche Idylle vorzustellen. Der große, gemütlich eingerichtete Wohnraum mit Kochecke und Kamin, hatte sogar ein Fernsehgerät. Die beiden Schlafzimmer waren ausreichend für uns vier. Das kleine Bad mit der dahinter liegenden kleinen Waschküche bot alles, was man für die Sauberkeit brauchte. Selbst die kleine Kochecke war mit Porzellan, Töpfen und allem erforderlichen Küchenmaterial ausgestattet. Franco hatte nicht übertrieben, hier ließ es sich wirklich aushalten. Während wir Frauen die Koffer auspackten, gingen die beiden Männer einkaufen. Julia und ich waren lange fertig mit einräumen, als sie nach zwei Stunden schwer beladen mit Lebensmittel-Tüten zurückkamen. Nachdem wir die Vorräte in den Schränken verstaut hatten, war ich zum ersten Mal etwas erfreut. Ich war froh, endlich wieder selbst kochen zu können. Dies war in Amsterdam nicht machbar gewesen. Die Gaststätten-Speisen waren mir lange über. Als wir Frauen uns daran geben wollten, das Essen zu bereiten, protestierten die Männer sofort. Sie wollten mit uns ins Casino „Ozeanic“ essen gehen. Dort gäbe es jeden Abend zwei Gerichte zur Auswahl. Da das Abendessen nur für Gäste kostenlos war, die Männer auch um Arbeit fragen wollten, könne man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Sie erklärten uns, kochen könnten wir mittags. Also zogen wir uns andere Kleidung an und fuhren die kurze Strecke. Schon von weitem war das hellerleuchtete Reklame-Schild des Casinos mit einer Hotel-Beschilderung verbunden, zu sehen. In der riesigen ehemaligen Hotelhalle standen die Spieltische. Auf einem erhöhten offenen Podium hatte man die Restaurant-Tische aufgestellt. Der große elegante Laden war sehr gut besucht. Als ich mich neugierig umsah, entdeckte ich einige bekannte Gesichter unter den Croupiers. Wie selbstverständlich steuerte Milan einen freien Tisch im Restaurant an. Der Service war genauso hervorragend wie die Speisen. Dann machte Milan sich auf die Suche nach dem Geschäftsführer. Franco heftete sich geschwind an seine Fersen. Die Beiden bekamen eine Absage.
Nach tagelanger erfolgloser Sucherei waren wir alle deprimiert. Wie auch immer, ausgerechnet er es geschafft hatte, fand Franco nach einer Woche einen Job. Einer von drei Teilhabern des etwas abgelegenen Casinos ‚Royal’ wollte für zehn Tage in die Schweiz fahren. Franco sollte ihn in dieser Zeit vertreten. Julia und Milan wurden täglich unruhiger, da das Geld knapp wurde. Ich war total frustriert. Hatte ich doch einen guten Job aufgegeben, um nun dort untätig rumzusitzen. Während Franco arbeiten ging, fuhren unsere Hausgenossen nun täglich auf ihrer Arbeitssuche immer weiter weg. Ich saß als einzige allein zu Hause. Nach fünf Tagen erklärte ich Franco, dass ich nach Deutschland zurück wolle. Da ich hier ja keine Arbeit finden würde, könne ich genauso zu unserem Kind fahren. Franco brauchte aber für seine Wege zur Arbeit das Auto. Außerdem wollte er nicht alleine bleiben. Also machte er mir einen anderen Vorschlag. Annette könne uns ja die Kleine bringen. So hätte ich mein Baby bei mir und er den Wagen zur Verfügung.
Читать дальше