„Das hört sich interessant an. Kann man davon leben?“
„Wenn es meine Bienenstöcke wären, könnte ich bestimmt sehr gut davon leben, aber wie ich schon gesagt habe, ich verwalte sie nur. Mein Einkommen reicht jedoch aus, um auf Ouessant ein zufriedenes Leben zu führen. Wenn Sie, Madame, jetzt noch an meiner Seite lebten, dann wäre es auch ein sehr glückliches Leben.“
Didier bemerkte, dass die Frau bei diesen Worten leicht errötete.
„Ich heiße Armelle Dalar und komme aus Châteaulin. Mein Mann ist von Brest aus geflogen, und ich habe ihn hierher begleitet, weil es eine gute Gelegenheit gewesen ist, meine Freundin zu besuchen“, wiederholte sie die Begründung für ihren augenblicklichen Aufenthalt in der Stadt.
Der Keller brachte den Kaffee und das Wasser und kassierte sofort.
„Ich freue mich, dass Sie sich noch ein Wasser dazu bestellt haben. Das verlängert unsere gemeinsame Zeit.“
Didier Callac sah die Frau mit strahlenden Augen an. Fast hatte er den Eindruck, dass auch ihr Blick an Herzlichkeit gewann.
Sie blieben noch einige Zeit auf der Terrasse des Au Bureau sitzen. Dann spazierten sie durch die Rue de Siam, betrachteten die Auslagen diverser Boutiquen. Didier Callac erzählte beinahe ohne Unterlass von seiner Arbeit, seinem Leben und seinen unerfüllten Träumen. Didier hatte nur Augen für die Frau. Den Auslagen schenkte er keine oder nur wenig Beachtung. Die Zeit schritt voran, und die Tische der Restaurants füllten sich bereits mit den Mittagsgästen. Didier schlug vor, etwas essen zu gehen und hoffte, dass Armelle ihm die Freude bereiten und ihn begleiten würde. Ihre Zusage machte ihn überglücklich.
Nach dem Essen hatten sie sich gegenseitig das Du angeboten und es mit einem Kuss besiegelt. Auch den Nachmittag verbrachten sie gemeinsam. Als die Zeit für die Trennung gekommen schien, fragte er Armelle ob sie ihn nicht einfach für die drei Tage, die sie noch in Brest zur Verfügung hatte, auf die Insel Ouessant begleiten wollte.
„Ich würde dir sehr gerne meine Insel zeigen.“
Armelle wusste nicht, warum sie sich zu diesem Mann so hingezogen fühlte, warum sie sich danach sehnte, in seinen Armen zu liegen und von ihm geliebt zu werden. Sie war sich der Konsequenzen sehr wohl bewusst, die diese Einladung nach Ouessant mit sich bringen könnte und wahrscheinlich auch mit sich bringen würde. Ihr Leben mit dem wohlhabenden Gurvan war sicher und bot ihr genügend Möglichkeiten für ihre Freizeitgestaltung. Sie fuhr mehrmals in der Woche nach Quimper, um dort neue Kleidung zu kaufen, Kaffee zu trinken oder das Theater zu besuchen. Aber war das wirklich alles, was sie in diesem Leben wollte? Gab es nicht doch noch etwas anderes? Sie vermisste Zärtlichkeit und inniges Beisammensein, sie vermisste inhaltsvolle Gespräche und nicht nur das tägliche „Wie geht es dir, was hast du heute gemacht…“
Didier erschien die Zeit, bis Armelle sich zu einer Antwort durchgerungen hatte, wie eine Ewigkeit. Ihre Gesichtszüge hatten eine Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit angenommen, und auf ihrer Stirn waren drei kleine Falten erschienen. Dann aber kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
„Ja, ich will!“ Armelle Dalar umarmte Didier und küsste ihn leidenschaftlich. Er umschlang sie und drückte sie eng an sich, so dass er ihre Brüste an seinem Oberkörper spürte.
„Ich rufe meine Freundin an und sage ihr, dass ich zurück fahren muss.“
Didier sah auf die Uhr, sie hatten nur noch 50 Minuten Zeit bis zur Abfahrt des Schiffes. Nichts von dem, was er heute in Brest erledigen wollte, war gemacht. Aber an seiner Hand hielt er die schönste Frau der Welt, und sie würde ihn nach Ouessant begleiten.
Die drei Tage auf Ouessant verbrachten Armelle und Didier in vollkommener Harmonie. War es das Neue, was Armelle so begeisterte? War es die Insel, die sie sofort in ihr Herz schloss? War es das Andere, das einfache aber erfüllende Leben der Verliebten? Sie wusste es nicht und konnte es sich auch nicht erklären. Ihre Entscheidung aber war gefallen. Sie wollte ihr restliches Leben hier auf Ouessant, an der Seite von Didier Callac verbringen. Sie wollte mit ihm zu den Bienen gehen und mit ihm die Fahrten übers Meer genießen. Ein letztes Mal würde sie nach Châteaulin zurückfahren, um ihren Mann über ihre Entscheidung in Kenntnis zu setzen. Sie hoffte, dass ihre Scheidung ohne große Probleme verlaufen konnte.
Didier Callac brachte sie zur Fähre und verabschiedet sich von ihr. Der Abschied war hoffentlich nur von kurzer Dauer. In drei oder spätestens vier Wochen würde sie für immer nach Ouessant kommen, auf die Insel der Frauen, wie Didier seine Insel auch zu nennen pflegte. Es waren immer die Frauen gewesen, die die Insel bewirtschaftet, die Felder bestellt, die Tiere versorgt und, auf den Leitern stehend, die Schäden an den Dächern der Häuser nach den Winterstürmen repariert hatten. Anfang des vergangenen Jahrhunderts zählte man auf der Insel drei Frauen auf einen erwachsenen Mann. Die Männer waren entweder beim Fischen, dienten als Matrosen auf den Kriegsschiffen der französischen Marine, oder waren schlichtweg auf See gestorben. Die Frauen hatten sehen müssen, wie sie alleine das tägliche Leben meistern konnten.
Kein Wunder, dass die Frauen auf Ouessant zu sagen pflegten: Der Mann verdient das Brot, die Frau die Butter.
Didier Callac wollte seiner neuen Liebe mehr bieten, als nur sein bescheidenes Leben mit ihr zu teilen. Er wollte sich einen kleinen Nebenerwerb sichern und plante, seine eigenen Bienenstöcke aufzubauen.
Auf Ouessant war kein Platz mehr für neue Stöcke. Aber auf der kleinen, an der Nordseite von Ouessant gelegenen Île de Keller , könnte er einen Versuch starten. Die Genehmigung des Besitzers hatte er schon eingeholt. Der alte Schafstall und das daneben stehende Haus, waren von den neuen Eigentümern umgebaut worden und dienten ihnen als Ferienwohnung. Die Insel war daher die meiste Zeit des Jahres unbewohnt. Ein paar Bienenstöcke störten da nicht.
In den letzten zwei Wochen war er immer wieder mit seinem Motorboot zur Insel gefahren und hatte die ersten Bienenstöcke hinübergebracht und aufgebaut. Die ersten drei Völker produzierten bereits seinen Honig.
Am Nachmittag, nach der Arbeit an den Stöcken, die er zu bearbeiten und verwalten hatte, wollte er wieder hinüber auf die nur einen viertel Quadratkilometer große Insel fahren.
Armelle telefonierte fast täglich mit ihm und hatte ihm von dem Gespräch mit ihrem Mann berichtet. Der war nicht erfreut gewesen, als er von ihrer Absicht erfuhr, sich zu trennen. Er willigte jedoch schließlich ein, unter der Bedingung, dass sie die Scheidung erst nach einer Bedenkzeit von einem Monat einreichen würde. Bis dahin sollte sie noch in Châteaulin bleiben. Da er die meiste Zeit unterwegs war, würden sie sich gegenseitig nicht häufig begegnen. So könnte Armelle in aller Ruhe nachdenken und zu einer definitiven Lösung kommen. Im Stillen hoffte Gurvan natürlich, dass sie ihre Entscheidung revidierte.
Es war schon beinahe 16 Uhr 30, als Callac endlich sein Motorboot löste, um sich auf den Weg zur Île de Keller zu machen. Die See war ruhig, als er den Hafen am Stiff verließ und Ouessant von der östlichen Seite umrundete, um die im Norden gelegene Insel zu erreichen. Er hatte inzwischen recht gute Kenntnisse über den Küstenverlauf der Insel gewonnen. Im Gegensatz zu den alten Fischern von Ouessant, die das Meer rund um die Insel bestens kannten, war er nicht so erfahren gewesen und hatte sich nur mühsam das Wissen angeeignet, das es brauchte, um gefahrlos an den zahlreichen Felsen und Untiefen vorbeizuschiffen.
Für die vielleicht sieben Kilometer, brauchte er etwas mehr als eine halbe Stunde. Von seinem Ankerplatz aus, legte er die verbleibenden Meter bis zum Strand mit seinem Beiboot zurück. Heute hatte er nicht so viel Material bei sich. Er wollte hauptsächlich seine neuen Bienenstöcke überprüfen und nach weiteren guten Standorten für die nächsten drei Stöcke suchen.
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