Wir waren alle glücklich, wie von einem Druck befreit.
Durch das Klingeln des Telefons werde ich aus meinem aufreibenden Traum gerissen.
Nina spricht kurz mit jemanden, dann ruft sie: „Ruth, Telefon! So, sag es ihr bitte selbst und schimpf nicht mit mir.“ Sie hält mir den Hörer entgegen. Benommen gehe ich die vier Schritte zu ihrer Bettkante und nehme das Gerät an: „Ja, hallo? Wer ist denn da?“ frage ich in die Sprechmuschel. „Das kann ich Dir sagen, das machst Du nicht noch mal mit uns! Was fällt Dir überhaupt ein? Wie sollen wir für Deine Sicherheit sorgen, wenn wir nicht einmal wissen wo Du bist? Wenn Du das noch mal machst, ist unsere Vereinbarung gestorben. Ist das klar? Dann kannst Du mal sehen, woher Du Leute bekommst, die Du zum Affen machen kannst. Merke Dir gefälligst, Du irgendwohin willst, hast Du einen von uns mitzunehmen. Ich habe gedacht, ich höre nicht recht. Fährt gelassen spazieren. Glaubst Du denn, wir spielen aus Spaß Kindermädchen bei Dir? Ist Dir die brenzlige Situation nicht richtig bewusst? Nun sag mal, was Du Dir dabei gedacht hast?“ schimpft Holger wütend durch die Leitung.
Erschrocken halte ich den Hörer ein Stück vom Ohr weg, dann erwidere ich kleinlaut: „Was regst Du Dich auf? Mir ist doch nichts passiert! Außerdem war ich ja nicht alleine. Nina war doch bei mir.“
Höhnisch antwortet er: „Na, dann hattest Du ja den besten Schutz! Willst Du Nina jetzt zu Deinem Bodyguard machen? Mir egal! Du musst es nur sagen. Ich habe nämlich keine Schwierigkeiten meine Freizeit ohne Dich einzuteilen. Nur eines musst Du Dir merken, solange wir die Verantwortung für Deine Sicherheit tragen hast Du Dich gefälligst an die Abmachungen zu halten. Ist das jetzt klar? Vielleicht kannst Du Dir vorstellen, dass ich mir Sorgen gemacht habe? Stell Dir nur vor, Dir wäre was passiert. Damit hättest Du nicht nur Dir selbst, sondern auch unserem Ruf geschadet. Also erzähl, was hast Du weiterhin vor?“
Schuldbewusst sage ich: „Entschuldige. Du hast ja recht. Es soll nicht wieder vorkommen. Ich war mit Nina im ‚Luisa’. Da ihr sowieso Dienstschwierigkeiten hattet, hab ich gedacht, dahin könnte ich auch ohne euch fahren. Was soll mir bei Ede schon passieren?“
Etwas ruhiger geworden lenkt er ein: „Das stimmt schon. Aber die Wege musstet ihr doch alleine machen, oder? Es sei denn, Ede hat euch nach Hause gebracht. Hat er?“
Ich muss zugeben: „Nein, das nicht. Ich sehe ja auch ein, dass Du recht hast. Lass uns jetzt bitte das Thema beenden. Ich muss mich beeilen. Es ist Zeit für mich, ich muss noch erst nach Hause, mich umziehen, bevor ich ins Geschäft fahre.“
Dabei denke ich: er übertreibt es aber wirklich. Was fällt ihm denn ein, so mit mir zu reden? Bin ich eine seiner Huren? Oder sein dressierter Köter? Wer bezahlt hier eigentlich wen? Er macht sich Sorgen um mich? Das ich nicht lache! Höchstens um die Kohle und sein Image. Außer Geld und Prestige ist ihm doch nichts wichtig. „Auf gar keinen Fall erlaube ich Dir alleine in Deine Wohnung zu gehen. Ich werde Jörg anrufen, der kann Dich in einer halben Stunde abholen. Er wird Dich begleiten. Hast Du verstanden? Du wartest bis Jörg Dich abholt!“ gibt er die eindringliche Anweisung.
Obwohl ich diese Vorsichtsmaßnahme am helllichten Tag für übertrieben halte, stimme ich zu.
„Der war aber sauer! Schreit mich an, ob wir beide verrückt geworden wären. Meinst du nicht auch, dass die die Sache etwas hochspielen? Wie lange soll das denn noch so gehen? Nun warst Du froh, endlich wieder frei zu sein, dabei bist Du im Moment auch wie eine Gefangene. Keinen Schritt kannst Du ohne die Jungs gehen. Was glaubst Du, wie lange das noch nötig ist?“ fragt Nina.
Achselzuckend antworte ich: „Ich weiß es nicht. Lässt Du mich zuerst ins Bad? Wir müssen uns beeilen! Sonst kommen wir zu spät zum Dienst.“ Sie nickt, da sie sich erst ihre Kleidung rausuchen will. Das dauert. Das kenne ich. Sie braucht in der Regel zwanzig Minuten, um sich zu entscheiden, was sie anziehen will. Bis dahin kann ich längst geduscht und angezogen sein.
Als ich gerade mit Schminken und Frisieren fertig bin, klingelt es auch schon. Durch die Sprechanlage meldet sich Jörg. Ich sage ihm, dass ich runterkomme. Im Hinausgehen ruft Nina mir hinterher, dass sie sich etwas verspäten würde.
Missbilligend mit dem Kopf schüttelnd ziehe ich die Türe hinter mir zu, um Streit zu vermeiden. Es ist immer das gleiche mit ihr. Schon einige Zeit sind alle Kollegen sauer auf sie, weil sie sich durch die Freundschaft mit mir öfter mal einige Freiheiten herausnimmt. So wie heute, indem sie später zum Dienst kommt. Schon oft hatte ich ihr in den letzten Monaten gesagt, dass das nicht ginge. Obwohl sie es einsieht, ändert sie ihr Verhalten nicht. Sobald ich meine Nerven akklimatisiert und die geschäftlichen Dinge geklärt habe, werde ich Ordnung in manche Dinge bringen. Jörg begrüßt mich mürrisch.
Während ich mich schnell umziehe, wartet er im Wohnzimmer. Dann fahren wir ins Casino. Dort treffen wir pünktlich um sechzehn Uhr ein. Schon beim Eintreten sehe ich, dass etwas nicht stimmt. Franz steht mit sorgenvoller Miene am Kessel. Als ich näher komme, sagt er, statt der sonst freundlichen Begrüßung: „Gut, dass Du kommst, Ruth. Ich kriege den Kessel nicht eingestellt. Hier, sieh Dir mal das Bild an. Ich habe schon alles versucht, aber es klappt nicht! Der Kessel hat zu viel Abweichung. Die Kugel fällt nur im halben Kessel. Wir müssen den dringend wegbringen. Ich werde jetzt einmal versuchen, ob ich mit Drehen eine Änderung erreichen kann. Du solltest aber trotzdem schon mal den Seeboldt anrufen. Mach einen Termin zum Abdrehen. Mit fünfzehn Zahlen Abweichung können wir nicht weiterarbeiten. Der Meinung bist Du doch auch?“
Nickend sage ich: „Ja klar. Ich werde sofort den Fritz anrufen. Für Heute müssen wir halt versuchen, ob wir mit dem Drehen eine bessere Stellung finden. Aber bitte Franz, lass Dir Zeit damit. Suche so lange, bis Du den besten Stand gefunden hast. Ich werde mal hören, ob ich gleich für Morgen einen Termin bekommen kann. Dann muss ich auch noch schnell einen Leihwagen bestellen.“
Ich will mich abwenden, um zum Telefon zu gehen, als seine Antwort mich aufhält: „Du brauchst doch keinen Leihwagen. Ich kann den Kessel in meinem Kofferraum transportieren.“
Kopfschüttelnd erkläre ich: „Nein, das glaube ich nicht. Den bekommt man nicht in einen Kofferraum. Der Kessel hat einen Durchmesser von 1m sechszehn. So einen großen Kofferraum gibt es nicht. Es sei denn, Du würdest ihn schräg legen. Das verträgt das Holz aber nicht, dann würde er sich beim Transport noch mehr verziehen. Sieh mich nicht so ungläubig an, das haben wir schon mal versucht. Sobald ich einen Termin weiß, werde ich den Leihwagen besorgen.“
Entschlossen gehe ich Richtung Telefon. Schon nach dem dritten Rufzeichen meldet sich der Besitzer der Werkstatt persönlich. „See-boldt!“ nennt er seinen Namen, dabei spricht er die beiden Silben betont und mit einer kleinen Pause dazwischen aus. „Grüß Dich, Fritz! Die Ruth hier! Kann ich Dir Morgen unseren Kessel bringen? Er muss dringend abgedreht werden.“ sage ich eindringlich.
„Hallo Ruth! Morgen wird das nicht möglich sein. Hast Du vergessen, dass Morgen Sonntag ist? Du weißt doch wie das ist mit den Arbeitern. Die wollen sonntags nicht arbeiten. Übermorgen ist es auch schlecht. Wir haben für Montag schon zu viele Anmeldungen. Für Dienstag könnte ich Dir hundertprozentig zusagen, wenn er nicht beschichtet werden muss. Nur fürs Abdrehen würdet Ihr dann gleich als Erster drankommen. Kannst Du so lange noch zurechtkommen? Wie viel Abweichung hat er denn?“ wehrt er mein Ansinnen gleich ab.
„Nein, Fritz. Bis Dienstag kommen wir bestimmt nicht klar. Wir haben schon fünfzehn Zahlen, der Kessel hat ein starkes Tief. Wir versuchen zwar jetzt mal mit Drehen ein besseres Bild zu bekommen, aber so lange wird es bestimmt nicht gehen. Dass es Morgen nicht geht, sehe ich ein. Aber am Montag musst Du uns helfen. Noch länger können wir mit der Torte nicht arbeiten! Der Kölner wird am Montag ganz früh bei Dir sein. In Ordnung?“ weise ich ihn noch einmal deutlich auf die Dringlichkeit hin. Nachdem er versprochen hat, sein Möglichstes zu tun, lege ich mit verächtlicher Miene auf.
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