1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Ewen trat an den Schrank und schob den Vorhang beiseite. Er war erstaunt, als er dahinter ein säuberlich gemachtes Bett vorfand. Eine Tagesdecke war über die Bettdecke und das Kopfkissen gezogen, einige kleine Zierkissen lagen verstreut auf dem Bett. Dieses Bett, das bestimmt schon mehr als 150 Jahre auf dem Buckel hatte, war ein absolut antiquarisches Stück. Es handelte sich um eines jener Schrankbetten, von denen der Wirt, Tanguy Kerlann, ihnen bei ihrem Urlaub erzählt hatte. Früher fand man sie wohl in beinahe jedem Haus auf der Insel.
Das Haus machte einen sauberen und gepflegten Eindruck, erstaunlich für einen Männerhaushalt. Ewen war klar, dass sie hier nicht viel Zeit für eine sorgfältige Durchsuchung verbringen mussten. Die wenigen Gegenstände, und die klare Übersichtlichkeit, würden ihre Arbeit zu einem Kinderspiel werden lassen.
Paul sah Ewen an, der neben ihm stand und den Raum betrachtete.
„Der Mann ist mit wenig zufrieden gewesen. Kein Fernseher, kein Radio, ich sehe noch nicht einmal eine Tageszeitung.“
„Stimmt, hier hat man den Eindruck, im Mittelalter zu leben.“
„Aber ein Handy hat er besessen, das hat Dustin doch gefunden.“
„Ja, auch sein Boot war bestens ausgestattet. Freizeit kannte der Fischer wohl nicht.“
Während Paul sich den Raum vornahm und sorgfältig die wenigen vorhandenen Schubladen durchforstete, stieg Ewen die Treppe zum Obergeschoss hinauf. Auch hier oben war alles sehr übersichtlich. Der Raum wurde nur durch zwei kleine Fenster an den beiden Giebelseiten des Hauses erhellt. In der Dachschräge waren einige ältere Netze gelagert, sowie alte Positionsleuchten, Taue und weiteres Schiffsmaterial. Drei Stühle, noch älter als die im Wohnraum, standen auf der einen Seite und ein alter Schrank in der Mitte des Raumes. Ewen öffnet den Schrank, und sein Blick fiel auf ein sorgfältig zusammengeschnürtes Paket. Er nahm es aus dem Schrank und stellte fest, dass sein Gewicht recht beachtlich war. Er schätzte es auf mindestens zehn Kilo. Was verbarg sich wohl in dem Paket?
Ewen nahm es mit nach unten. Paul war mit seiner Durchsuchung bereits fertig und wartete schon auf Ewen.
„Was hast du denn gefunden?“, fragte er seinen Kollegen.
„Das kann ich noch nicht sagen, wir müssen es erst auspacken. Es hat oben in einem alten Schrank gelegen. Ich habe fast den Eindruck, dass Noret das Paket dort nur deponiert hat. Sieht aus, als sei es schon vor längerer Zeit dort abgelegt worden. Sieh nur den ganzen Staub.“
Ewen versuchte jetzt vorsichtig die Verschnürung des Paketes zu lösen und das Ölpapier abzunehmen. Die beiden Kommissare staunten, als sie die dicke Schicht Papier entfernt hatten und vor ihnen zehn einzelne Kilopakete Heroin lagen, jedes wieder sorgfältig in Plastikbeutel verpackt. Handschriftliche, arabische Schriftzeichen, deuteten daraufhin, dass derjenige, der das Paket zusammengeschnürt hatte, aus dem vorderen Orient oder aus dem asiatischen Raum stammte.
„Das hätte ich jetzt allerdings hier nicht erwartet“, sagte Ewen und sah Paul fragend an.
„Ich auch nicht. Wie kommt ein Fischer zu zehn Kilo Heroin? Das ist doch ein Vermögen wert, auf dem Schwarzmarkt.“
„Vielleicht hat er es aus dem Meer gefischt?“
„Leider kann uns das Paket nicht erzählen, woher es kommt und welche Reise es bereits hinter sich hat.“
„Wäre auch zu schön, aber vielleicht kann Dustin ihm doch noch einiges an Informationen entlocken.“
Ewen und Paul machten sich auf den Weg zurück ins Kommissariat. Als sie mit ihrem Paket eintrafen, sahen sie in die erstaunten Gesichter von zwei Gendarmen.
„Was haben Sie denn bei Marc Noret gefunden, Monsieur le commissaire?“, fragte André Leriche Ewen, als der sein Fundstück auf den Tisch gelegt hatte.
„Reines Heroin, ganze zehn Kilo.“
„Zehn Kilo Heroin! Das hätte ich dem alten Marc nicht zugetraut.“
„Es stammt wohl auch nicht von ihm. Ich gehe eher davon aus, dass er das Heroin aus dem Meer gefischt hat. Ich lasse die Verpackung und das Heroin sofort von unserem Labor untersuchen. Vielleicht finden sich ja Spuren auf der Verpackung oder auf den einzelnen Päckchen. Jetzt haben wir aber wenigstens einen ersten Hinweis.“
„Ich informiere sofort Dustin und sage ihm Bescheid, dass wir ihm unseren Fund per Hubschrauber schicken.“ Paul griff zu seinem Mobiltelefon und wählte Dustins Nummer.
„Doch nun zu ihren Ermittlungen, Kollege Leriche. Haben Sie etwas über die Yachten und Boote auf Ouessant herausgefunden?“
„Durchaus, wir haben auf der Insel lediglich sieben registrierte Yachten. Sie gehören alle, bis auf zwei, langjährigen Bewohnern der Insel, was nichts zu bedeuten hat. Die einzigen Ausnahmen sind das Boot von Monsieur Marechal, dem Algenzüchter, der sich vor zwei oder drei Jahren hier niedergelassen hat und eine Algenzucht aufbauen will. Zurzeit hat er bereits zehn oder zwölf Leute beschäftigt. Sein Boot, die Princesse de Paris, ist eines der schönsten Boote von Ouessant und wahrscheinlich die größte Privatyacht hier. Die andere Yacht gehört einem Monsieur aus Marseille, den Namen muss ich noch herausfinden.“
„Hmmm, vielleicht sollten wir mit Monsieur Marechal ein Gespräch führen? Haben Sie auch schon überprüft, ob die beiden Yachten an dem Tag unterwegs gewesen sind?“
„Noch nicht, die Überprüfung will ich mit dem AIS machen.“
„Geht aber nur, wenn das System eingeschaltet gewesen ist, soviel habe ich schon gelernt.“
„Stimmt, nur dann können wir etwas darüber erfahren. Hoffen wir es einmal.“
André Leriche machte sich auf den Weg.
„Paul, wir beide sollten uns mit Monsieur Marechal unterhalten. Am besten sofort morgen in der Frühe.“
Alain Marechal wartete in seinem Haus auf die Dame von France 3. Das Fernsehen hatte um ein Interview gebeten, da der Sender einen Bericht über die Zucht und Nutzung von Algen bringen wollte. Ökologie und Umweltschutz waren in aller Munde, und da passte die Algenzucht sehr gut ins Bild. Dass der Unternehmer aus Paris dafür die Insel Ouessant ausgesucht hatte, gab dem Ganzen einen weiteren, angenehmen Nebeneffekt. Die Insel, die gerade noch vier Fischer besaß und ansonsten nur noch von den geringen Mengen Honig und vom Tourismus lebte, war arm an Arbeitsplätzen. Die Jugend der Insel ging eher aufs Festland, und so lief Ouessant Gefahr, eine Insel von alten Menschen zu werden. Jetzt kam dieser Unternehmer und wollte mindestens zwanzig Arbeitsplätze schaffen.
Als es an der Haustür klingelte, war es kurz nach zehn Uhr am Vormittag. Alain Marechal rechnete um diese Zeit mit dem Team von France 3. Schließlich mussten auch die Filmleute mit dem Schiff von Brest, oder Le Conquet, auf die Insel kommen, falls sie nicht mit dem Flugzeug anreisten. Alain öffnete die Tür und ließ das Team ins Haus.
„Bonjour, Monsieur Marechal, Denise Vallone, wir haben miteinander telefoniert.
„Treten Sie ein, Madame Vallone. Ich freue mich, dass Sie sich für mein Unternehmen interessieren.“
Alain Marechal zeigte sich von seiner besten Seite und führte das Fernsehteam in sein Wohnzimmer.
Vor drei Jahren hatte er zwei nebeneinander liegende, alte Granithäuser erworben, hatte die Häuser miteinander verbunden und sie vollständig renoviert. Marechal war jetzt stolzer Besitzer des größten Hauses auf Ouessant. Von außen ähnelten die Häuser den alten Fischerhäusern der Insel. Die Fenster waren mit großen Granitblöcken eingefasst, das Mauerwerk war unverputzt, um die Granitsteine zur Geltung zu bringen. An den Giebelseiten ragten die zwei typisch bretonischen Kamine in den Himmel, die Fensterläden waren blau angestrichen. Das ganze Areal war von einer geschichteten Steinmauer umgeben, die es mit den Stürmen, die in den Wintermonaten über Ouessant hereinbrachen, aufnehmen konnte. Die Steine waren über und über mit Moos und Flechten bedeckt und leuchteten in den verschiedensten Rot- und Brauntönen. Hinter dem Haus lag der für hier übliche kleine Schafstall, den Marechal aber inzwischen zu einem Backhaus umgebaut hatte. Mit viel Geschmack, war so ein Kleinod entstanden, das Zeugnis eines gewissen Wohlstands war.
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