Das Leben eines Seemannes nach der Wende, sofern er sein Berufsleben bei der Seefahrt fortsetzte, ist von Interesse, um nun das Leben eines Seemannes unter bundesdeutschen Bedingungen kennen zu lernen. Wie jeder Bürger der ehemaligen DDR musste auch ein Seemann sich von heute auf morgen mit einem völlig anderen Staat kapitalistischer Prägung und mit einer auf maximalen Gewinn ausgerichteten Seefahrt auseinandersetzen. Der Verfasser kann natürlich nur seine Seite darstellen. Alle in der Erzählung aufgeführten Örtlichkeiten existieren tatsächlich. Werden Namen genannt, handelt es sich um Persönlichkeiten aus dem Bereich der Seefahrt in der DDR oder um Namen der Schiffe, auf denen er unter der DDR-Flagge oder später unter der bundesdeutschen Flagge Dienst tat. Nur die Namen von Freunden und Beteiligten sind frei erfunden. Ein Stück Zeitgeschichte gelebt in zwei deutschen Staaten.
* * *
Krönung meiner Seefahrtzeit – 2005 – Kapitän MS „CIMBRA“
Krönung meiner Seefahrtzeit – 2005 – Kapitän MS „CIMBRA“
Eigentlich ist es schon verwunderlich, wenn ich auf meine lange Fahrzeit als Seemann zurück schaue, dass mir als Höhepunkt meiner Laufbahn die Reise mit dem MS „CIMBRA“ im Jahr 2005 einfällt. Deshalb möchte ich meine Geschichte mit dieser Reise beginnen.
Es war ein schöner Wintertag im Januar 2005, soeben hatten wir den Lotsen von Rotterdam abgegeben. Mein Blick geht aus dem Brückenfenster hinaus, das Meer ist nur leicht bewegt, die Wellen haben kleine Schaumkronen und vor allem: die Sicht ist gut. Die Nordsee kann um diese Jahreszeit ja wesentlich ungemütlicher sein. Wir fahren auf dem vorgeschriebenen Weg des Verkehrstrennungsgebietes Ansteuerung Rotterdam auslaufend. Es herrscht dort der übliche dichte Verkehr, aber alles ohne Probleme. Das MS „CIMBIA“ ist ein Vollcontainerschiff gebaut im Jahre 2002 und kann 2.824 Container transportieren. Übernommen habe ich das Kommando in Khor Fakkan. Es war die Krönung meiner bisherigen seemännischen Laufbahn als Kapitän, dass man mir dieses fast neue Schiff anvertraute. Von Khor Fakkan ging es dann nach Dubai, Muhammad Bin Qasim, Tuticorin, Colombo, Damieta, Antwerpen, Felixstow, Rotterdam und nun nach Hamburg, dem Endpunkt der Rundreise.
Dieser Anlauf Hamburg war für mich etwas Besonderes, seit 1966 fuhr ich zur See, und schon oft war ich in Hamburg, ob als Matrose, Dritter, Zweiter oder Erster Offizier, dies aber sollte mein erster Anlauf sein als Kapitän eines Schiffes.
Inzwischen haben wir Amsterdam / Ilmjiuden an Steuerbordseite passiert und ordnen uns in das Verkehrstrennungsgebiet vor Texel ein. Der Schiffsverkehr im Verkehrstrennungsgebiet vor Texel erfordert nun wieder meine Aufmerksamkeit. Das MS „CIMBRIA“ fährt unter Liberia Flagge. Die Besatzung besteht aus mehreren Nationen. Ich habe mal das Glück einen deutschen Chief Ingenieur mit an Bord zu haben. Ansonsten bin ich in der Regel der einzige Deutsche an Bord. Die Mannschaft besteht aus philippinischen Seeleuten. Die Offiziere und Ingenieure kommen aus Bulgarien. Im Laufe der Jahre habe ich mir angewöhnt in schwierigen Fahrtgebieten / Gewässer auf der Brücke zu sein. Der wachhabende Offizier fährt eigenverantwortlich, und ich halte mich im Hintergrund. Dies ist kein Misstrauen, aber so bin ich gleich standby, sollte es Probleme geben. Der Englische Kanal und die Nordsee sind ein sehr anspruchsvolles und kompliziertes Fahrgebiet, wo es schnell passieren kann, dass der verantwortliche Wachoffizier an seine Grenzen kommt. Für mich war es früher auch jedes Mal beruhigend zu wissen, dass mein Kapitän auf der Brücke war. So konnte er auf Grund seiner Erfahrung bei heiklen Situationen eingreifen beziehungsweise das Kommando übernehmen. Aber auf meine bulgarischen Offiziere an Bord konnte ich mich voll verlassen. Sie hatten eine sehr gute Ausbildung durchlaufen ähnlich wie wir in der damaligen DDR.
Vollmatrose, mein Blick geht zum Ruderbock, dort steht ein Matrose, da wir Handruder gehen müssen. Heute AB (Able Seaman) genannt, Inhaber des Zertifikats „Rating Deck“ ein philippinischer Seemann.
Schon ungewöhnlich für ein so relativ neues Schiff, aber unser Kreiselkompass hatte kurz vor Rotterdam den Geist aufgegeben. Den alten Kreiselkompass (noch mit Kreiselkugel) hat jedenfalls jeder E- Ingenieur wieder zum Laufen gebracht. Aber hier war ein Kreiselkompass der neusten Generation (ohne Kreiselkugel) installiert worden. Trotz Anstrengungen unseres E-Ingenieurs in Rotterdam und Assistenz eines Services war es nicht gelungen, den Kreiselkompass zu reparieren. Es fehlte ein bestimmtes Ersatzteil, das auch nicht auf die Schnelle in Rotterdam zu besorgen war. Das Ersatzteil sollte nun in Hamburg kommen. Warten in Rotterdam war keine Option, Zeit ist Geld, und wir hatten einen straffen Fahrplan. Die Entscheidung ohne funktionstüchtigen Kreiselkompass weiter zu fahren brachte ein paar Probleme mit sich, stetige Umrechnung der Kurse in den Magnetkompasskurs, die Wachoffiziere entsprechend Briefen und jeweils den Lotsen informieren. Der Magnetkompass steht üblicherweise auf dem Peildeck, die Anzeige wird mittels Spiegel, die sich in einem Rohr befinden, zum Ruderstand reflektiert. Das Steuern nach Magnetkompass gestaltet sich schwierig, da die Anzeige ständig in Bewegung ist. Für den Matrosen war es sehr anstrengend, er musste stets seinen Blick nach oben zur Anzeige richten. Deshalb hatte ich angeordnet, dass die Wachen mit zwei Matrosen besetzt wurden, so dass sie sich halbstündlich ablösen konnten und der Ausguck immer besetzt war. Wir hatten Glück, dass das Wetter gut war. Bei Sturm mit dem Rollen und Stampfen des Schiffes wäre es sehr schwierig geworden das Schiff auf Kurs zu halten.
Dabei haben wir nun mit dem von Nord Hinder kommenden Verkehr zu kämpfen, welche auch den kürzeren Küstenweg nach Bremen oder Hamburg fahren wollen. Nächster markanter Punkt wird die Leuchttonne Texel sein. Wir können auf Seeumdrehungen gehen, bei dieser Wetterlage habe ich mich entschieden den Küstenweg, das heißt die Route Texel, Terschelling, Borkum Richtung Elbe 1 zu nehmen. Für schweres Wetter hatte ich den vorgeschriebenen Tiefwasserweg Nord Hinder – Deutsche Bucht – Elbe 1 vorbereiten lassen. In dem relativ flachen Wasser in Küstennähe kann es sehr gefährlich werden, da sich dort bei Sturm starke Grundseen bilden. Der Anlauf Hamburg ist für mich deshalb etwas Besonderes, da es ein langer Weg war, bis ich das Kommando eines Schiffes übernehmen durfte.
Früher lag hier das Feuerschiff Texel, gefolgt dann von den Feuerschiffen Terschelling, Borkum, Weser und Elbe 1. Diese waren wichtige Seezeichen in der damaligen Zeit. Während meiner Lehrlingszeit sind wir mit dem MS „FRITZ REUTER“ einem Kühlschiff, diesen Weg zweimal im Monat gefahren, als wir Linie Rostock – Conakry – Rostock fuhren, um von dort Bananen zu holen. Ich werde nie vergessen, wie wir insbesondere bei schlechter Sicht angehalten wurden nach diesen Seezeichen Ausschau zu halten. Radargeräte als Hilfe für die Navigation waren gerade erst im Kommen. Eine große Hilfe war es dann später, als die Feuerschiffe mit Radarreflektoren ausgerüstet wurden.
Langsam haben wir uns mit der „CIMBRIA“ frei gefahren. Dieses Fahrgebiet ist immer wieder eine Herausforderung durch sein starkes Verkehrsaufkommen.
Zwischenzeitlich muss ich meine Aufmerksamkeit dem Schiffsverkehr widmen. Das Schiff ist gerade bei einem Überholvorgang. Dies ist teilweise schwierig, da der dafür notwendige Platz auf diesen vorgeschriebenen Zwangswegen des Verkehrstrennungsgebietes, doch recht beschränkt ist und die Wassertiefen neben dem Zwangsweg bei einem entsprechenden Tiefgang einem gefährlich werden könnte, ähnlich dem Überholvorgang von zwei LKW auf der Autobahn. Da die Geschwindigkeiten teilweise fast gleich sind, dauert der Überholvorgang eine gefühlte Ewigkeit. Das erinnert mich an meine erste Reise als Dritter Offizier auf einem Kühlschiff. Dieses hatte eine Dienstgeschwindigkeit von 20-22 Knoten, das war schon eine Umstellung. Zumal ich gerade von einem Massengutschiff kam, welches gemütlich mit 11-13 Knoten daher fuhr. Nun hieß es dicht heranfahren, kurz ausscheren, überholen und schnellstens wieder einordnen, ansonsten landete man weit ab von seiner Kurslinie. Vor allem große, harte Ruderlagen vermeiden, da das Schiff sich ansonsten wie ein Motorradfahrer in die Kurve legt. Diese Erfahrung musste ich damals auslaufend Hamburg nach Lotsenabgabe bei Elbe 1 machen. Der Kapitän hatte mir das Kommando übergeben und die Brücke verlassen. Ein Schiff kam an Stb.-Seite den damals vom Feuerschiff Deutsche Bucht kommenden Narrow Channel herunter. Da sich die Peilung nicht veränderte, musste ich ein Ausweichmanöver fahren. Wie gelernt und bisher praktiziert, leitete ich das Manöver frühzeitig, rechtzeitig und energisch (mit Ruderlage Stb. 15 Grad) ein. Mein Wachmatrose fragte noch. „Wirklich?“ Das Resultat war verheerend, das Schiff legte sich zur Seite, ich hörte dann nur noch ein hastiges Trampeln auf der Treppe zur Brücke. Das Brückenschott wurde aufgerissen und mein Kapitän kam auf die Brücke gestürmt und sagte: „Sind Sie wahnsinnig, wollen Sie das Schiff umkippen?“ Er übernahm sofort das Kommando mit dem Kommando Ruder Mitschiffs und brachte das Schiff wieder auf Kurs. Erschreckt musste ich feststellen, dass das Schiff während dieser kurzen Zeit doch erheblich vom Kurs abgekommen war. Zu meinem Glück hatten wir eine ausreichende Wassertiefe an dieser Stelle. Anschließend erklärte er mir, wie man bei diesen Geschwindigkeiten ein Schiff zu fahren habe. Dies hätte er mir vielleicht schon bei der Reisebelehrung erzählen können, da es mein erster Einsatz als Nautiker auf einem Kühlschiff war. Es war jedenfalls eine Erfahrung, die ich nie vergessen habe, da später die neuen Containerschiffe alle in diesem Geschwindigkeitsbereich unterwegs waren.
Читать дальше