1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Die Filmleute begannen mit ihren Vorbereitungen. Lampen und Reflektoren mussten aufgebaut und die Helligkeit in dem Raum gemessen werden. Es dauerte beinahe zwei Stunden, bis der Kameramann Denise Vallone das Zeichen zum Start gab. Umgehend begann Denise Vallone mit dem Interview. Monsieur Marechal hatte bereits ungeduldig darauf gewartet.
„Monsieur Marechal, Sie züchten hier auf der Insel Algen im großen Stil. Haben Sie mit der Zucht erst hier begonnen, oder haben Sie schon an anderen Orten Erfahrungen sammeln können? Was beabsichtigen Sie mit den Algen zu produzieren?“
„Madame Vallone, ich darf Sie etwas korrigieren, ich züchte die Algen natürlich nicht auf der Insel, sondern im Meer.“
„Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, das habe ich natürlich gemeint.“
„Nun, zu Ihrer ersten Frage. Ich habe in der Tat bereits Erfahrungen gesammelt. Meine erste Versuchsanlage habe ich in Audierne, genauer gesagt in Esquibien, in der Nähe der Anlegestelle der Fähre zur Île de Sein , sammeln können. Aber die Gegend ist nicht so ideal gewesen. Hier auf der Insel Ouessant bieten sich andere Möglichkeiten. Sehen Sie, Madame Vallone, Algen sind ganz hervorragend zur Lösung eines Großteiles der Probleme, die in der Zukunft auf die Menschen zukommen, geeignet. Zum einen produzieren wir hier Nahrungsergänzungsmittel, die ich an die Nahrungsmittelindustrie verkaufen kann, zum anderen können verschiedene Bestandteile der Algen von der Kosmetikindustrie gebraucht werden. Meine Zuchtanlage ist im Augenblick noch in der Anfangsphase. Ich taste mich langsam an die verschiedenen Möglichkeiten heran, die die Algen bieten. Vielleicht werden wir eines Tages sogar unseren Bedarf an Treibstoff durch Algen lösen können.“
„Treibstoff aus Algen? Das müssen Sie unseren Zuschauern näher erklären.“
„Das ist schnell erklärt, Madame Vallone. Sehen Sie, einige grüne Algensorten haben einen Ölgehalt von bis zu 70%. Damit übertreffen diese Algen um ein Vielfaches den Ölgehalt von Mais oder Raps. Wir wissen inzwischen, dass man daraus Biodiesel herstellen kann. Wir müssen allerdings noch nach neuen und effizienten Aufzuchtmethoden suchen, um die Produktion wirtschaftlich nutzen zu können.“
„Das hört sich spannend an, das alles findet in den Gewässern rund um Ouessant statt?“
„Nun, für eine so groß angelegte Aufzucht von Algen, bietet die Insel zu wenige Möglichkeiten. Es geht bei einer solchen Anwendung um die Frage der Lagermöglichkeit und um die Flächen für die Anlage von Extraktionsanlagen. Aber daran forschen kann man hier auf der Insel natürlich ausgezeichnet.“
Das Interview dauerte noch eine weitere Stunde. Sicherlich würde ein großer Teil des Gesagten wieder herausgeschnitten werden. Aber Monsieur Marechal konnte sich durch diesen Beitrag gut präsentieren.
Nachdem das Fernsehteam sein Haus wieder verlassen hatte, fuhr er mit seinem Auto in den neu geschaffenen Betrieb, nach Feunteun Vélen, ganze 600 Meter von seinem Haus in Godec entfernt. Dort, in einem zweistöckigen Gebäude, arbeiteten bereits zwölf Männer und Frauen an der Verarbeitung des Rohstoffs Alge.
Ewen und Paul verbrachten einen angenehmen Abend im Hotel Le Fromveur. Der Rosé zum Aperitif war ganz nach ihrem Geschmack, und auch das Essen war wieder ausgezeichnet.
Am nächsten Morgen gingen sie sofort nach dem Frühstück in die Gendarmerie. Sie begrüßten ihre Kollegen, und André Leriche, der Kommandant des Postens, berichtete von seiner Nachforschung über den Standort der Yachten. Das Boot von Marechal war laut der Angaben des AIS nicht aus dem Hafen rausgefahren. Allerdings galt dies mit der Einschränkung, dass die Aussagekraft nur bei eingeschaltetem AIS-System zutraf.
Ewen wandte sich an den Kollegen Berthelé:
„Wir sollten mit Monsieur Marechal sprechen. Wissen Sie, wo wir Monsieur Marechal finden können?“
„Normalerweise in seiner Fabrik, in Feunteun Vélen, oder in seinem Haus in Godec.“
„Ich brauche Sie nicht zu fragen, ob es sehr weit bis dorthin ist, nicht wahr?“
Jean-Paul Berthelé musste lachen.
„Nein, sehr weit ist es nicht. Sie nehmen aber besser den Wagen. Bis nach Godec sind es zwar lediglich 1000 Meter, aber bis nach Feunteun Vélen sind es immerhin etwas mehr als drei Kilometer. Hin und zurück also schon sechs Kilometer.“
„Gut, dann nehmen wir den Wagen. Komm Paul, lass uns gehen.“
Die beiden Kommissare bestiegen den alten Wagen der Gendarmerie und fuhren, vorbei an der Kirche Saint-Pol-Aurélien, von Lampaul zur Pointe de Porz Doun. Auch wenn Ouessant nur eine einzige Gemeinde war, so gab es dennoch 92 kleine Dörfer. Einige dieser Dörfer bestanden nur aus zwei Häusern.
Eine bretonische Besonderheit: In der Bretagne kennt man lediglich drei Begriffe für die Bezeichnung eines Ortes. Entweder man spricht von einem Dorf, also village, oder von einer Stadt, einer ville. Der Ort, an dem das Rathaus, die Kirche und die Geschäfte liegen, und der das Zentrum eines entsprechenden landwirtschaftlichen Hinterlandes ist, wird mit dem Begriff bourg versehen. Damit kann eine Stadt kleiner sein als ein bourg, wenn die Stadt keine Rolle für das landwirtschaftliche Hinterland spielt. Die Stadt Saint-Léry hat lediglich 163 Einwohner, während der Bourg Mauron über 2000 hat. Eine Gemeinde kann aber auch mehrere bourgs besitzen. Den im restlichen Frankreich bekannten Begriff hameaux , für einen Weiler, gibt es im Bretonischen nicht. Es reicht aus, wenn zwei Häuser nebeneinander stehen, um ein Dorf, also ein village, zu bilden.
Das Dorf Godec war schnell erreicht und, dank der Beschreibung von Berthelé, fanden sie das Haus von Monsieur Marechal auch sofort. Es war das schönste Haus, das Ewen bis jetzt auf der Insel gesehen hatte. Bei seinem Besuch mit Carla war es ihm überhaupt nicht aufgefallen. Wahrscheinlich weil es sich aus der Entfernung nicht wesentlich von den anderen Gebäuden unterschied. Jetzt aber, als er direkt vor dem Haus stand, erkannte er die Schönheit des Hauses. Auf dem Festland gab es bestimmt Villen, die um ein vielfaches größer und imposanter waren. Dieses Haus aber, passte sich nicht nur der Umgebung an, es bot seinem Bewohner sicherlich auch den richtigen Schutz vor den Stürmen, die besonders in den Herbst- und Wintermonaten die Insel heimsuchten.
Ewen konnte sich noch an ein Haus erinnern, an dem sie vorbeigekommen waren, als er mit Carla in der Umgebung des Leuchtturms Stiff spaziert war. Dessen Schieferdach reichte auf der Westseite beinahe bis auf den Boden, um dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten.
Paul und Ewen betraten den Vorgarten und gingen auf die Eingangstür zu. Sie klingelten und warteten, aber es regte sich nichts im Haus. Auch auf das erneute Klingeln kam niemand an die Tür.
„Dann versuchen wir es in seiner Fabrik“, meinte Paul und ging zurück zum Fahrzeug.
Ein blauer Renault Clio kam ihnen entgegen und hielt unmittelbar hinter ihrem Wagen an. Der Fahrer, ein Mann Ende 30, mit kahlgeschorenem Kopf, stieg aus und kam auf die Kommissare zu.
„Bonjour Messieurs, wollen Sie zu mir?“
„Bonjour Monsieur, wenn Sie Monsieur Marechal sind, dann würden wir gerne mit Ihnen sprechen. Ewen Kerber und Paul Chevrier, mein Kollege, wir sind von der police judiciaire aus Quimper.“
„Police judiciaire aus Quimper? Sind Sie jetzt für Ouessant zuständig?“
„Nein, Monsieur, wir helfen unseren Kollegen aus Brest lediglich aus.“
„Mein Name ist Marechal, kommen Sie doch bitte in mein bescheidenes Häuschen.“
Monsieur Marechal ging auf die Haustür zu, schloss sie auf und ließ die Herren eintreten. Ewen und Paul standen nach dem Überschreiten der Schwelle, ähnlich wie im Haus von Noret, sofort im Wohnzimmer des Hausherrn. Aber welch ein Unterschied zu dem kleinen Fischerhaus: Der Raum war mit teuren Designermöbeln ausgestattet. Die Wände waren von innen verputzt und zahlreiche alte Gemälde schmückten die freien Flächen zwischen den Bücherregalen und dem großen, offenen Kamin. Ganz mit Marmor eingefasst, bot er einen Kontrast zu dem ansonsten vorherrschenden Granitstein, der die Fenster einrahmte. Das Mauerwerk hatte bestimmt eine Tiefe von 60 Zentimetern und bedurfte keiner größeren Isolierung. Große Ledersessel standen um einen gläsernen Tisch vor dem Kamin auf der rechten Giebelseite, und eine moderne Stereoanlage fügte sich zwischen einem Bücherregal und dem Kamin in eine Nische ein. Ein großer Speisezimmertisch mit acht Stühlen, alle ebenfalls mit Leder bezogen, hatte seinen Platz auf der Giebelseite, gegenüber des Kamins.
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