Abwehrend hebt sie die Hände: „Schon gut, Chefin! War nicht so gemeint! Offensichtlich kannst Du keinen Spaß mehr vertragen. Ich gehe ja schon. Hab keinen Bock auf Diskussionen! „Schnell dampft sie davon.
Die Dicke hat Taktgefühl wie ein Holzfäller, denke ich. Und dabei schimpft sie sich meine Freundin. Gerade habe ich nach der Besprechung eine erwartungsvolle frohe Stimmung .Muss sie mich da wieder an die böse Auseinandersetzung der vergangenen Woche erinnern?
Durch Hildas Äußerung macht sich die unruhige Angst der letzten Tage wieder bemerkbar. Angst wovor? Dass er sich rächen könnte? Nein, davor weniger. Wie es hier weitergeht? Ja, schon eher. Tief im Innersten ist noch was, die Jungens - meine Leibwächter! Noch bis vor ein paar Tagen wären keine Zweifel an ihrer Loyalität möglich gewesen. Oder war ich zu sehr mit meinem Privat-Krieg beschäftigt? Dass ich keine falschen Töne und Hintergedanken vermutete? Jetzt, fast befreit von diesen Belastungen fällt mir so manches auf und ein. Ich habe Dieters eindringliche, höhnische Worte, welche er vor einigen Wochen sagte, nicht vergessen. Oh nein, nur verdrängt! Noch heute klingt es mir im Ohr: Wann willst Du Dich endlich von dieser italienischen Wanze befreien? Wenn der glaubt, er kann hier auf Mafioso machen, dann müssen wir ihm mal beweisen, dass wir die ‚deutsche Mafia’ sind. Ein Wort von dir und wir schicken ihn in einer Kiste nach Italien, wo er hingehört!
Entsetzt hatte ich energisch abgelehnt und gesagt, ich wolle das alleine und in Ruhe regeln. Dieter hatte es mürrisch akzeptiert. Jetzt kommt mir langsam der schlimme Gedanke, sie könnten vieles Geschehene forciert haben, um mit mir schutzlos und hilflos-allein leichteres Spiel zu haben! Fröstelnd ziehe ich den Kopf ein. Wenn ich mich aber mit starken Partnern verbündete, würde sie dies von eventuellen krummen Vorhaben abbringen. Die Firma ‚Korrekta’ wäre der beste Schutzschild, den ich nehmen konnte. Schon wegen Ede, der ein alter Freund der Jungs ist, aber trotz seines vorgeschrittenen Alters, von denen, immer noch als unangreifbare Festung anerkannt wird. Das kleine Licht der Hoffnung erwärmt mich wieder. In froher Zuversicht richte ich mich auf. Mit gestraffter Haltung und festen, sicheren Schritten gehe ich endlich in den Saal.
Ein Bild gespannter Aufmerksamkeit und besonnener Betriebsamkeit bietet sich mir. Während der Kölner über den Kessel gebeugt, mit einem Blick auf die Waage, Anweisungen gibt, liegt Perücke unter der Maschine auf dem Boden und stellt an den Schrauben des Dreibeins. Hilda und Rico stehen gegenüber und beobachten aufmerksam die Einstellungen auf der elektronischen Waage. Unschlüssig bleibe ich am Ende des ersten Tisches stehen. Hier ist im Moment für mich nichts zu tun und auch noch nichts zu erfahren.
Durch das Öffnen der Eingangstür dringt der Straßenlärm in den Raum. Automatisch drehe ich mich um, um zu sehen, wer gekommen ist. Außer ein paar türkischen Gästen entdecke ich meinen Vater. An der Theke bleibt er bei Mary stehen und sieht zu mir rüber. Ich gehe auf ihn zu und sage: „Tag Vati. Feierabend?“
„Dach Kenk.“ antwortet er in seinem ihm eigenen Dialekt. „Na, wie woret hütt nommidach? Hätt et jeklappt?“
Prompt falle ich in den gleichen Jargon: „Joo, et jeeht. Ich verteil et Dir späder. Meutzte nen Koffie?“
Entsetzt bittet Mary: „Ruth, bitte! Es hört sich fürchterlich an, wenn Sie platt sprechen! Lassen Sie das doch bitte! Ich kann es nicht hören. Das passt nicht zu Ihnen.“ Dann wendet sie sich an meinen Vater: „Herr Theisen, motten Se denn immer Platt mim Rutt kallen?“ Sie schüttelt missbilligend mit dem Kopf und sieht ihn strafend an.
Lachend denke ich: die gute Mary. Obwohl sie zu den wenigen Einheimischen gehört, mit meinem Vater auch gerne unseren Dialekt spricht, kann sie es aus meinem Munde einfach nicht vertragen.
Laute Diskussionen im Spielsaal erregen meine Neugierde. Schnellen energischen Schrittes eile ich dorthin. Franz, sonst die Ruhe in Person, schimpft laut: „Achmed, donn misch’ ne Jefalle. Haal Disch do russ! Jank no vüren Koffie drinke!“
Verständnislos sieht der angesprochene Türke den Kölner an. Seinen Dialekt versteht er nicht. Amüsiert grinsend denke ich, ist ja lustig heute. Woher soll der Türke wissen, dass der Kölner immer wenn er aufgeregt oder verärgert ist, Kölsch spricht. Kein Wunder, dass er den Franz nicht verstanden hat.
Die dicke Hilda, die ihre Antipathie nicht verbergen kann, greift in ihrer manchmal beleidigenden Art ein: „Hast Du nicht gehört, Kümmel? Du sollst nach vorne gehen, Kaffee trinken. Wir können Dich hier nicht gebrauchen. Du stehst uns nur im Weg rum. Deine klugen Sprüche fehlen uns gerade noch, darauf haben wir gewartet. Dass so ein Klugscheißer kommt, null A h nung, und will sich in unsere Arbeit einmischen. Verpiss Dich an die Theke, los beweg Dich!“
Der Angesprochene macht den Mund vor Staunen auf wie ein stummer Fisch. Sauer, über ihre freche Art, greife ich streng ein: „Es ist gut jetzt, Hilda. Du warst deutlich genug. Ein bisschen nett! Und Du Achmed, geh jetzt bitte nach vorne. Die Croupiers können Deine Beratung wirklich nicht gebrauchen. Deine unwissenden Zwischenbemerkungen lenken die Leute nur von der Arbeit ab. Also halt Dich bitte an die Anordnung oder geh! Trink Kaffee oder sonst was an der Theke, wenn wir hier fertig sind, kannst Du wieder reinkommen.“
Während ich ihn streng und fest ansehe, macht er den Mund zu und lässt die Schultern hängen und murmelt: „Schon gut Chefin.“ Dann schleicht er mit schlurfenden Schritten auf den Vorraum zu.
Näher an Hilda herantretend zische ich leise: „Wie oft soll ich Dir noch sagen, dass Du nicht so unfreundlich zu den Gästen sein sollst? Schließlich leben wir von diesen Leuten! Mir ist es egal, ob Du recht hattest oder nicht. Was Du zu sagen hast, kannst Du den Leuten freundlich sagen. Nur Deinen groben, beleidigenden Ton lass gefälligst.“ Meine saure Miene beeindruckt die Dicke nicht.
Verächtlich erwidert sie ebenso leise: „Ich kann nicht dafür. Diese türkische Ratte kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Täglich lungert er hier nur herum und frisst sich satt. Dabei hält er kluge Vorträge, verbreitet Unruhe und meckert an allem was er umsonst bekommt auch noch herum. Auf solche Wanzen können wir hier verzichten. Normalerweise beachte ich ihn ja gar nicht. Aber manchmal kann er einem wirklich auf die Nüsse gehen. Ich kann diesen schleimigen, ekligen Kerl einfach nicht leiden.“
Du hast ja recht, denke ich, aber zeigen dürfen wir unsere Gefühle und Gedanken nun mal nicht. Auch Du musst das lernen. Mit ausdrucksloser Miene blicke ich zu der türkischen Wanze hinüber. Er gehört zu den wenigen Zockern, die ich verabscheue. Schon sein Äußeres drückt seine Charakterzüge voll aus. Obwohl er recht ordentlich mit Anzug, Schlips und Kragen gekleidet ist, lässt seine lange, hagere Gestalt, mit dem leicht runden Rücken und nach vorn gebeugten Schultern, auf einen unsteten Menschen schließen. Auf dem dürren, faltigen Hals sitzt ein ausgeprägter Schädel mit Stirnglatze. Das eingefallene, faltige Gesicht hat dunkle-flinke und tiefliegende Augen unter schwarzen, buschigen Augenbrauen und schmale zusammen gekniffene Lippen. Markant sind seine großen abstehenden Ohren. Am hervorstechendsten Kennzeichen jedoch, seiner großen, ausgeprägten Hakennase erkennt man klar und deutlich den Geier.
Unbeeindruckt von ihren wahren Argumenten sage ich für mein Gegenüber gerade wahrnehmbar: „Meine liebe Hilda, Du musst Dir langsam mal angewöhnen, nicht die Gesichter der Leute zu sehen, sondern ihre Brieftaschen. Wenn Du das nicht kannst, hast Du den falschen Beruf. Nach Sympathie kannst Du Dich in unserem Geschäft nicht verhalten. Glaubst Du denn, mir wären alle Leute sympathisch? Wenn es danach ginge, müsste ich zu Hause bleiben. Die Gäste, welche mir sympathisch sind, kannst Du an zwei Händen abzählen. Nimm Dir ein Beispiel an mir, ich lasse mir das auch nicht anmerken. Man muss zu allen Leuten gleich freundlich sein. Also mäßige Dich in Zukunft.“
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