„Genau so funktioniert es. Ich habe bei unserem Besuch auch gemeint, dass eine Vorspeise von der Küche bereits fest vorgesehen ist.“
„Ich schließe mich dir an. Dann kann ich Austern und Coquilles Saint-Jacques gleichzeitig bestellen?“
„Hört sich doch gut an“, pflichtete Paul Dustin bei. Ich bin auch dabei.“
Damit war es klar, alle drei bestellten das Menu Enez Eusa. Ewen blieb bei einer Vorspeise und bestellte die Coquilles Saint-Jacques à la bretonne, bei Paul und Dustin kam eine Assiette von 6 huîtres creuses dazu.
Paul und Dustin nahmen als Hauptspeise etwas Fleisch, sie entschieden sich für einen Fromveur Burger, während Ewen beim Fisch blieb und ein Filet de lieu jaune wählte. Das Dessert war ebenfalls schnell ausgesucht. Nachdem Ewen ihnen von dem Milchreis erzählt hatte, den es so nur hier auf der Insel gab, bestellten alle einen Riz au lait cuit sous les mottes de Tourbe.
Ewen hatte seinen Kollegen die Besonderheit dieses Milchreises erklärt. Ein Milchreis, der unter den nur auf Ouessant so vorkommenden Grassoden gegart wurde. Dafür benötigte man einen speziellen Ofen, den jede Familie auf Ouessant besaß.
Es brauchte keine Erwähnung, ob ihnen das Essen geschmeckt hatte, nachdem sie die Teller restlos geleert hatten.
Die Flasche Wein, die sie zum Essen bestellt hatten, war noch nicht leergetrunken, so dass die Gläser noch einmal gefüllt werden konnten. Jetzt war eine gute Gelegenheit, um den Tag revue passieren zu lassen und die ersten Ergebnisse zusammenzutragen.
„Wenn ich das richtig sehe, ist der Fischer, Marc Noret, auf dem Meer ohne ersichtlichen Grund erschossen worden. Ich habe nicht den Eindruck, dass von dem Boot etwas gestohlen worden ist. Sein Fang ist noch in den Kisten gewesen.“
„Was sehr gut zu riechen gewesen ist!“, ergänzte Dustin Ewens Ausführung.
„Stimmt“, meinte Paul. „Aber warum erschießt man einen Fischer? Der Mann ist mit einem Scharfschützengewehr erschossen worden.“
„Der Schütze hat zwei Schuss gebraucht. Vielleicht hat er beim ersten Schuss die Waffe verrissen, eventuell wegen einer abrupten Bewegung des Schiffes. Der zweite Schuss, nur wenige Sekunden nach dem ersten, ist tödlich gewesen. Noret ist keine Zeit geblieben, sich noch wegzuducken. Aber zurück zu der Frage nach dem Warum.“
„Nun, wenn nichts gestohlen worden ist, dann könnte es sein, dass der Mann etwas gesehen hat, was er nicht hätte sehen sollen.“ Paul sah die Kollegen fragend an.
„Könnte sein“, meinte Ewen, „aber was kann das gewesen sein?“
„Das herauszufinden wird eure Arbeit werden“, meinte Dustin und lehnte sich gemütlich zurück.
„Meine Arbeit habe ich schon beinahe vollständig erledigt.“
„Aber nur, wenn nichts mehr dazukommt“, ergänzte Ewen Dustins Bemerkung.
„Aber wie können wir Näheres herausfinden?“, fragte Paul.
„Was haltet ihr davon, wenn wir erst einmal überprüfen, welche Schiffe sich zum Zeitpunkt der Erschießung des Fischers in seiner unmittelbaren Nähe aufgehalten haben?“, meinte Dustin.
„Sehr gute Idee, aber wie sollen wir das jetzt noch feststellen?“ Ewen sah Dustin und Paul an.
„Vielleicht kann euch ein kleiner Mann aus der Spurensicherung behilflich sein. Ich kenne mich ein wenig mit der Schifffahrt aus. Also, es gibt, zur Überwachung und zur Rettung bei einem Schiffsunfall, das sogenannte AIS-System. Das ist ein automatisches Identifikations System. Fast alle Boote und Schiffe sind damit ausgerüstet. Auch das Fischerboot von Noret hat über dieses System verfügt, ich habe es gesehen, als wir auf dem Boot gewesen sind. Damit sendet jedes Boot oder Schiff ständig seine aktuelle Position, seine Reisegeschwindigkeit, seinen Zielhafen und vieles mehr an die Erfassungsstelle. Diese Daten werden gespeichert, und damit ist es dann möglich, die genaue Position zu einem gegebenen Zeitpunkt abzulesen.“
„Das hört sich gut an Dustin. Läuft das AIS im Hintergrund ständig automatisch ab?“
„Ja Ewen, sobald es eingeschaltet ist, arbeitet es.“
Das bedeutet, dass ich das System ausschalten kann, wenn ich nicht möchte, dass jemand meine Position kennt?"
„Das ist richtig, aber wer will schon darauf verzichten, dass man ihm im Bedarfsfall zu Hilfe kommen kann?“
„Wenn ich etwas verbergen möchte, dann kann ich mir das durchaus vorstellen. Trotzdem sollten wir uns die Daten besorgen. Dustin, machst du das, du kennst dich damit aus, hast du gerade gesagt.“
„Wird morgen in der Frühe als erstes gemacht.“
„Gut, aber noch einmal die Frage, um was könnte es sich handeln, das auf hoher See nicht gesehen werden darf?“
„Es könnte sich natürlich um Schmuggelgut handeln, das von einem Schiff auf ein anderes verladen worden ist.“
„Wäre eine Möglichkeit Paul, es könnte sich um Rauschgift handeln, das von einem Schiff aus dem fernen Osten über Bord geworfen worden ist, damit es von einem anderen Boot aus dem Meer gefischt werden kann. Der Logbucheintrag, den Dustin gesehen hat, hat den Namen Lan Shanghai gehabt. Vielleicht ist das Schiff darin verwickelt.“
„Rauschgift wäre ein Grund, um einen Mitwisser zu beseitigen. Auch auf dem Festland ist die Mafia nicht sehr zimperlich, wenn es darum geht, einen Augenzeugen aus dem Weg zu schaffen.“
Dustin hatte sich inzwischen schon ganz in die Rolle eines Ermittlers hineingedacht.
„Gut, wir beginnen morgen Früh mit der Ermittlung der Boote und Schiffe in der Umgebung des Fischerbootes von Noret. Danach entscheiden wir den weiteren Fortgang.“
Die drei Kollegen genossen noch ihren Rotwein und zogen sich dann auf ihre Zimmer zurück.
Ewen ließ sich den Schlüssel von Zimmer 10 geben und ging nach oben. Er wollte unbedingt noch Carla anrufen, auch wenn es bereits etwas später am Abend war.
„Hoffentlich habe ich dich nicht geweckt!“, meinte Ewen, als Carla den Hörer abnahm.
„Nein, hast du nicht. Ich sehe mir gerade noch einen Bericht über Ouessant an. Du kennst doch bestimmt die Sendung - des Racines & des Ailes, die von Zeit zu Zeit auf France 3 läuft. Heute haben sie einen Bericht über die Nordküste der Bretagne gebracht, speziell von Ouessant. Sie haben einen Herrn gezeigt, der aus Algen Extrakte herstellt, die dann von diversen Firmen weiterverarbeitet werden. Daraus macht man Kosmetika und vieles mehr. Es ist sehr interessant gewesen. Als wir auf der Insel gewesen sind, haben wir nichts von dem Mann gehört.“
„Interessant, ich werde Kerlann danach fragen. Carla, ich habe in der Eile vergessen, mir vernünftige Schuhe einzupacken. Ich komme mit dem nächsten Hubschrauber zurück. Ich will mir dann ein oder zwei Paar Schuhe mitnehmen. Bist du bitte so nett, mir die Schuhe herauszustellen. Vielleicht auch die Gummistiefel.“
„Das kann ich gerne machen, aber du weißt ja auch wo sie stehen.“
„Ich muss sie immer suchen, ich weiß doch nicht wo sie stehen.“
„Gib zu Ewen, ich habe dich zu sehr verwöhnt. Du musst wieder etwas selbstständiger werden im Haushalt.“
„Das ist nicht nötig Carla, es ist alles gut so. Vermisst du mich wenigstens etwas?“
„Ach Ewen, ich bin noch nicht dazugekommen darüber nachzudenken. An manchen Abenden bist du um diese Zeit auch nicht aus dem Büro zurück.“
Ewen hätte ein deutliches und klares Ja lieber vernommen.
„Ach so, nun, dann kann ich ja auch etwas länger auf Ouessant bleiben.“
„Sei nicht beleidigt, mein Liebling. Natürlich freue ich mich, wenn du wieder hier bist.“
Damit war das Thema jetzt erst einmal beendet. Ewen legte auf und dachte noch ein wenig über den Fall nach. Dann legte er sich ins Bett und schlief sofort ein.
Dustin hatte den Hubschrauber für neun Uhr bestellt. Er und Ewen waren von den Kollegen der Gendarmerie zum Landeplatz gebracht worden. Ewen besprach mit dem Piloten schon während des Hinfluges den Rückflug. Der sollte drei Stunden später stattfinden.
Читать дальше