„Glotz mich nicht so an, ich bin schon Leuten begegnet … Ich könnte dir Geschichten erzählen von Leuten, die sich in deinem Alter nicht mal ihre verfluchten Schuhe binden können …“
„Ja, ich weiß, wie man spült.“, entgegnete ich selbstbewusst.
„Gut, denn ich will nicht, dass du bei dem Scheißwetter draußen in der Garage bist, oder im Schuppen, auch wenn sie es gottverdammt nötig haben. Das kann auch noch ein, zwei Tage warten.“, sagte er und war dabei heilfroh, dass er das heikle Thema mit meiner Mutter irgendwie umschifft hatte.
„Da unten sind Schwämme, Spülmittel ist in dem Kanister. Der Spülmaschinendeckel wird am Griff von oben nach unten gezogen; sie springt dann automatisch an. Spülmittel zieht sie auch von selbst. Wir haben auch irgendwo Gummihandschuhe, wenn deine zarten Knabenhände die dauerhafte Feuchtigkeit nicht abkönnen“, erklärte er, wobei er bei den Worten „zarte Knabenhände“, eine tänzelnde Bewegung machte, die wohl auf gut deutsch „stell dich nicht so an, du verdammte Schwuchtel“, bedeuten sollte.
„Hast du noch Fragen? Nein? Gut, dann gib Hackengas, du hängst jetzt schon ganz schön hinterher…“
So hat alles angefangen. Ich spülte wie der Wind, nicht nur schnell, sondern auch noch ordentlich. Die verkrusteten Pfannen weichten ein (wenn auch nur kurz), die stark verschmutzten Sachen wurden vorgespült, der Rest kam direkt in einen der hellblauen Kunststoffkörbe der alten Hobart-Industrie-Spülmaschine.
Irgendwann sollte ich dann Kartoffeln schälen und als meine Kollegen sahen, dass auch das funktionierte, ohne, dass ich dabei Teile meiner Gliedmaßen verlor, durfte ich Garnelen pulen. Ich erarbeitete mir einen Ruf, der noch anhielt, als das Praktikum längst vorüber und in einen Wochenendjob übergegangen war, der manchmal schon am Freitagnachmittag begann. Ich hatte viele Tage dort verbracht und nebenbei bemerkt – für einen Siebzehnjährigen – ganz schön viel Geld verdient. Am Wochenende – wenn ich oft ganztägig dort war – arbeiteten wir im Teildienst. Ein klassisches Modell der Gastronomie, das folgende Arbeitszeiten mit sich bringt; 10 bis 15 Uhr – 18 Uhr bis Ende. Eine dreistündige Pause ist allerdings nur schön, wenn man in unmittelbarer Nähe seines Arbeitsplatzes wohnt (was ich damals glücklicherweise tat).
Eines Tages blieben der Küchenchef und ich nach dem Mittagsgeschäft während der Mittagspause in der Küche. Ich erinnere mich daran, dass draußen ein Sturm aufzog. Es war bereits sehr windig und regnete in Intervallen zeitweilig stark. Das Wetter und die Tatsache, dass es in der Küche immer etwas zu tun gibt, sorgten dafür, dass wir gemeinsam Torrone herstellten, was zum Kaffee und Espresso gereicht werden sollte. Dass es ein Stück hausgemachte Torrone zum Kaffee geben sollte, statt eines Lotus-Keks aus dem 2000er Display der Metro, war kein reiner Akt der Nächstenliebe. In Wirklichkeit hatten wir das Trockenlager aufgeräumt und dabei eine Kiste mit Beuteln voller Nüsse gefunden, die alle aufgerissen und untereinander vermischt waren. Außerdem gab es noch zwei Tetrapaks Eiweiß, die uns allen ein Dorn im Auge waren, da das Haltbarkeitsdatum an selbigem Tag verstreichen sollte. Gibt es denn eine charmantere Art seine „Leichen“ zu entsorgen, als ein Stück hausgemachte Torrone zum Kaffee?
„Hast du schon einen Ausbildungsplatz?“, fragte mich der Küchenchef, mit dem ich in der vielen Zeit nur wenige Worte gewechselt hatte. Ich hatte ein Gastronorm-Blech vor mir stehen, das mit einem Stück Backpapier ausgelegt war. Darauf lag eine zurechtgeschnittene Backoblate. Ich strich mit einem Kunststoffspatel alles glatt – und schwieg. Er stand ebenfalls vor einem Blech mit selbigem Aufbau, nur dass er bereits die obere Backoblate auf die Masse drückte.
„Nächstes Jahr, ist es doch soweit, oder nicht? Dann hast du dein Abitur doch fertig?“, schob er hinterher, wobei er das Wort „Abitur“ abfällig betonte. Wahrscheinlich aus dem Grund, weil er selbst nur einen Hauptschulabschluss erlangt hatte. Aber das war mir völlig egal und das ist es noch heute. Ich glaube es gibt nicht viele Dinge, die weniger über einen Menschen aussagen, als der Schulabschluss. Aber für ihn gehörte ich eben zur Etepetete-Schicht – zu denen, die sich als etwas Besseres sehen.
„Nein, noch nicht.“, sagte ich kleinlaut – und das stimmte. Ich war immer gewissenhaft mit allem gewesen, hatte meine Termine stets eingehalten und nur wenige Dinge vor mir hergeschoben. Wollte er denn nicht, dass ich meine Ausbildung hier machte?
„Du musst dich bei den großen Hotels in der Stadt bewerben und aus diesem Kaff hier weg. Hörst du?“, sagte er – und ich hörte auf ihn.
„Wir haben dich gerne hier, aber wir können dir bei weitem nicht das bieten, was die großen Häuser dir bieten können. Also sei schlau und bewirb dich!“
An diesem Abend ging ich nach dem Abendgeschäft nach Hause und dachte lange nach. Ich fragte mich, wie es wohl sei, aus dem verschlafenen Vorort in die Großstadt zu ziehen und fand den Gedanken plötzlich aufregend. Eine eigene Wohnung, einen eigenen Haushalt, ein eigenes Leben. In dieser Nacht klang es wie Musik in meinen Ohren. Nachts im Bett, wenn man nicht schlafen kann, sind die Sorgen und Ängste unermesslich. Die unangenehmen Dinge erscheinen uns viel schlimmer. Aber die schönen Dinge, die Träume und Hoffnungen, erscheinen uns auch viel schöner, als sie eigentlich sind. Es dauerte noch einige Zeit, aber irgendwann verloren sich meine Gedanken und ich schlief ein.
***
Ein fürchterliches Passfoto thronte in der oberen Ecke meines Lebenslaufes, der in dreifacher Ausfertigung vor mir gelegen hatte. Ich erinnere mich gut daran, dass ich beim Fototermin wie ein Schwein geschwitzt hatte, das quiekend mit einem Stock über die Koppel gejagt wird. Es wurde in der 11. Klasse aufgenommen von einem Fotografen, dessen Fähigkeiten ich schon damals als eher dürftig eingeschätzt hatte und mittlerweile der Überzeugung bin, dass jeder dahergelaufene Hobby-Spanner bessere Aufnahmen hätte machen können.
Der Gedanke, dass die Personalchefs ihre Mitarbeiter auch nach dem Foto auswählen (und ob sie das tun…), war mir nicht ganz klar gewesen. Für mich war es eher ein Akt des Pragmatismusses. Wieso sollte ich ein neues Foto aufnehmen lassen, wenn ich noch eine ganze Mappe in der Schublade hatte? Die Leute wollten sich doch sicherlich nur davon überzeugen, dass ich nicht gerade wie Cthullu aus der Geschichte von H. P. Lovecraft aussähe.
Ich hatte also das Foto aus der Schublade genommen, es eingescannt und nun schmückte es meine Bewerbungen. Wie mein erster Küchenchef mir empfohlen hatte, wollte ich mich bei den drei großen Grandhotels der Stadt bewerben.
Das Riverside Inn war, wie der Name schon vermuten lässt – das jüngste und modernste Hotel der Stadt. Es war ein eigenständiges Hotel, das unter der Schirmherrschaft einer großen, englischen Hotelkette geführt wurde, aber trotzdem einen Sonderstatus hatte. An dem Tag, als ich meine Bewerbung dort abgegeben hatte, war mir besonders die ungemütliche Lobby des Hauses aufgefallen. Es war alles sehr minimalistisch und gekünstelt modern. Es erweckte den Anschein, als wollte sich das Haus jünger und flippiger darstellen, als es eigentlich war (und jemals sein könnte). Wir werden alle nie älter als Mitte dreißig, sind völlig weltoffen und laufen jedem Trend blindlings hinterher. Die Klientel war ebenfalls sonderbar – es waren allesamt Reinkarnationen der 90er Jahre Yuppies. Ich musste unweigerlich an „American Psycho“ denken, nur, dass die Leute sich nicht mehr mit Visitenkarten übertrumpften, sondern mit abscheulichen Sneakern und Polohemden in allen Farben des „Pantone Matching Systems“. Ich mochte das Haus einfach nicht und wusste direkt, dass ich nur als Notlösung hier anfangen würde. Dazu brauchte ich die Küche gar nicht erst gesehen zu haben.
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