Die treue Annette kam tatsächlich und brachte die kleine Rabea samt Gepäck. Nun konnte Franco durch das Kindergeschrei schlecht schlafen. Seine Laune wurde täglich schlechter. Ich total genervt, denn um mit dem Kind spazieren zu gehen, war das Wetter zu schlecht. Deshalb war ich erleichtert, als die zehn Arbeitstage vorbei waren. Nun ging ihm aber die Kleine noch mehr auf die Nerven. Weil er von mir verlangte, ich solle die Schreierei des Babys unterbinden, gab es Streit. Dieser endete damit, dass wir nach Hause zurückfuhren. Ich wollte jedoch nicht in den alten Trott zurückfallen und ohne eigenen Verdienst bleiben. Also rief ich wieder in Amsterdam an. Im ‚Millionär’ hatte inzwischen ein Besitzer-Wechsel stattgefunden. Der Reutlinger hatte den Laden übernommen. Er war leider momentan nicht erreichbar. Beim dritten Anlauf kam er ans Telefon. Auf meine Frage, ob ich bei ihm als Kassiererin anfangen könne, bekam ich die Antwort: wenn ich alleine käme, gerne. Nur für meinen Schnulli-Bulli habe er in seinen Geschäften keine Verwendung.
Vorsichtshalber sprach ich mit Franco, welcher seine Nächte wieder in der Würfel-Bude verbrachte, über mein Vorhaben. Er erklärte mir gelassen, er werde in Deutschland bleiben, ich könne gerne nach Holland arbeiten gehen. (Die Geschäfte liefen offenbar wieder besser).
Froh gestimmt reiste ich drei Tage später ab. Am Arbeitsplatz angekommen, konnte ich feststellen, dass mein neuer Chef wesentlich umsichtiger war als sein Vorgänger. Er hatte den Auftrag gegeben, eine Wohnung für mich zu suchen. Mit guten Beziehungen hatte einer der einheimischen Portiers eine kleine Einraumwohnung in der Nähe des Casinos gefunden. Keine zwanzig Meter entfernt in einer Seitengasse hatte ich nun eine Wohnung. Nach längeren Säuberungsarbeiten richtete ich mich so gut es ging, häuslich ein. Ein bisschen störend war es nur, dass das Bad, auf dem Flur gelegen, von anderen Hausbewohnern mitbenutzt wurde. Auch die Miete war mit achthundert Gulden für die Bude zu hoch. Dadurch ließ ich mich aber nicht verunsichern. War ich doch froh, endlich wieder einen Verdienst zu haben. Auch das ich endlich wieder alleine war, erschien mir wichtiger als die nebensächlichen Wohnprobleme.
Vierzehn Tage hörte ich nichts von Franco, ich war wie befreit. Meine Freundin hatte mir zwar telefonisch berichtet, dass die Würfel-Bude wieder besser lief, ich registrierte es nur am Rande. Selbst als ich erfuhr, dass er wieder ein gutes Verhältnis zu seiner Frau habe, konnte mich die Nachricht nicht beeindrucken. Mich interessierte lediglich mein Baby und mein Job. Aus der Ruhe brachte mich die Nachricht, dass Francos Geschäft geschlossen sei, da es Schwierigkeiten mit der Konzessionärin gegeben habe. Die Suche nach einer Ersatz-Person sowie die Geschäfts-Umschreibung würden ihm wieder viel Freizeit bringen. Missmutig hoffte ich, er möge zu Hause bleiben. Zwei Tage später stand er breitbeinig, heuchlerisch grinsend am Fuße der Treppe und sah zu mir herauf. Säuerlich sah ich ihm entgegen, als er dann auf mich zukam. Da ich ihn nicht provozieren wollte, sagte ich nicht, dass er mir hier nur hinderlich sein konnte. Lächelnd log er mir ohne Hemmungen vor, er habe ohne mich nicht leben können. Obwohl man ihm ansehen konnte, wie ärgerlich er war, hatte mein Chef Franco freundlich begrüßt. Jedoch Francos direkte Frage nach einem Job hatte er konsequent abgeschlagen.
Ein paar Tage lief mein Anhang dann gelangweilt durch die Gegend während ich meinen Dienst versah. Dann kam ihm der Zufall zu Hilfe. In Form des Österreichers ‚Ringo’ direkt aus Düsseldorf. Da die Beiden sich aus den Düsseldorfer Würfelbuden kannten, erkundigte sich Franco sofort, war er in Amsterdam vorhabe. Weil Ringo die arglistige Art Francos nicht kannte, gab er bereitwillig Auskunft. Er würde mit dem Reutlinger ein Casino eröffnen. Man müsse nur noch ein paar kleinere Renovierungsarbeiten vornehmen, dann könne es losgehen. Listig ergriff Franco sofort die Chance. Er wies Ringo auf die alte Bekanntschaft hin und bat ihn bei der Vergabe der Jobs an Franco zu denken.
Dann schmeichelte er ihm, er, Ringo hätte doch einen sehr großen Einfluss auf den Reutlinger. Natürlich fiel der Österreicher auf Francos italienische Schau herein. Er prahlte, die personelle Besetzung würde sowieso er bestimmen, darauf habe sein Teilhaber keinen Einfluss. Für ihn wäre ganz klar, dass er in Kürze bei ihm arbeiten könne.
Tatsächlich hatte Ringo es geschafft, Franco dem Reutlinger als Portier des neuen Ladens unterzujubeln. Die Renovierungs- und Vorbereitungsarbeiten zogen sich zehn Tage lang hin. Obwohl mir nicht ganz klar war, was Franco mit seinen ungeschickten Händen dabei hätte helfen können, war er diese Zeit ständig unterwegs und im Einsatz. Da für den Job ein schwarzer Anzug erforderlich war, musste Franco sich einen solchen kaufen. Verwundert erlebte ich nun, dass er es tatsächlich fertig brachte, den Reutlinger um das dafür notwendige Geld zu erleichtern. Francos Dreistigkeit beschämte mich sehr, war es denn nicht genug, dass er sich in den neuen Laden gedrängt hatte? In den folgenden Monaten war Franco dann allerbester Laune. Schließlich war er seiner Meinung nach der wichtigste Mann in dem neuen Laden. Auch die anderen Beschäftigten waren bester Laune, bis auf den Finanzier, meinen Chef!
Diesem wurde das neue Geschäft immer mehr zuwider, da es keinen Erfolg brachte. Er kritisierte die Geschäftsführung von Ringo, warf ihm Verschwendung und Unfähigkeit vor. Mehr als das Doppelte, von seiner Kalkulation, hatte dieses Geschäft verschlungen. Deshalb lehnte er Ringos Verlangen nach neuer Lage, nach vier Wochen konsequent ab. Er beendete die Streitigkeiten ums Geld einfach damit, indem er das gesamte Personal hinauswarf und den Laden verschloss. Nun lief Franco wieder arbeitslos durch Amsterdam. Durch sein Herumlungern während meiner Arbeitszeit in unserem Laden ging er nicht nur mir, auch meinem Chef, auf die Nerven. Das Stimmungsbarometer des Reutlingers sank täglich mehr. Es war nicht zu übersehen. Ich schämte mich sehr, war machtlos
Aber Franco konnte das alles nicht berühren, er fühlte sich dazugehörig. Eines Abends, aus heiterem Himmel, erklärte mein Chef, er werde den Laden für vier Wochen schließen. Da es im Moment einige Probleme mit den Behörden gäbe, habe er sich entschlossen, aus Sicherheitsgründen, Betriebsferien zu machen.
Fast vierzig Angestellte des Casinos ‚Millionär’ standen nun plötzlich auf der Straße. Urlaubsgeld oder ähnliches gab es in dieser Branche ja nicht. Jedoch für einen Teil seiner Mitarbeiter hatte der von immer neuen Ideen inspirierte Reutlinger neue Beschäftigungen. Auch für mich. Mit neuem Auftrag und Spesen ausgerüstet, reisten wir am nächsten Morgen nach Deutschland zurück.
Erschrocken richte ich mich auf. In meinem halbdunklen Schlafzimmer sehe ich mich lauernd um. Wieso brennt in der Diele Licht? Was sind das für seltsame Geräusche? Wer pfeift denn in meinem Badezimmer? Natürlich, jetzt fällt es mir ein. Das kann doch nur Jörg sein. Mein Leibwächter! Erleichtert lasse ich die angehaltene Luft ab. Er duscht offenbar. Sein fröhliches Pfeif-Konzert wird vom Wasserrauschen begleitet. Mein Gott bin ich schreckhaft.
Ein Blick auf die im Bett eingebaute Uhr zeigt mir zwölf Uhr fünfzehn. Nichts wie raus aus den Federn. Ich hab doch um vierzehn Uhr einen Termin. Schnell springe ich aus der Koje, Bademantel überwerfen und in die Küche hasten sind eins. Die Kaffeemaschine in Gang setzen. Jetzt schnell das Wohnzimmer aufräumen. Dort habe ich dann mal wieder die Gelegenheit festzustellen, dass Jörg zum Großteil der Unordentlichen unter den Männern gehört. Zeitschriften, Videofilme sowie ein Teil des Bettzeuges liegen über den Boden verstreut. Während ich Ordnung schaffe, knurre ich abfällig vor mich hin: ‚irgendwie müssen wir Frauen den Männern doch wesentlich überlegen sein. Wahrscheinlich können die deshalb keine Hausarbeit, weil man dafür ein besonderes Abitur braucht’! Als letztes hebe ich das Kopfkissen hoch. Entsetzt starre ich auf die bedrohlich schwarz-glänzende Pistole.
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