«Willst du meine Tiere sehen?», Dieter erschrak, als Mieke zu reden begann.
«Ja gerne», Dieter stellte die Heugabel auf den Boden.
«Komm», er verliess den Stall. Auf dem Feld hinter dem Haus konnten er Schafe, Ziegen und ein Pferd, weiden sehen. Mieke rief ihnen und alle trabten heran. Er streichelte sie, die Tiere mochten ihn.
«Jetzt muss ich die Ziegen melken», stellte Mieke fest, «hast du auch schon Ziegen gemolken?»
«Nein, das musst du selber machen, die Tiere sind an dich gewöhnt. Soviel weiss ich, die mögen es nicht, wenn ihnen jemand anderes an die Zitzen geht.»
«Du kennst dich etwas aus.»
«Ja ich habe bei meinen Grosseltern oft im Stall geholfen. Ich muss jetzt nach Hause», entschuldigte sich Dieter, «die Runges essen pünktlich! Frau Runge ist da sehr streng.»
«Gut», war die kurze Antwort.
«Darf ich wieder kommen?», fragte Dieter.
«Willst du denn?»
«Wir werden sehen, ich schau sicher nochmals rein.»
Dieter machte sich auf den Heimweg. Er schaute sich nicht um. Der arme Junge. Was sollte er hier, er hatte das Gefühl, dass er unerwünscht war, aber am Schluss, da war Mieke doch etwas aufgetaut, er wollte es noch einmal versuchen. Er mochte Mieke und das trotzt dem Geheimnis, das er ihm nicht verraten will.
In den folgenden Tagen schaute Dieter so oft wie möglich bei Mieke vorbei. Langsam wurde er zugänglicher. Doch er blieb sehr misstrauisch und erzählt Dieter nie, was er für ein Problem er hatte. Er redete nicht über früher. Damit konnte Dieter gut leben, Mieke brauchte Zeit. Allerdings, viel Zeit blieb Dieter nicht mehr. Ende Woche musste er zurück nach Halle, die vier Wochen waren bereits um.
Der Tag des Umzugs nach Marlow war gekommen. Vati und Mutti mussten nur Olaf und seinen Hautausschlag anschauen, dann war die Entscheidung gefallen. Man wurde mit Familie Runge einig und tauschte die Wohnungen. Beide organisierten auf den gleichen Tag ein Umzugswagen.
Zuerst mussten die Möbel nach Rügen geschafft werden. Es tat Dieter weh, als er die Möbel Stück um Stück im Möbelauto verschwinden sah. Er würde Halle vermissen.
Da sein älterer Bruder Wolfgang in Karl- Marx Stadt eine Freundin hatte, musste er nicht mit nach Rügen.Dieter wollte gern seine Lehre in Halle abschliessen, doch Vati war dagegen.
«Wenn du achtzehn Jahre alt bist, wie dein Bruder, kannst du selber entscheiden wo du wohnst. Bis dann bleibst du bei der Familie!»
Da gab es nichts mehr zu verhandeln. Vati hatte entschieden. Dieter musste mit nach Marlow. Er hatte nicht einmal Zeit, sich von seinen Freunden zu verabschieden. Die meisten waren noch in den Ferien. Wenigstens Gerd hatte beim Umzug mitgeholfen, dann hiess es einsteigen.
«Los, beeilt euch», rief der Fahrer, «wir sind schon im Rückstand.»
Eine kurze Umarmung von Gerd, dann noch je zwei Küsschen für Barbara und Sabine, die ebenfalls beim beladen des Möbelauto geholfen hatten, dann musste Dieter einsteigen. Die Fahrt Richtung Ostsee ging los. Vati blieb in Halle, er musste die Wohnung übergeben und später mit dem Zug nachreisen. Als sie beim Haus vorfuhren, wurden sie von Herrn Runge erwartet. Mutter Runge mit ihrer Tochter, war unterwegs nach Halle. Dieter würde Britta nicht mehr sehen.
«Das soll unser Haus sein?», fragte Mutti und konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen, «das ist uralt und verlottert, ich hoffe, es fällt nicht gleich in sich zusammen.»
«Ja, es ist natürlich nicht so modern wie unsere Wohnung in Halle, aber hier wohnen alle so.»
«Vati wird keine Freude habe», meinte Mutti, «aber schauen wir mal.»
Das Möbelauto hatte seine optimale Position erreicht, sie konnten aussteigen. Lumpi sprang freudig und schwanzwedelnd an Dieter hoch und begrüsste ihn wie ein alter Bekannter. Es wurde ausgemacht, dass Lumpi in Marlow bleibt, man wollte ihm die Grossstadt ersparen.
«Das ist meine Mutti», stellte Dieter seine Mutti dem Mieke vor, welcher bereit war, mit zu helfen, die Möbel hineinzutragen, «das ist meine Schwester Moni und das Olaf.»
An die andern gewandt: «Das ist Mieke, ich hab euch von ihm erzählt.»
Damit war die Begrüssung abgeschlossen, es galt, so schnell wie möglich das Möbelauto auszuräumen. Der Fahrer war schon ungeduldig, er hatte noch mehr Zeit verloren. Er würde sehr spät in der Nacht nach Hause kommen.
Das Ausräumen mit Mieke klappte. Sie trugen die Möbel raus, Mutti erklärt, wo sie die Möbel hinstellen müssen. Moni und Olaf kümmerten sich um die kleinen Dinge. Auch Herr Runge half mit. Der Fahrer hatte wieder eine Stunde aufgeholt und verabschiedete sich mit einer etwas besseren Laune.
Dieter begleitete Herr Runge noch zum Bahnhof, der musste noch mit dem Zug nach Halle fahren.
«Auf Wiedersehen Herr Runge, ich hoffe, sie fühlen sich in Halle wohl. - Grüssen sie Frau Runge und vor allem Britta, gut Fahrt!»
Als Vati spät am Abend mit dem letzten Zug ankam, war es bereits dunkel. So sah er nicht sofort, in welch schlechtem Zustand das Haus war. Doch als er sich zur Familie an den Tisch setzte, um noch etwas zu Essen, schaute er sich um, seine Miene verfinsterte sich.
«Das ist eine Bruchbude!», er schaute Dieter mit finsterem Blick an, «du hast nicht gesagt, dass das Haus eine Ruine ist, wenn wir Glück haben, fällt es nicht über unsern Köpfen zusammen.»
Dieter wusste, dass Vati recht hatte, das Haus war in einem erbärmlichen Zustand, nur hatte er gar nicht darauf geachtet, als er hier in den Ferien weilte, er hatte sich durch Britta zu stark ablenken lassen.
Im leeren Haus, sah man die Schäden natürlich besser. Vermutlich hatten die Runges ihre Möbel so aufgestellt, dass man die schlimmsten Schäden nicht sehen konnte. Nun, jetzt war es zu spät, das hatten auch Dieters Eltern eingesehen, sie mussten sich damit abfinden.
Das Haus war in zwei Hälften aufgeteilt, die eine Hälfte war auf zwei Etagen Wohnraum, die zweite Hälfte bestand aus dem Stall. Dieser stand jetzt leer, die Runges hatten ihre Tiere verkauft. Nur der Lumpi blieb zurück.
Im ersten Stock hatte es zwei Zimmer, unten befanden sich die Küche und das Schlafzimmer der Eltern. Das Klo war draussen, ein einfaches Plumpsklo, Moni hatte keine Freude daran, dass sie ihr Geschäft im stinkenden Häuschen verrichten musste. Mutti hatte am meisten Probleme mit dem fehlenden Wasser in der Küche. Vor dem Haus gab es eine Handpumpe, mit der man das Wasser hochpumpen musste.
«Das ist wie früher in Zörbig», stellte sie fest, «willkommen im Mittelalter!»
«Ja, aber die Luft ist gut», versuchte sie Dieter zu trösten, «und der Lumpi ist auch sehr lustig.»
«Du hast Recht», bestätigte Mutti, «es bringt nichts, jetzt sind wir hier und machen das Beste daraus, Vati wird sich schon beruhigen.»
So einfach war das allerdings nicht. Ein Woche später, es kam ein Unwetter auf, es stürmte richtig. In den Zimmern mussten sie an vier Stellen Eimer aufstellen, um das Wasser aufzufangen, welches durch das undichte Dach tropfte.
Doch das Schlimmste stand noch bevor. Eine heftige Böe erfasste das Haus. Man spürte die Erschütterung, es war sehr beängstigend. Plötzlich ein polternder Lärm, alle schauen sich verwundert an.
«Was war das?», Vati stieg nach oben.
«Kommt hoch und helft mir!», rief er von oben.
Dieter eilte die Treppe hoch. Dann sah er die Bescherung. Im kleineren Zimmer war eine Wand ausgebrochen, man konnte direkt auf die Felder hinaussehen. Vati war bereits dabei, den Schaden notdürftig zu reparieren.
«Hol im Stall die Plane, mit der früher der Traktor abgedeckt wurde, so können wir das Loch provisorisch verschliessen. Mit vereinten Kräften konnten sie verhindern, dass der Schaden noch grösser wurde. Am nächsten Morgen war der Sturm vorüber. Das Wetter klarte auf. Nun konnten sie den Schaden auch von aussen begutachten.
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