Jean-Pierre Kermanchec
Weiße Rosen aus Névez
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Inhaltsverzeichnis
Titel Jean-Pierre Kermanchec Weiße Rosen aus Névez Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog
Impressum neobooks
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Impressum
© 2019 Jean-Pierre Kermanchec, Ulrike Müller
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Meer war so ruhig wie schon lange nicht mehr. Von der Pointe de Kerhermén aus, nahe des kleinen Badeortes Kerfany-les-Pins, blickte Jean Audic auf die Wasseroberfläche des Atlantiks, die heute mehr Ähnlichkeit mit einem Ententeich hatte als mit dem gewaltigen Meer, das die Bretonen liebten und fürchteten. Die Fischer aus Guilvinec, Lorient oder Concarneau, konnten ein Lied von den gefährlichen Stürmen des Meeres singen, ganz abgesehen von den Freiwilligen der Seenotrettung, der SNSM. Nicht umsonst war die Seenotrettung an der bretonischen Küste schon vor Jahren ins Leben gerufen worden. An diesem Morgen hatte das Meer seine Bedrohung für einige Stunden verloren. Hunderte von Hobbyseglern waren unterwegs. Es wimmelte von weißen Segeln zwischen den Îles des Glénan, der Küste vor Concarneau und der Mündung der beiden Flüsse, Aven und Belon.
Von seinem Standpunkt aus hatte Jean Audic einen guten Überblick über das gemeinsame Delta der beiden Flüsse, auf den gegenüberliegenden Hafen von Port Manec´h und auf die Îles des Glénan, auf die kleine Île Verte und auf die Île de Groix.
Der Aven war in den letzten Jahren zu einem Liegeplatz für die Boote der Betuchten geworden. Er konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, als hinter der Mole von Port Manec´h nur die Fischerboote lagen. Heute gab es nur noch wenige Fischer, die von Port Manec´h aus aufs Meer fuhren. Die Mehrzahl der Boote, die hier und entlang des Aven vor Anker lagen, diente ausschließlich dem Vergnügen der mehr oder weniger reichen Bewohner, sowie den wohlhabenden Besitzern der Feriendomizile entlang der beiden Flüsse. Den Austernzüchtern am Belon wurde die Invasion der vielen Boote suspekt.
Am schlimmsten waren die Segler, dachte Jean, die rücksichtslosen, unvorsichtigen und unerfahrenen Segler. Sie schätzten das Meer häufig nicht richtig ein und brachten sich und andere in Gefahr.
In der letzten Woche war einer von diesen betuchten Segelbootbesitzern von Kerdruc aus zu einer Tour gestartet, die ihn auf die Belle-Île bringen sollte. Man hatte ihn noch vor dem sich ankündigenden Unwetter gewarnt, aber er hatte die Warnung mit dem Kommentar ignoriert: „Ein Segler hat keine Angst vor dem Meer!“
Er war trotz der Warnung zu seinem Segeltörn aufgebrochen. Die Flut hatte gerade ihren Höhepunkt erreicht, als er mit vollen Segeln von Kerdruc aus den Aven hinuntersegelte. Dass das Meer etwas rauer geworden war, hatte er bereits beim Verlassen des Aven gemerkt, als er Port Manec´h hinter sich gelassen hatte, der Wind hatte kräftig aufgefrischt. Zu diesem Zeitpunkt wäre es eine Kleinigkeit gewesen, umzukehren und wieder in den sicheren Hafen einzulaufen. Er hielt Kurs auf Belle-Île. Keine halbe Stunde später war aus dem anfänglich auffrischenden Wind ein ausgewachsener Sturm geworden, sein Boot begann zu schlingern. Von den sich immer höher aufbäumenden Wassermassen wurde die Yacht regelrecht überrollt, und er verlor den Einfluss zu manövrieren.
Sein Notruf erreichte die SNSM an der Pointe de Trévignon. René Audic, der bei der dortigen Seenotrettung als freiwilliger Helfer aktiv und heute im Dienst war, musste raus aufs Meer. Audic alarmierte seine Kollegen. Bereits nach acht Minuten war die gesamte Schiffsbesatzung des Rettungsbootes AR BEG startklar. Die Besatzung bestieg das Boot, und sie glitten in wenigen Minuten über den Slip aus dem Bootshaus ins Wasser. Der Rettungskreuzer der SNS 127 mit seinen 700 PS verließ den Hafen an der Pointe de Trévignon. Selbst der hatte Mühe, sich durch die gewaltigen Wellen zu kämpfen, die unentwegt auf das Schiff zurollten. Die Seenotrettung von Port Manec´h wäre deutlich näher an dem Segler gewesen, allerdings verfügten die lediglich über ein Zodiac, ein Schlauchboot. Das war bei dem aktuellen Sturm nicht einzusetzen.
Die in Seenot geratene Yacht war mit einem AIS (Automatic Identification System) ausgestattet. Das erleichterte die Ortung, so dass ihre Position genau festgestellt werden konnte.
Die Männer in ihren orangefarbenen Schutzanzügen reagierten gelassen auf das gewaltige Getöse der meterhohen Wellen, die über den Bug ihres Rettungskreuzers hereinbrachen. Das Schiff und seine Besatzung schienen diesen Ungetümen gewachsen zu sein. Die rote Leuchte der Backbordseite und die grüne Steuerbordlampe tauchten abwechselnd aus dem Wasser auf. Die Wassermassen stoben in hohem Bogen zur Seite, und die Gischt legte sich aufs Fenster der Brücke. Der Scheibenwischer arbeitete unermüdlich gegen den ständigen Wasserfilm auf den Fenstern. Marc Jestin steuerte das Schiff durch die Wogen. Für die unerschrockenen Männer der Seenotrettung gehörte ein solcher Einsatz zur Normalität. Ein Notruf bei ruhigem, angenehmem und wenig spektakulärem Wetter war eher die Ausnahme, auch wenn das hin und wieder vorkam. René stand in seiner Schwimmweste und dem Neoprenanzug neben dem Kapitän und hielt mit dem Fernglas Ausschau nach dem Havaristen. Jede Minute zählte bei einem solchen Einsatz. Das Rettungsboot bäumte sich auf und senkte sich. Es war bei dem Wetter keine leichte Aufgabe, den Horizont nach dem Segler abzusuchen.
„Dort ist er!“, schrie René, um gegen das Getöse der Brecher anzukommen. Er und sein Kollege, Louis Colin, bereiteten sich auf die Bergung des Schiffbrüchigen vor. Mit Seilen und Karabinerhaken ausgestattet verließen sie die Brücke, befestigten sich an den vorgesehenen Halterungen am Boot, um sicherzugehen, dass die Wellen sie nicht ins Meer rissen, falls sie ins Wasser springen müssten. Die Wassermassen, die über das Schiff hereinbrachen, zerrten an ihnen und forderten ihre ganze Konzentration und Kraft. Langsam näherte sich das Schiff dem in Seenot geratenen Boot. René warf dem Verunglückten den Rettungsring zu. Der Mann griff nach dem Ring und konnte ihn fangen und halten. Jetzt könnten sie ihn näher ans Schiff ziehen.
„Ich hänge irgendwo fest“, schrie der Mann aus voller Kehle.
„Wo hängen Sie fest?“, rief Louis.
„Meine Beine hängen fest, ich kann nicht sagen woran…“, antwortete der Mann, den Rest seiner Worte verschluckte die nächste Welle.
Renée musste ins Wasser springen, um den Mann von seiner Fessel zu befreien. Mit dem Seil war er am Schiff gesichert, so dass er zu jeder Zeit wieder aufs Schiff gezogen werden konnte. Die Schwimmweste war zwar hinderlich, aber er wollte sich nicht ohne sie in die Fluten stürzen. Das Wasser war kalt, er spürte die Kälte durch seinen Neoprenanzug. Auch für einen ausgebildeten Rettungsschwimmer war diese Aktion eine Herausforderung. Er gelangte mit gewaltiger Kraftanstrengung zum Verunglückten. Jetzt musste er den Mann befreien. Schnell hatte er das Problem erkannt. Eine Segelleine hatte sich mehrfach um sein Bein gewickelt und war durch das Strampeln inzwischen so verheddert, dass er sie nicht so einfach lösen konnte. Der Havarist fuchtelte wild um sich.
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