„Reik, wie schön, dich heil und gesund wieder hier zu haben!“, begrüßte Sandar ihn herzlich.
„Tut gut, wieder hier zu sein. Du hast hoffentlich nicht lange auf mich warten müssen?“
„Bin gerade erst gekommen“, beschwichtigte ihn Sandar.
Sie begaben sich nach nebenan, in das Arbeitszimmer des Hauptmanns der Garde. Der große, lichte Raum wurde dominiert von einem schweren Schreibtisch aus dunklem Holz, vor dem drei bequeme Sessel standen. An den Wänden wechselten sich breite Schränke mit hohen Regalen ab, rechter Hand führte eine unauffällige Tür ins noch größere Sitzungszimmer, in dem die regelmäßigen Treffen der Gardehauptleute stattfanden.
Reik ließ sich hinter den Schreibtisch nieder, die Fenster im Rücken, während Sandar in einem der Sessel Platz nahm und seufzend die langen Beine ausstreckte.
„Und, erzähl. Wie war’s da unten im Süden?“, erkundigte Sandar sich neugierig. „Dein Mädchen habe ich ja gestern schon erlebt.“
„Sie ist nicht mein Mädchen“, gab Reik gelassen zurück. „Hat Bro die ganze Geschichte nicht schon ein Dutzend Mal erzählt?“
„Pah, Bro. Du weißt, dein Onkel und ich haben’s nicht so miteinander. Leckt der Hohen Frau die Füße …“
Reik unterdrückte ein Grinsen. „Deine Verbindung zum Haus Sekassne wird demnächst sogar noch enger sein, wenn du erst Lucinda geheiratet hast.“
Sandar verzog das Gesicht. „Eine Entscheidung der Familie, weniger meine. Du lenkst ab.“
„War nicht meine Absicht. Und so viel gibt es gar nicht zu erzählen, da unten … Jenseits der Tameran-Kette ist vor allem Wald, dichter, nahezu unberührter Wald, Bäume, Bäume und nochmals Bäume. Versteckt und sehr vereinzelt findest du kleine Dörfer, winzige Weiler mit verängstigten, verdreckten Bewohnern, es ist …“ Abwehrend schüttelte er den Kopf. „Nicht schön, wirklich nicht schön, wie die Leute leben, sehr ärmlich. Selbst an einem Ort wie dieser ‚Burg‘ Ogarcha leben höchstens hundertfünfzig Menschen.“
Reik bemühte sich, seinen Unwillen zu verbergen. „Sie selbst nennen es Burg, dabei ist es eine Ansammlung heruntergekommener, verrotteter Gebäude, in der ein paar Familien leben, oder eher hausen, direkt neben dem Dorf, das die Burgbewohner versorgt und bedient. Ein dummer Zufall, dass wir geradezu über diese Kerle gestolpert sind, die sich sofort bedroht fühlten und angriffen. Tja, und mein Onkel hat seine Leute nicht sonderlich gut unter Kontrolle, also haben wir Ogarcha … erobert.“
„Ihr habt also nur durch Zufall, durch eine Verkettung unglücklicher Umstände dieses Mädchen, Loranas Zauberin, gefunden?“, wollte Sandar wissen.
„Na ja …“ Er zuckte die Achseln. „Nennen wir es eine glückliche Fügung.“
Sandar musterte ihn eindringlich. „Du klingst nicht sehr überzeugt.“
„Von ihr? Oh, Gènaija ist überzeugend, sie ist großartig, fantastisch, alles. Ich habe nur meine Zweifel, wie sie auf einen Krieg Einfluss nehmen soll. Dafür braucht es ganz andere Fähigkeiten.“
„Entschuldige die dreiste Frage, aber was genau kann die Kleine denn?“, beharrte Sandar.
Reik zuckte einmal mehr die Achseln. „Träumen.“ Sie hatte vom Krieg geträumt. In ihrer ersten Nacht im Tempelbezirk in Manduras Hauptstadt Samala Elis. Und er hatte ihr nicht davon erzählt, mochte Lorana glauben, was sie wollte. Gènaija kannte diesen Traum, diese Vision nicht von ihm. Aus seinen Gedanken? Aber das konnte nicht sein, dann hätte sie ihm doch etwas gesagt.
Er hätte vielleicht im Bezirk bleiben und sie darauf ansprechen sollen. Aber dazu war später noch Zeit. Sollte sie erst einmal in Ruhe ankommen und sich in dieser völlig neuen Umgebung eingewöhnen.
„Offenbar sieht sie in ihren Träumen, Alpträumen, die Zukunft. Sie wusste , dass wir kommen. Und sie sah den Überfall … Hinterhalt der Ostländer bei den Dunklen Höhen voraus. Andere Dinge. Sie kann verdammt gut mit Tieren umgehen, sie … lenken, beeinflussen. Und … angeblich kann sie Gedanken lesen, deine, meine ...“ Er unterdrückte ein Grinsen. „Nur braucht sie dazu keine Hilfsmittel, keine Drogen. Wohingegen Bro nicht in ihre Gedanken kam, dabei hat er es mit aller Kraft versucht.“
Sandar stieß die Luft aus. „Ein wirklich interessantes Mädchen, und so überaus … Ich liebe ihre roten Locken, und ihr Akzent ist hinreißend.“
„In der Tat.“
„Erzähl mir nicht, sie wäre nicht dein Mädchen, Reik“, lachte Sandar schelmisch. „Ich habe gesehen, wie du sie angesehen hast. Und sie dich. Also nimm sie dir.“
„Wie?“ Reik stutzte, schüttelte irritiert den Kopf.
„Ernsthaft, die Kleine ist entzückend, bildschön. Heirate sie, bevor es ein anderer tut, Reik. Ich würd‘ keine Sekunde zögern.“
„Sandar …“
„Deinem Vater gefällt sie auch.“ Wieder lachte Sandar, ein Lachen, dessen Unterton Reik nicht gefiel. „Ich hab‘ mich gestern ernsthaft gefragt, wer verführt hier eigentlich wen.“
„Wovon redest du?“
„Ich rede zu viel, fürchte ich.“ Sein Vetter, ein erfahrener Mann, jemand, mit dem er gut auskam, den er als Freund bezeichnen würde, biss sich auf die Lippen. „Entschuldige bitte, manchmal ...“
Das Klopfen an der Tür unterbrach Sandar.
„Ja?“, rief Reik ungeduldig, aber zugleich erleichtert über die Unterbrechung.
„Hauptmann Domallen“, begrüßte Hauptmann Davian ihn förmlich, nickte Sandar flüchtig zu. „Komme ich zu spät?“
„Ihr kommt gerade recht, würde ich sagen“, erklärte Sandar etwas zu hastig.
„Hauptmann Davian, setzt Euch“, forderte Reik den wie üblich grimmig dreinblickenden, nur wenige Jahre älteren Mann auf. „Kann ich Euch etwas zu trinken anbieten?“
„Danke, ich hatte bereits …“, Davian grinste kühl, „Euren Onkel beim Frühstück getroffen. Der Mann wird ziemlich redselig, wenn er zu viel getrunken hat.“
„Dann … gehe ich davon aus, Ihr wisst bereits alles Wichtige, und ich muss Euch nichts mehr erzählen?“
„Hängt davon ab, was Ihr mir erzählen wollt, Hoheit.“
Reik unterdrückte ein Grinsen. „Jedenfalls nicht alles. Im Augenblick interessiert mich die Stimmungslage in Kalimatan viel mehr.“ Hauptmann Berit Remasseys Bericht über die Geschehnisse im Grenzgebiet, die gehäuften Überfälle war besorgniserregend.
„Angespannt und unruhig. Ich hatte Dessum ja schon verlassen, bevor ihr Euer Ziel erreicht hattet, kann also nicht von direkten Reaktionen berichten. Allerdings habe ich auch zuvor keine Gerüchte über eine Magierin, eine Zauberin oder eine Hexe gehört. Dieses Mädchen war bislang kein Thema.“
„Und das beunruhigt Euch?“, wollte Reik wissen.
„Nein. Aber ich wundere mich darüber … ein bisschen. Die Kleine ist ja nicht gerade unauffällig. Anderes Thema: Sind Euch auf dem Ritt ein paar Kandidaten für die Garde ins Auge gefallen?“
„Ihr braucht mehr Männer, Davian?“
„Meine Einheit könnte drei, vier fähige Männer durchaus gebrauchen, ich gebe mich aber auch mit einem oder zwei zufrieden“, lenkte Davian ein. „Torn und dieser Jula.“
„Jula?“ Sandar schüttelte den Kopf. „Was willst du mit diesem Weiberheld?“
„Hast du den Jungen mal mit dem Stock gesehen? Er ist verdammt gut“, urteilte Davian knapp.
„Jula wollte ich für meine Einheit, aber Torn kann ich Euch versprechen“, entschied Reik.
„Einverstanden.“ Der Hauptmann streckte sich und ließ den Blick zwischen ihm und Sandar hin- und herwandern. „Wollt Ihr den gesamten Vormittag verplaudern oder noch ein bisschen trainieren?“
„Vielleicht solltet Ihr erst einmal Euren Rausch ausschlafen, Hauptmann?“, stichelte Reik.
„Ich bin keineswegs betrunken, falls Ihr das andeuten wollt, Hoheit“, gab Davian, dessen unsteter Blick etwas anderes sagte, kühl zurück. „Ich vertrag‘ einiges mehr als Bro, also … paar Runden im Stockkampf zum Warmwerden und anschließend weiter mit dem Schwert?“
Читать дальше