Normal könnte ich gleich eine Mütze Schlaf nehmen, bevor ich vor Elbe 1 wieder auf die Brücke muss, doch vorher ist noch einiges zu erledigen.
Seit der Einsparung des Funkoffiziers sind dessen Aufgaben dem Kapitän übertragen worden. Der gesamte Dienstverkehr mit Reederei, Charterer, Agenten etc. wird nun vom Kapitän abgearbeitet. Egal, ob er nun zuvor Stunden auf der Brücke verbrachte oder in den Häfen von den immer häufiger anstehenden Hafenkontrollen oder Inspektionen davon abgehalten wurde, sich zu erholen. Dies war früher Aufgabe des Funkoffiziers. Dazu kommen vorbereiten der Klarierung, Anmeldung an den nächsten Lotsen / Hafen, Heuerabrechnung und vieles mehr an Büroarbeiten. Dies bedeutet eine erhebliche Mehrbelastung für den Kapitän. Es ist nun seine Aufgabe dies alles unter einen Hut zu bringen. Deshalb gibt er teilweise diese Aufgaben an seine Offiziere weiter, da es zeitlich unmöglich ist, alles allein abzuarbeiten. Die Verantwortung verbleibt aber beim Kapitän, er muss für eventuelle dabei gemachten Fehler gerade stehen. Der Funker wurde ersatzlos eingespart. In den seltensten Fällen wurde mit Hinweis darauf die Heuer des Kapitäns erhöht. So kommt auch ein Kapitän bei sehr engem Fahrplan an seine Belastungsgrenzen. Eigentlich ist es die Hauptaufgabe eines Kapitäns, sein Schiff sicher von A nach B zu bringen. Nach Erledigung aller notwendigen Arbeiten versuchte ich noch etwas zu schlafen. Aber es ist nicht so einfach auf Kommando den Gedankenfluss zu stoppen und abzuschalten.
Die Verkehrssituation hat sich beruhigt. Das Wetter bleibt uns weiterhin treu, klare Sicht bei Beaufort 4-5, also kein Problem für unser Schiff.
Wir folgen weiter dem Küstenweg Richtung Elbe 1. Den Elbelotsen sollen wir am nächsten Tag um 6. Uhr bei Elbe 1 erhalten. So kann ich die Brücke verlassen, zumal gerade der 1. Offizier die Wache übernimmt.
Der Wecker klingelt, es ist kurz vor drei, irgendwie muss ich wohl doch noch eingeschlafen sein. Denke mal, wir sind kurz vor meiner Linie wo die Brückenwache mich wecken soll. Also mache ich mich fertig, um auf die Brücke zu gehen und später bei Elbe I den Elblotsen zu übernehmen. Vorbereitet habe ich schon meinen kleinen Teller mit einem geschälten Apfel, Kuchen oder Plätzchen und nicht zu vergessen die Zigaretten, da ich damals noch Raucher war. Die Brückenbesatzung lachte schon immer, wenn ich damit ankam. Auf der Brücke ist noch der Zweite Offizier mit seinen Wachmatrosen. Alles normal keine besonderen Vorkommnisse. Die Verkehrslage ist überschaubar. Nachdem der 1. Offizier seine Wache übernommen hat, erkläre ich ihm, dass er die Lotsenübernahme bei Elbe I unter meiner Aufsicht fahren wird. Laut Reederei-Information soll er nach der nächsten Rundreise meine Ablösung sein und in Hamburg dann das Kommando der „CIMBRIA“ übernehmen.
Inzwischen bin ich auf der Brücke. Der 1. Offizier hat seine Wache übernommen und wir besprechen die bevorstehende Lotsenübernahme bei Elbe I. Er ist ein erfahrener Offizier, und ich kenne ihn schon, seit er als Dritter Offizier bei unserer Reederei angefangen hat. Er kommt aus Bulgarien und gehört zu den Nautischen und Technischen Offizieren, die meine Reederei Anfang der 1990er-Jahre eingestellt hatte. Es waren sehr gut ausgebildete Seeleute. Sie hatten einen ähnlichen Ausbildungsweg durchlaufen wie wir in der DDR. Wir sind auch schon beide mehrmals auf anderen Schiffen zusammen gefahren. Ich freue mich für ihn, da er ein sehr guter 1. Offizier ist und seiner neuen Aufgabe sicher gewachsen sein wird.
Die Tonne Elbe I wird gut sichtbar sowohl optisch als auch im Radar angezeigt, gemäß der Absprache lasse ich den 1. Offizier das Manöver der Lotsenübernahme fahren und halte mich im Hintergrund. Er macht die Sache gut, und der Lotse ist nun auf dem Weg zur Brücke. Nach Begrüßung des Seelotsen, der uns bis Cuxhaven bringen wird, erkläre ich ihm die Manövereigenschaften des Schiffes und informiere ihn über den Tiefgang des Schiffes. Dabei ist zu beachten, dass wir jetzt auf der Elbe kein Seewasser mehr haben. Interessiert frage ich ihn nach ehemaligen Kollegen, welche von unserer Reederei zu den Elblotsen gewechselt waren. So kommen wir ins Gespräch, er bleibt dabei konzentriert, gibt die notwendigen Ruderkommandos und behält den Verkehr im Auge. Er ist richtig erfreut, mal wieder mit einen deutschen Kapitän an Bord zu fahren. Nach seiner Aussage langsam eine Seltenheit.
Das Schiff passiert gerade an Stb.-Seite die Kugelbake vor Cuxhaven. Der Lotse bereitet sich vor, das Schiff zu verlassen. In Cuxhaven kommt ein jetzt der Elbelotse an Bord, der uns bis zur Übernahme des Hafenlotsen in Hamburg begleiten wird.
Während der Lotse runter an Deck zur Lotsentreppe geht, hat der Kapitän das Schiff zu führen.
Die Radarberatung die ja weiter besteht erleichtert vieles,
so dass das Schiff sofort informiert wird, wenn es den vorgeschrieben Sektor des Fahrwassers verlässt. Dies war nicht immer so, bei schwerem Wetter, wenn der Lotse nicht bei Elbe I versetzt werden konnte, kam der Lotse erst bei Cuxhaven. In dem Fall musste der Kapitän damals bis nach Cuxhaven navigieren. Allein auf sich gestellt und ohne Radarberatung, nur die Betonnung war eine Hilfe.
Der neue Lotse hat die Brücke erreicht. Nach der Begrüßung und Übermittlung aller notwendigen Informationen übernimmt er wieder die Beratung des Kapitäns. Er kennt das Fahrwasser am bestem, nur im Zweifelsfall greift der Kapitän ein, da er trotz Lotsen an Bord weiterhin verantwortlich ist für die sichere Schiffsführung. Im Falle von erkennbar schwierigen Begegnungen / Situationen wird vorher abgesprochen welche Manöver gefahren werden.
Wir passieren gerade Brunsbüttel mit seinen Schleusen an Bb-Seite. Da wir Elbe aufwärts fahren, haben wir mit dem auslaufenden Verkehr der Schleusen keine Probleme. Der Nordostseekanal ist mir durch eine Vielzahl von Passagen bekannt. Besonders im Sommer immer wieder ein Erlebnis. Weniger während der Winterzeit, wo Schnee, Eis, Nebel oder starker Wind die Durchfahrt erschweren. Leider hatte ich nach der Wende nie wieder die Möglichkeit durch diesen Kanal zu fahren. Genauso wie ich nach der Wende nie wieder mit einem Schiff den Hafen Rostock angelaufen habe. Einsatzgebiete waren jetzt Ostasien, Australien, Nord- Südamerika. Neu für mich, da wir damals zu DDR Zeiten in unserem Flottenbereich Spezialschifffahrt andere Einsatzgebiete hatten beziehungsweise nur vereinzelt Häfen in diesen Gebieten anliefen.
Die Schiffsführung verlangt nun meine volle Aufmerksamkeit. Wir nähern uns Teufelsbrück, wo der Elbelotse von Bord geht und der Hafenlotse an Bord kommt.
Zu meiner Überraschung kommen zwei Hafenlotsen an Bord, die uns zum Liegeplatz bringen sollen. Einen der Hafenlotsen kannte ich aus der DSR-Fahrzeit. Wir fuhren mal beide eine Reise auf einem unserer kleinen Typ-IX-Massengutschiffen. Er war damals Zweiter Offizier, und ich kam gerade frisch von der Seefahrtschule. So viel Zeit war noch, dass wir uns kurz unterhalten konnten. Er hatte sich nach der Wende hier in Hamburg als Hafenlotse beworben und war angenommen worden. Für mich wieder eine Bestätigung. dass unsere Ausbildung an der Seefahrtsschule so schlecht nicht gewesen sein konnte. Der Beruf des Lotsen war für mich nie eine Option gewesen. Ich wollte eigentlich immer bis zum Ruhestand zur See fahren.
Eher wäre für mich die Arbeit in der Schifffahrtsverwaltung in Frage gekommen.
Genauso wie ich mich nie für den Segelsport begeistern konnte. Mit der Hilfe und Unterstützung beider Lotsen hat das Schiff mit der Stb.-Seite sicher im Container–Terminal Burchardkai festgemacht. Für mich war diese Ankunft eine große Genugtuung, es war ein langer und beschwerlicher Weg von meinem Neuanfang hier in Hamburg, als ich am 7. Januar 1992 als Zweiter Offizier an Bord ging bis zu diesem Tag mit der Ankunft in Hamburg, nun als Kapitän eines Schiffes. Deshalb sage ich, ich bin angekommen, erst in der Bundesrepublik Deutschland konnte ich nach vielen Umwegen und Rückschlägen meinen Kindheitstraum Kapitän zu werden verwirklichen. Nach diesem gedanklichen Rückblick holt mich sofort der Alltag ein. Die Wasserschutzpolizei kommt an Bord und beginnt mit der Klarierung, der üblichen Kontrolle der Pässe, Seefahrtsbücher und aller Schiffspapiere. Da es der erste Anlauf des Schiffes in einem deutschen Hafen war, erfolgte dies mit sehr großer Gründlichkeit. Plötzlich kommt Hektik auf, der Kollege, der das Öltagebuch kontrollierte, war der Meinung, dass bei der Abrechnung des Sludge (Reste aus der Verbrennung des Schweröls) eine Diskrepanz besteht. Nach seiner Meinung und gemäß den Schiffsunterlagen müsste eine größere Menge angefallen sein wie abgerechnet. Wo war die fehlende Menge verblieben, außenbords gepumpt? Der Leitende Ingenieur sagte, da das Schiff so gut wie neu war, ist nicht mehr Sludge angefallen wie abgerechnet. Da man ihm nicht glaubte, wurde begonnen im Maschinenraum verschiedene Leitungen auszubauen, um sie auf Ölrückstände zu untersuchen.
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