"Ach tatsächlich?" Murmelte Emilia halblaut und zog skeptisch eine Braue hoch.
Eine Überraschung hm? Was das wohl sein mochte. Sie vermutete, dass es nichts mit dem Inhalt in ihrem Täschchen zu tun hatte.
Zu zweit liefen die beiden die große Villa hindurch, vorbei an etlichen Partygästen, hinunter in das Erdgeschoss. Das Haus war extrem modern. Dr. Salveter, als alleinerziehender Vater, hatte es im maskulinen Stile eingerichtet. Es wirkte alles ein bisschen zu modern, und in zu vielen Grautönen. Nur Mels Zimmer und der Wintergarten hatten eine exzentrische Extravaganz abbekommen. Auf den Wintergarten schlitterte Corrinn mit Emilia im Schlepptau zu. Benjamin und Alexander standen samt Smoking und Krawatten vor der schwarzen Glastür. Alex wirkte genervt und Ben...naja betrunken. Er hatte wohl fünf Gläschen Champagner zu viel gekippt.
Corrinn trippelte an ihnen vorbei und klopfte an die Glastür.
"Mel, wir sind's! Lässt du uns jetzt rein?" Fragte sie neugierig. Die Tür ging auf und wogender blauer Tüll kam ihnen entgegen als Mel in ihrem Kleid heraustrat. Sie grinste von einem Ohr zum anderen.
"Na, seid ihr schon Neugierig?!" Fragte sie spitzbübisch und strahlte sie begeistert an.
"JA!" Platzte Corrinn heraus. Ben nickte nur mit halb geschlossenen Liedern und Alex grunzte. Emilia reagierte gar nicht, sie sie spürte das Gewicht der Drogen in ihrer Tasche.
"Kommt rein!" Forderte Mel sie auf und kicherte. Der Wintergarten glich einer von Kräutern und Pflanzen zugestellten Bibliothek. Mel liebte die Wildheit der Natur und lies Topfpflanzen über die Möbel drüber wachsen. Es verlieh dem Ganzen ein außergewöhnliches Ambiente. In dem Raum war kein Licht eingeschaltet, stattdessen brannten unzählige Kerzen. Und in der Mitte des Raumes lag Mels Überraschung:
"Nicht dein Ernst Mel?! Dafür schleppst du uns von der Party weg?" Fragte Alex, er war schon die ganze Zeit schlecht gelaunt, vermutlich hatte er Stress mit seiner Freundin. Mels Überraschung begeisterte ihn jedenfalls überhaupt nicht.
Corrinns Neugierde und Begeisterung war so schnell verschwunden wie sie gekommen war. Äußerst skeptisch betrachtet sie den kleinen Tisch in der Mitte des Raums.
"Ein Ouija Brett? Also nee..."
Mel sah sie Reihum an und bestrahlte sie mit pure Begeisterung. Emilia fiel es ganz schwer jetzt nicht die Augen zu verdrehen. Mel wollte während ihrer Afterparty eine Seance mit einem klapprigen Ouija Brett abhalten. Das war mit Abstand das klischeehafteste Teenie-Szenario, dass so ziemlich jeden Horrorfilm einleitete.
Mel stand auf so Zeug. Sie war auf alles versessen was irgendwie abergläubisch oder übernatürlich war. Eine der Wenigkeiten die Emilia mit ihr absolut nicht gemeinsam hatte.
„Eine Séance? Das soll wohl ein Scherz sein? Melica, wir wissen das DU ein verrücktes Hexenweib bist, aber WIR sind normal, das ist doch dämlich...“sagte Alex ungläubig und schnaufte erbost.
Mel hatte für sie eine kleine Geisterbeschwörung vorbereitet.
Emilia betrachtete skeptisch das Brett
„Mel, das ist viel zu gruselig. So eine Aktion hätten wir doch auch... ich weiß nicht, mit Tageslicht veranstalten können.“ sagte Corrinn zögerlich und verschränkte missmutig die Arme.
„Ja, aber dann hätte es nicht diesen Kick! Sowas gehört sich zur Geisterstunde!“ Mel war übermäßig begeistert.
„Mitternacht ist schon lange rum.“ Bemerkte Emilia übermäßig unbegeistert.
„Ihr Unwissenden, die richtige Geisterstunde ist um drei Uhr morgens!“
„Na schön! Bringen wir es hinter uns“ entnervt ließ sich Alex auf den dunklen Boden plumpsen. Corrinn tat es ihm nach, wenngleich sie darauf achtete ihr Kleid nicht zu verknittern. Mel liebte diese Sachen, sie liebten Mel, also wollten sie ihr die Freude lassen und spielten mit.
Emilia sah Mel immer noch mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Am liebsten hätte sie ihr den Inhalt ihrer Tasche auf das Ouija Brett geknallt und mit erhobenem Finger eine Erklärung verlangt. Aber nein, vor den anderen war das keine gute Idee. Sie würde sich bis nach der Geistersitzung gedulden müssen. Mel sah sie leicht verwirrt an, sie verstand den Blick nicht den sie von Emilia kassierte. In der Hoffnung das ganze rasch hinter sich zu bringen ließ sich Emilia zu Boden sinken. Ben der für jeglichen Widerspruch sowieso zu betrunken war, plumpste einfach auf seinen Hintern. Ein Grinsen breitete sich wieder auf Mels Gesicht aus. Schweigend sahen sie zu, wie Mel verschiedene Dinge positionierte und ihnen erklärte wofür man was brauchte: Eine Kerze, für Feuer stellte sie näher an das Brett. Etwas Erde aus einer Dose, Wasser aus einer kleinen Flasche und eine Feder, die den Wind symbolisieren sollte. Sie verteilte all die Dinge rund um das Oval, in jeweils einer der vier Himmelsrichtungen. Auf der Mitte des Brettes war eine kleine schwarze Einkerbung. Mel zog ein kleines Messer hervor und hielt es über die Flamme einer Kerze.
„Zu guter Letzt“ sagte sie leise; „einen Tropfen reinen Blutes… sprich einer Jungfrau.“
Nacheinander blickten sie alle Emilia an.
Emilia sah aber nur gebannt auf das Brett, sodass sie das nur mit leichter Verzögerung bemerkte.
„Was seht ihr mich so- Oh NEIN! Vergesst es, ganz bestimmt nicht. Von mir bekommt ihr kein Blut. Am Ende bin ich noch verflucht oder so was!“ wehrte sie vehement ab und fuchtelte mit den Händen.
„Komm schon Lia! Von uns bist du die einzige, deren Blut wir nehmen können.“ Sagte Corrinn.
„Ach traust du dich nicht? Ich dachte du glaubst sowieso nicht an sowas?!“ sagte Mel mit herausforderndem Ton. Es sollte witzig klingen, aber Emilia war überhaupt nicht zu spaßen zumute. Sie hätte Mel viel lieber patzig angemault. Sie konnte das Gewicht der Drogen direkt spüren. Statt dass sie Mel Vernunft einprügeln konnte musste sie erst so ein bescheuertes Spiel spielen.
„Tu ich auch nicht.“ Glühte sie Mel so richtig schön passiv aggressiv an. Mel blinzelte schon wieder verwirrt, tja sie hatte immer noch keinen Plan was Emilia alles wusste.
„Äh..., na dann trau dich doch einfach. Sollte kein Problem sein oder?“ sagte Melica etwas verunsichert.
Nein, es hätte eigentlich kein Problem sein dürfen. Emilia glaubte nicht an Geister oder Gespenster oder sonst irgendetwas. Eigentlich glaubte Emilia an gar nichts. Weder an mystische Kräfte, esoterischen Hokuspokus noch an sonst irgendetwas übersinnlicher Natur. Sie glaubte nicht einmal an Gott oder Religion. Emilia glaubte das, was sie sah und an die Wissenschaft. Auf den Himmel vertrauen zu können, wäre so schön einfach, machte in ihren Augen aber keinen Sinn. Beten löste keine Probleme.
„Ja. Ist kein Problem. Na schön!“ Sagte sie abgehackt.
Widerwillig streckte sie die Hand aus. Sie hatte wenig Lust sich in den Finger ritzen zu lassen, das tat nämlich trotzdem weh. Sie wollte aber Mel nicht zugestehen, dass ihr das Holzbrett Angst machen könnte.
Es war ein kurzer schneller Schnitt in ihren Zeigefinger. Schon landete ein kleiner Tropfen ihres Dunkelroten Blutes in der schwarzen Einkerbung.
Mel wies sie an, sich an den Händen zu halten. Das Ganze hatte was von einer Kindergartengruppe, die gleich ein Lied zusammen singen würden.
„Schließt die Augen und Konzentriert euch. Ruft nach einer toten Seele. Spürt die Energien der Vergangenheit…“
„Hey GRANDMA-„brüllte Ben und alle zuckten vor Schreck zusammen.
„Nicht laut du Schwachkopf!“ Quakte Mel ihn von der Seite an: „In deinen Gedanken!“
„Achsoooo.“ Sagte Ben aufgeklärt. Alle bis auf Mel brachen in Gelächter aus.
„Oke oke, jetzt konzentriert euch!“ forderte Mel sie tadelnd auf. Na schön.
Alex neben ihr, konnte sich ein kurzes spöttisches Glucksen nicht verkneifen und auch Emilia tat sich schwer damit nicht verächtlich zu schnaufen. Nach wem sollte sie rufen? Hallo? Werter Toter Herr, möchten sie mir erzählen wie es dazu kam, dass sie die Radieschen von unten sehen. Schwachsinn. Eine ganze Weile saßen sie so da und Emilias Gedanken entglitten ihr. Fort von der Party, fort von Mel, fort von den Drogen.
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