1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 Wie auf Stichwort trat der Blondschopf dazwischen. „Was hast du gesagt?“ knurrte er.
Er trat demonstrativ nah an Ben heran.
„Hast mich schon verstanden, Abschaum“ murrte Ben. Er überragte den Blonden zwar um ein paar Zentimeter, aber unter dessen eisigen Blick, büßte er Selbstsicherheit ein.
„Du nennst mich Abschaum? Und was bist du? Was bist du ohne das Geld deines Papis?!“ zischte er. Es war für ihn nicht nötig laut zu sprechen. Das leise Droh geschwellte Zischen verfehlte seine einschüchternde Wirkung nicht.
Ben wollte zum Schlag ausholen, doch jemand hielt seinen Arm zurück. Es war Emilia, unterstützt von Corrinn, die sofort zu ihrer Seite war.
„NICHT!“ sagte sie bestimmt. Emilia trat vor Ben und legte ihm beschwichtigend aber hartnäckig die Hände auf die Schulter.
„Lass Gut sein Ben.“ sprach sie eindringlich, blickte dann zu dem Blondschopf und wiederholte: „Er ist es nicht wert!“
Der Blonde musterte sie verächtlich und durchbohrte sie mit seinen schwarzen Augen.
Corrinn trat ebenfalls vor: “Ich habe gerade die Polizei gerufen! Verschwindet wenn ihr nicht im Knast landen wollt.“
Der Blonde schenkte ihr keinerlei Beachtung, drehte sich einfach um und ging. Ohne weitere Worte zogen sich der Trupp zurück und marschierten aus dem Haus.
Mel drehte sich blitzschnell zu Corrinn herum: "Hast du wirklich die Polizei gerufen?" Fragte sie atemlos.
"Ja, wieso?" antwortete Corrinn und zog die Brauen zusammen.
Emilia sah zu wie Mel in Panik geriet, herumwirbelte und Hals über Kopf hinaus in den Garten lief.
"Warte MEL!" rief Emilia. Was hatte Mel den jetzt schon wieder vor? Sie hatte es satt ihr hinterher zu laufen, als wäre sie ein Hund und Mel ein Stöckchen. Trotzdem folgte sie ihr hinaus.
Der Garten der Salveters war überdimensional groß. Dementsprechend konnte man sich hervorragend verstecken. Vor allem um drei Uhr morgens, wenn alles dunkel und finster war und eine laute Party im Haus für Getöse sorgte (Wobei, dadurch dass Corrinn die Polizei gerufen hatte, war die Party sicherlich gerade dabei sich aufzulösen).
Emilia stand auf der großen Terrasse und sah sich um, die hell erleuchteten Fenster spendeten ihr Licht. Alles außerhalb der Lichtkegel war pechschwarz. Die kühle Nachtluft umkräuselte ihre Nase und kühlte ihre aufgeheizte Stirn. Es roch nach feuchtem Gras und ein paar Grillen zirpten ihre Takte.
Sie hörte ein knirschendes Geräusch und sah einen Fetzen Tüll aufblitzen der gerade an einem Busch vorbei huschte. Wollte Mel jetzt weglaufen oder was? Sehr sinnig. Dachte Emilia sarkastisch und eilte ihr sofort hinterher in die schwarze Nacht. „Mel!“
"Komm schon Mel, ich kann dich sehen, hör auf davonzulaufen!" Schnaufte sie, während sie dem roten Haarschopf folgte der vor ihr davon hüpfte. Ab und zu wurden sie vom silbrigen Mond beschienen.
Mel wurde immer schneller, seit wann konnte sie so schnell rennen? Außerdem lief sie merkwürdig. Sie bog nach links und rechts, lief unter Ästen hindurch und wurde dabei so schnell, dass Emilia nur mehr hin und wieder ihre Haare sehen konnte.
Emilia sah sie ruckartig nach rechts abbiegen. Eigentlich dachte sie, dass sie Mels Garten recht gut kannte, aber jetzt hatte Emilia die Orientierung total verloren. Wie groß war das Anwesen bitteschön? Bei Tage war eben doch alles anders. Sie konnte das Haus in der Dunkelheit gar nicht mehr sehen und ihr ging allmählich die Puste aus. Sie wollte Mel gerade um die Kurve folgen, da musste sie eine Notbremsung einlegen. Sie stand vor einer Tür. Sie waren am Rand des Grundstücks angelangt und vor Emilia erhob sich eine hohe Betonmauer. Direkt vor Emilia befand sich in dieser Mauer eine Tür. Eine dunkle, unscheinbare Metalltür.
Emilia kannte Mels Garten, sie war hier praktisch aufgewachsen, und sie hatte noch nie eine Tür in dieser Mauer gesehen. War die neu? Sie sah nicht neu aus, nein, sie schien sogar zu rosten.
"Mel?!" Fragte Emilia zaghaft und stupste die Tür zart an. Sie schwang sofort auf und dahinter war nichts außer schwarze Dunkelheit. Tief schwarze und unheilschwangere Dunkelheit. Emilia lauschte, wie seltsam, dass sie die Geräusche des Hauses gar nicht mehr hören konnte. Ein plötzliches und ziemlich nahes Kichern ließ sie entsetzt zusammenzucken. "Mel! Hör auf, das ist nicht lustig!" Rief Emilia. Sie war sich sicher, dass Mel gekichert hatte um sie gelungener Maßen zu erschrecken, also... ziemlich sicher.
"Mel?" Fragte sie, nun leicht verunsichert. Ok, das war doch irgendwie gruselig und unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen.
Es kicherte erneut, das war für Emilia Antwort genug und sie trat durch die Tür. Ein heftiger Windstoß blies ihr durch das lange braune Haar und mit einem Rums ließ der die Tür zufallen. Eisig erschrocken fuhr Emilia herum. Sie wollte die Tür wieder aufstoßen, doch von dieser Seite aus hatte die Tür keine Klinke. Ganz ruhig, ihre Nerven spannten sich unangenehm an. Sie stand jetzt nur in der Dunkelheit, auf einem unbeleuchteten Weg, in unbekannter Umgebung, mit dem Mond als einzige Lichtquelle. Alles war in Ordnung, alles war okay, alles war nicht gruselig. Ein kleines Mantra, dass Emilia in ihrem Kopf wiederholte, während sie sich an den Armen rieb. Sie hörte Schritte. Das musste Mel sein. Sie nahm einen roten Schimmer aus den Augenwinkeln wahr, der im Dunklen verschwand. Zaghaft bewegte sich Emilia vor und folgte dem Geräusch der Schritte. Die Tür war zu, zurück konnte sie so oder so nicht mehr.
"Melica, das ist echt nicht mehr witzig! Ich werde die Sache von vorhin auch erstmal ruhen lassen okay?!"
Als Antwort kam wieder nur Mels komisches Kichern hinter den Bäumen hervor. Ihre Schritte setzten erneut ein und Emilia folgte widerstrebend ihrem Klang, was sollte sie sonst tun. Die Stille bekam etwas Erdrückendes. Das spärliche Licht des Mondes tunkte alles in noch schaurigere Schatten. Emilia konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Dementsprechend kam sie nur langsam voran. Das Plätschern von Wasser drang an ihre Ohren. Moment mal, waren sie etwa an den Dharlingfluss gelangt? Wie konnte das sein, der befand sich ein paar Kilometer von Mels Villa entfernt.
Die Bäume lichteten sich und gaben den Blick auf den breiten Fluss direkt vor Emilia frei. Wo zum Henker war sie da gelandet? Wilde Wassermassen strömten in dunklen Tiefen vorwärts. Sie sah eine alte klapprige Brücke, so schmal, dass höchstens ein Mensch auf einmal sie passieren konnte. Auf der Mitte der Brücke stand eine dunkle Gestalt. Bei dem Anblick sackte ihr das Herz kurz in die Hose, das sah einfach viel zu gruselig aus.
"Melica?" Fragte Emilia zaghaft, während eine Gänsehaut ihre Arme hochkroch. Da setzte sich die Gestalt in Bewegung und überquerte die Brücke aufs anderer Ufer.
Emilia starrte ihr hypnotisiert nach. Sie hatte diese Brücke noch nie zuvor gesehen, geschweige denn von ihr gehört. Das Teil schien mehr als nur instabil zu sein. Sie kannte viel zu viele Geschichten von Menschen die in den Strömungen des Dharlingflusses ertrunken waren. Nichtsdestotrotz war sie so hypnotisiert von Mels eigenartigem Verhalten, dass sie ihr über das Klappergestell folgte. Wohlwissend tödliche, nasse Massen unter sich zu haben. Auf der anderen Seite befand sich eine Ziegelstein Mauer und sie sah sehr, sehr alt aus. Emilia sah wie die Gestalt von Mel sich bückte und in der Mauer verschwand. Ok, was?!
Emilia beschleunigte zu der Stelle. In der Mauer befand sich eine winzige, offenstehende Tür, gerade groß genug für ein Kind. Sie war aus Holz, mit Pflanzen überwuchert und mit Spinnenweben behangen. Sie hatte sogar ein altes lädiertes Schloss, aber es war aufgebrochen.
Sie quetschte sich durch die kleine Tür und schlüpfte hindurch in den wundervollsten Garten den Emilia je gesehen hatte. Nachdem sie ein paar Äste beiseitegeschoben hatte, überblickte sie die mondbeschienene Landschaft. Die Natur hatte sich über all die Jahre hinweg ihr Gebiet zurückerobert. Pflanzen und Blüten rankten sich über längst vergessene Statuen und zerbrochene Büsten.
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