Diesen Argumenten konnte ich mich zwar nicht verschließen, doch überzeugen konnten sie mich auch nicht ganz. Noch dazu hatte ich gerade eine unentschlossene Phase. Ich dachte zwar ständig darüber nach, entschließen konnte ich mich aber zu nichts. Hass und Zorn wurden auch bei mir dadurch geschürt, dass Mitarbeiter von Franco mir erzählten, dieser würde mich ständig belügen. Er verdiene riesige Summen. Die Gelder gäbe er seiner Frau, außerdem verzocke er reichlich.
In der 36. Schwangerschafts-Woche gab es dann einen fürchterlichen Streit. Ich hatte erfahren, dass Franco bei einem Juwelier die Anfertigung eines teuren Ringes, für den Geburtstag seiner Frau, in Auftrag gegeben habe. Obwohl er dies bestritt, war ich voll Hasserfüllter Gedanken. An meinem Geburtstag hatte er sich nicht mal sehen lassen. In meiner hilflosen Verzweiflung versuchte ich mich dadurch abzulenken, indem ich Ramona besuchte. Mit meiner Ältesten wollte ich über meine Sorgen sprechen, mich ausheulen. Dort traf ich am frühen Nachmittag, nach langer Zeit meine Mutter wieder. Weil ich ihr gegenüber meinen völlig desolaten Zustand nicht offenbaren wollte, musste ich mich sehr zusammennehmen, um der belanglosen Unterhaltung zu folgen. Plötzlich platzte meine Fruchtblase und das Wasser ging ab.
Meine Tochter reagierte hilflos-aufgeregt, ich erstaunt, während meine Mutter die Ruhe behielt. Sie riet mir, im Krankenhaus anzurufen, um zu erfragen, wie ich mich verhalten solle.
Ich bekam die telefonische Auskunft sofort in die Klinik zu kommen. Ramona begleitete mich, nachdem wir die fertig gepackte Reisetasche geholt hatten’, ins Krankenhaus. Auf der Fahrt nahm ich ihr das Versprechen ab, niemanden zu sagen, wo ich mich befand. Denn ich wollte Franco nicht sehen.
Nach der Untersuchung erklärte man mir, dass man die Geburt noch ein paar Tage hinauszögern müsse. Die Lungen des Kindes wären noch nicht ausgereift. Man wies mir ein Bett in einem Mutter-Kind-Zimmer zu. Ich bekam verschiedene Medikamente. Dadurch, dass ich ständig das Baby meiner Zimmergenossin sah, weinte ich nur. Ich war völlig aus der Fassung. Nach einem Tag bat ich die Stationsschwester, um Verlegung in ein anderes Zimmer. Ich erklärte ihr, ich wolle mein Kind zur Adoption freigeben, deshalb belaste mich der Anblick des Neugeboren.
Umgehend rief ich dann die zuständige Stelle des Jugendamtes an und bat um einen Besuch. Bereits am gleichen Nachmittag erschien ein sehr netter Herr dieses Amtes. Freundlich, sachlich und mitfühlend wurde ich dann über die Adoptions-Vorschriften aufgeklärt. Zuerst müsse ich eine vorläufige Erklärung unterschreiben, welche nach 6 Wochen endgültig, notariell abgefasst werde. Mit dem vorläufigen Schriftstück habe er die Möglichkeit, über das Neugeborene zu verfügen. Er werde dafür sorgen, dass ich das Kind nach der Geburt nicht zu sehen bekäme, um mir nervliche Belastungen zu ersparen. Ich möge mir die Sache noch einen Tag überlegen, er werde am nächsten Tag wiederkommen.
Nachdem ich die erforderliche Unterschrift gegeben hatte, sorgte der Beamte dafür, dass ich auf ein Einzelzimmer verlegt wurde. Niemand erwähnte die Gründe für die erneute Umbettung. Fürsorglich behandelte man mich in der katholischen Klinik wie ein rohes Ei. Ich weinte nur. In diesen Tagen hatte ich nur telefonischen Kontakt zu einigen Freundinnen und meiner Samstag, kam endlich das Kind zur Welt. Ich bekam es tatsächlich nicht zu sehen. In der entscheidenden Minute hatte man mir Lachgas verabreicht. Die einzige Besucherin war Ramona. Sie richtete mir aus, ihr Bruder könne nicht kommen. Ich wusste sofort, dass er mit meinem Handeln nicht einverstanden war. Seine Ablehnung tat weh.
Von dem Neugeborenen wusste ich nur, dass es im Notarztwagen im Sauerstoffzelt in die Kinderklinik gebracht worden war. Ich war fertig mit den Nerven und der Welt. Immer noch bekam ich ständig Heulkrämpfe. Woher auch immer sein plötzliches Interesse kam, hatte Franco nach 4 Tagen meinen Aufenthaltsort herausbekommen. Er rief mich an. Sofort warf ich ihm an den Kopf, ich wolle weder mit ihm, noch mit seinem Kind etwas zu tun haben. Das Baby wäre zur Adoption freigegeben. Eine Stunde später stand er drohend vor meinem Bett und beschimpfte mich. Jedoch kam die wachsame Stationsschwester Erika und warf ihn hinaus. Dann bombardierte er mich mit Drohanrufen. Er werde herausfinden, wo sich das Kind befände, um es zu sich zu nehmen. Seine Frau sei damit einverstanden. Sie wäre nicht eine so schlechte Mutter wie ich. Ich schaffte es eben noch kommentarlos aufzulegen.
Wie sehr er seine Meinung geändert hatte. Plötzlich war die Frau, die er als habgieriges, gefühlloses Monster hingestellt hatte, ein liebevolles Mütterchen.
Als er mir dann am nächsten Tag telefonisch zynisch erzählte, er habe mit seiner Frau unser Baby auf der Kinderstation besucht, wurde ich zornig. Ich beschwerte mich bei dem Sachbearbeiter des Jugendamtes, und bat ihn, diese Besuche zu unterbinden. Der Beamte entschuldigte sich für die Unachtsamkeit des Pflegepersonals und versprach, dementsprechende Anweisungen zu geben. Dienstags hielt ich dann die nervenaufreibenden Vorwürfe, welche ich mir machte, nicht mehr aus. Nur ein Mensch würde mir aus dieser ausweglosen Situation heraushelfen können.
Ich rief meine Mutter an und bat sie, mich zu besuchen. Als sie 2 Stunden später an meinem Bett saß, fragte ich vorsichtig, ob ich ihr eine für sie unangenehme Frage stellen dürfe. An ihrer verschlossenen Miene sah ich die dunkle Ahnung. Trotzdem nickte sie.
Da sie in den Kriegsjahren auch ein Kind hatte adoptieren lassen müssen, wollte ich wissen, wie eine Mutter das verkraften könne. Wortlos begann die, sonst so harte, energische Frau, nach mehr als 40 Jahren, zu weinen. Das war mir Antwort genug!
Mit Tränen in den Augen bat ich sie, meine herzlose Frage zu verzeihen. Sie versuchte ihre geübte Haltung zu bewahren und sagte mit belegter Stimme: diese Entscheidung könne mir niemand abnehmen. Dann wünschte sie mir alles Gute und ging. Wie fremd wir uns plötzlich waren, bemerkte ich deutlich und schmerzhaft. War nicht die Mutter der Mensch, welcher einem am nächsten stehen müsste? Was hatte ich durch diesen Mann alles verloren? Mein Sohn wandte mir den Rücken. Sogar das, was man im Leben nur einmal hat: die Mutter. Sie ließ mich im Stich! Warum war sie so hart und starrsinnig? Wie konnte eine Mutter so zu ihrem eigen Fleisch und Blut sein? Jetzt in der Not? Worüber beklagte ich mich? Verhielt ich mich nicht ähnlich? Entschlossen ging ich zur Stationsschwester und bat um Ausgangserlaubnis. Der Erstaunten erklärte ich, ich wolle mein Baby besuchen. Erleichtert, (sie habe sich nicht vorstellen können, dass ich wirklich so hart sei,) gab sie mir sofort die Genehmigung.
Schnell rief ich meine Tochter an, bat sie mich abzuholen, da ich dringend etwas zu erledigen hätte.
Ramona brachte ihren Bruder mit. Renes Begrüßung fiel recht kühl aus. Erstaunt, aber schweigend begleiteten mich die Beiden in die einige Kilometer entfernte Kinderklinik.
Auf der Säuglingsstation mussten die Beiden vor der Isolierabteilung warten. Durch eine große Glaswand konnten sie dann zusehen, dass ich zu ihrer im Brutkasten liegenden Schwester ging. Vorsichtig streichelte ich das nur viereinhalb Pfund kleine Baby. Dabei liefen mir Tränen der Erleichterung über die Wangen. Durch die Scheibe sahen meine Großen weinend zu.
Schweigend gingen wir danach zu Dritt in meine nahegelegene Wohnung. Da der Entlassungstag nicht fern war, wollte ich mir frische Kleidung mitnehmen. Im Schlafzimmer forderte ich meinen Sohn auf, die freie Ecke des Raumes auszumessen, da ich wissen müsse, ob dort ein Kinderbettchen und eine Wickelkommode Platz hätten.
Mein ansonsten stets gefasster, zurückhaltender Sohn fiel mir weinend um den Hals. Er meinte, er hätte nicht glauben können, dass seine Mutter ein Kind verschenken könne.
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